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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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an der Unzulänglichkeit der Auslese durch kollektive Willens-
bildung, daß die Entscheidung der akademischen Schicksale so
weitgehend "Hazard" ist. Jeder junge Mann, der sich zum
Gelehrten berufen fühlt, muß sich vielmehr klarmachen, daß die
Aufgabe, die ihn erwartet, ein Doppelgesicht hat. Er soll quali-
fiziert sein als Gelehrter nicht nur, sondern auch: als Lehrer.
Und beides fällt ganz und gar nicht zusammen. Es kann je-
mand ein ganz hervorragender Gelehrter und ein geradezu ent-
setzlich schlechter Lehrer sein. Jch erinnere an die Lehrtätigkeit
von Männern wie Helmholtz oder wie Ranke. Und das sind
nicht etwa seltene Ausnahmen. Nun liegen aber die Dinge
so, daß unsere Universitäten, zumal die kleinen Universitäten,
untereinander in einer Frequenzkonkurrenz lächerlichster Art
sich befinden. Die Hausagrarier der Universitätsstädte feiern
den tausendsten Studenten durch eine Festlichkeit, den zwei-
tausendsten Studenten aber am liebsten durch einen Fackelzug.
Die Kolleggeldinteressen - man soll das doch offen zugeben -
werden durch eine "zugkräftige" Besetzung der nächstbenach-
barten Fächer mitberührt, und auch abgesehen davon ist nun
einmal die Hörerzahl ein ziffernmäßig greifbares Bewährungs-
merkmal, während die Gelehrtenqualität unwägbar und gerade
bei kühnen Neuerern oft (und ganz natürlicherweise) umstritten
ist. Unter dieser Suggestion von dem unermeßlichen Segen
und Wert der großen Hörerzahl steht daher meist alles. Wenn
es von einem Dozenten heißt: er ist ein schlechter Lehrer, so
ist das für ihn meist das akademische Todesurteil, mag er der
allererste Gelehrte der Welt sein. Die Frage aber: ob einer
ein guter oder ein schlechter Lehrer ist, wird beantwortet durch
die Frequenz, mit der ihn die Herren Studenten beehren.
Nun ist es aber eine Tatsache, daß der Umstand, daß die
Studenten einem Lehrer zuströmen, in weitgehendstem Maße
von reinen Äußerlichkeiten bestimmt ist: Temperament, sogar
Stimmfall, - in einem Grade, wie man es nicht für möglich
halten sollte. Jch habe nach immerhin ziemlich ausgiebigen
Erfahrungen und nüchterner Überlegung ein tiefes Mißtrauen
gegen die Massenkollegien, so unvermeidbar gewiß auch sie
sind. Die Demokratie da, wo sie hingehört. Wissenschaftliche

an der Unzulänglichkeit der Ausleſe durch kollektive Willens-
bildung, daß die Entſcheidung der akademiſchen Schickſale ſo
weitgehend „Hazard“ iſt. Jeder junge Mann, der ſich zum
Gelehrten berufen fühlt, muß ſich vielmehr klarmachen, daß die
Aufgabe, die ihn erwartet, ein Doppelgeſicht hat. Er ſoll quali-
fiziert ſein als Gelehrter nicht nur, ſondern auch: als Lehrer.
Und beides fällt ganz und gar nicht zuſammen. Es kann je-
mand ein ganz hervorragender Gelehrter und ein geradezu ent-
ſetzlich ſchlechter Lehrer ſein. Jch erinnere an die Lehrtätigkeit
von Männern wie Helmholtz oder wie Ranke. Und das ſind
nicht etwa ſeltene Ausnahmen. Nun liegen aber die Dinge
ſo, daß unſere Univerſitäten, zumal die kleinen Univerſitäten,
untereinander in einer Frequenzkonkurrenz lächerlichſter Art
ſich befinden. Die Hausagrarier der Univerſitätsſtädte feiern
den tauſendſten Studenten durch eine Feſtlichkeit, den zwei-
tauſendſten Studenten aber am liebſten durch einen Fackelzug.
