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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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Auslese ganz ebenso vorkommen wie bei jeder anderen. Es
wäre unrecht, für den Umstand, daß zweifellos so viele Mittel-
mäßigkeiten an den Universitäten eine hervorragende Rolle
spielen, persönliche Minderwertigkeiten von Fakultäten oder
Ministerien verantwortlich zu machen. Sondern das liegt an
den Gesetzen menschlichen Zusammenwirkens, zumal eines Zu-
sammenwirkens mehrerer Körperschaften, hier: der vorschlagen-
den Fakultäten mit den Ministerien, an sich. Ein Gegenstück:
wir können durch viele Jahrhunderte die Vorgänge bei den
Papstwahlen verfolgen: das wichtigste kontrollierbare Beispiel
gleichartiger Personenauslese. Nur selten hat der Kardinal,
von dem man sagt: er ist "Favorit", die Chance, durchzukom-
men. Sondern in der Regel der Kandidat Nummer zwei oder
drei. Das gleiche beim Präsidenten der Vereinigten Staaten:
nur ausnahmsweise der allererste, aber: prononcierteste, Mann,
sondern meist Nummer zwei, oft Nummer drei, kommt in die
"Nomination" der Parteikonventionen hinein und nachher in
den Wahlgang: die Amerikaner haben für diese Kategorien
schon technisch soziologische Ausdrücke gebildet, und es wäre
ganz interessant, an diesen Beispielen die Gesetze einer Aus-
lese durch Kollektivwillensbildung zu untersuchen. Das tun
wir heute hier nicht. Aber sie gelten auch für Universitäts-
kollegien, und zu wundern hat man sich nicht darüber, daß da
öfter Fehlgriffe erfolgen, sondern daß eben doch, verhältnismäßig
angesehen, immerhin die Zahl der richtigen Besetzungen
eine trotz allem sehr bedeutende ist. Nur wo, wie in einzelnen
Ländern, die Parlamente oder, wie bei uns bisher, die
Monarchen (beides wirkt ganz gleichartig) oder jetzt
revolutionäre Gewalthaber aus politischen Gründen ein-
greifen, kann man sicher sein, daß bequeme Mittelmäßigkeiten
oder Streber allein die Chancen für sich haben.

Kein Universitätslehrer denkt gern an Besetzungserörterungen
zurück, denn sie sind selten angenehm. Und doch darf ich
sagen: der gute Wille, rein sachliche Gründe entscheiden zu
lassen, war in den mir bekannten zahlreichen Fällen ohne
Ausnahme da.

Denn man muß sich weiter verdeutlichen: es liegt nicht nur

Ausleſe ganz ebenſo vorkommen wie bei jeder anderen. Es
wäre unrecht, für den Umſtand, daß zweifellos ſo viele Mittel-
mäßigkeiten an den Univerſitäten eine hervorragende Rolle
ſpielen, perſönliche Minderwertigkeiten von Fakultäten oder
Miniſterien verantwortlich zu machen. Sondern das liegt an
den Geſetzen menſchlichen Zuſammenwirkens, zumal eines Zu-
ſammenwirkens mehrerer Körperſchaften, hier: der vorſchlagen-
den Fakultäten mit den Miniſterien, an ſich. Ein Gegenſtück:
wir können durch viele Jahrhunderte die Vorgänge bei den
Papſtwahlen verfolgen: das wichtigſte kontrollierbare Beiſpiel
gleichartiger Perſonenausleſe. Nur ſelten hat der Kardinal,
von dem man ſagt: er iſt „Favorit“, die Chance, durchzukom-
men. Sondern in der Regel der Kandidat Nummer zwei oder
drei. Das gleiche beim Präſidenten der Vereinigten Staaten:
nur ausnahmsweiſe der allererſte, aber: prononcierteſte, Mann,
ſondern meiſt Nummer zwei, oft Nummer drei, kommt in die
„Nomination“ der Parteikonventionen hinein und nachher in
den Wahlgang: die Amerikaner haben für dieſe Kategorien
ſchon techniſch ſoziologiſche Ausdrücke gebildet, und es wäre
ganz intereſſant, an dieſen Beiſpielen die Geſetze einer Aus-
leſe durch Kollektivwillenſbildung zu unterſuchen. Das tun
wir heute hier nicht. Aber ſie gelten auch für Univerſitäts-
kollegien, und zu wundern hat man ſich nicht darüber, daß da
öfter Fehlgriffe erfolgen, ſondern daß eben doch, verhältnismäßig
angeſehen, immerhin die Zahl der richtigen Beſetzungen
eine trotz allem ſehr bedeutende iſt. Nur wo, wie in einzelnen
Ländern, die Parlamente oder, wie bei uns bisher, die
Monarchen (beides wirkt ganz gleichartig) oder jetzt
revolutionäre Gewalthaber aus politiſchen Gründen ein-
greifen, kann man ſicher ſein, daß bequeme Mittelmäßigkeiten
oder Streber allein die Chancen für ſich haben.