Die Kolleggeldintereſſen – man ſoll das doch offen zugeben –
werden durch eine „zugkräftige“ Beſetzung der nächſtbenach-
barten Fächer mitberührt, und auch abgeſehen davon iſt nun
einmal die Hörerzahl ein ziffernmäßig greifbares Bewährungs-
merkmal, während die Gelehrtenqualität unwägbar und gerade
bei kühnen Neuerern oft (und ganz natürlicherweiſe) umſtritten
iſt. Unter dieſer Suggeſtion von dem unermeßlichen Segen
und Wert der großen Hörerzahl ſteht daher meiſt alles. Wenn
es von einem Dozenten heißt: er iſt ein ſchlechter Lehrer, ſo
iſt das für ihn meiſt das akademiſche Todesurteil, mag er der
allererſte Gelehrte der Welt ſein. Die Frage aber: ob einer
ein guter oder ein ſchlechter Lehrer iſt, wird beantwortet durch
die Frequenz, mit der ihn die Herren Studenten beehren.
Nun iſt es aber eine Tatſache, daß der Umſtand, daß die
Studenten einem Lehrer zuſtrömen, in weitgehendſtem Maße
von reinen Äußerlichkeiten beſtimmt iſt: Temperament, ſogar
Stimmfall, – in einem Grade, wie man es nicht für möglich
halten ſollte. Jch habe nach immerhin ziemlich ausgiebigen
Erfahrungen und nüchterner Überlegung ein tiefes Mißtrauen
gegen die Maſſenkollegien, ſo unvermeidbar gewiß auch ſie
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[8/0007] an der Unzulänglichkeit der Ausleſe durch kollektive Willens- bildung, daß die Entſcheidung der akademiſchen Schickſale ſo weitgehend „Hazard“ iſt. Jeder junge Mann, der ſich zum Gelehrten berufen fühlt, muß ſich vielmehr klarmachen, daß die Aufgabe, die ihn erwartet, ein Doppelgeſicht hat. Er ſoll quali- fiziert ſein als Gelehrter nicht nur, ſondern auch: als Lehrer. Und beides fällt ganz und gar nicht zuſammen. Es kann je- mand ein ganz hervorragender Gelehrter und ein geradezu ent- ſetzlich ſchlechter Lehrer ſein. Jch erinnere an die Lehrtätigkeit von Männern wie Helmholtz oder wie Ranke. Und das ſind nicht etwa ſeltene Ausnahmen. Nun liegen aber die Dinge ſo, daß unſere Univerſitäten, zumal die kleinen Univerſitäten, untereinander in einer Frequenzkonkurrenz lächerlichſter Art ſich befinden. Die Hausagrarier der Univerſitätsſtädte feiern den tauſendſten Studenten durch eine Feſtlichkeit, den zwei- tauſendſten Studenten aber am liebſten durch einen Fackelzug. Die Kolleggeldintereſſen – man ſoll das doch offen zugeben – werden durch eine „zugkräftige“ Beſetzung der nächſtbenach- barten Fächer mitberührt, und auch abgeſehen davon iſt nun einmal die Hörerzahl ein ziffernmäßig greifbares Bewährungs- merkmal, während die Gelehrtenqualität unwägbar und gerade bei kühnen Neuerern oft (und ganz natürlicherweiſe) umſtritten iſt. Unter dieſer Suggeſtion von dem unermeßlichen Segen und Wert der großen Hörerzahl ſteht daher meiſt alles. Wenn es von einem Dozenten heißt: er iſt ein ſchlechter Lehrer, ſo iſt das für ihn meiſt das akademiſche Todesurteil, mag er der allererſte Gelehrte der Welt ſein. Die Frage aber: ob einer ein guter oder ein ſchlechter Lehrer iſt, wird beantwortet durch die Frequenz, mit der ihn die Herren Studenten beehren. Nun iſt es aber eine Tatſache, daß der Umſtand, daß die Studenten einem Lehrer zuſtrömen, in weitgehendſtem Maße von reinen Äußerlichkeiten beſtimmt iſt: Temperament, ſogar Stimmfall, – in einem Grade, wie man es nicht für möglich halten ſollte. Jch habe nach immerhin ziemlich ausgiebigen Erfahrungen und nüchterner Überlegung ein tiefes Mißtrauen gegen die Maſſenkollegien, ſo unvermeidbar gewiß auch ſie ſind. Die Demokratie da, wo ſie hingehört. Wiſſenſchaftliche

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/7>, abgerufen am 29.03.2024.