Kein Univerſitätslehrer denkt gern an Beſetzungserörterungen
zurück, denn ſie ſind ſelten angenehm. Und doch darf ich
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laſſen, war in den mir bekannten zahlreichen Fällen ohne
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[7/0006] Ausleſe ganz ebenſo vorkommen wie bei jeder anderen. Es wäre unrecht, für den Umſtand, daß zweifellos ſo viele Mittel- mäßigkeiten an den Univerſitäten eine hervorragende Rolle ſpielen, perſönliche Minderwertigkeiten von Fakultäten oder Miniſterien verantwortlich zu machen. Sondern das liegt an den Geſetzen menſchlichen Zuſammenwirkens, zumal eines Zu- ſammenwirkens mehrerer Körperſchaften, hier: der vorſchlagen- den Fakultäten mit den Miniſterien, an ſich. Ein Gegenſtück: wir können durch viele Jahrhunderte die Vorgänge bei den Papſtwahlen verfolgen: das wichtigſte kontrollierbare Beiſpiel gleichartiger Perſonenausleſe. Nur ſelten hat der Kardinal, von dem man ſagt: er iſt „Favorit“, die Chance, durchzukom- men. Sondern in der Regel der Kandidat Nummer zwei oder drei. Das gleiche beim Präſidenten der Vereinigten Staaten: nur ausnahmsweiſe der allererſte, aber: prononcierteſte, Mann, ſondern meiſt Nummer zwei, oft Nummer drei, kommt in die „Nomination“ der Parteikonventionen hinein und nachher in den Wahlgang: die Amerikaner haben für dieſe Kategorien ſchon techniſch ſoziologiſche Ausdrücke gebildet, und es wäre ganz intereſſant, an dieſen Beiſpielen die Geſetze einer Aus- leſe durch Kollektivwillenſbildung zu unterſuchen. Das tun wir heute hier nicht. Aber ſie gelten auch für Univerſitäts- kollegien, und zu wundern hat man ſich nicht darüber, daß da öfter Fehlgriffe erfolgen, ſondern daß eben doch, verhältnismäßig angeſehen, immerhin die Zahl der richtigen Beſetzungen eine trotz allem ſehr bedeutende iſt. Nur wo, wie in einzelnen Ländern, die Parlamente oder, wie bei uns bisher, die Monarchen (beides wirkt ganz gleichartig) oder jetzt revolutionäre Gewalthaber aus politiſchen Gründen ein- greifen, kann man ſicher ſein, daß bequeme Mittelmäßigkeiten oder Streber allein die Chancen für ſich haben. Kein Univerſitätslehrer denkt gern an Beſetzungserörterungen zurück, denn ſie ſind ſelten angenehm. Und doch darf ich ſagen: der gute Wille, rein ſachliche Gründe entſcheiden zu laſſen, war in den mir bekannten zahlreichen Fällen ohne Ausnahme da. Denn man muß ſich weiter verdeutlichen: es liegt nicht nur

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/6>, abgerufen am 19.04.2024.