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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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lich widerlegen" zu wollen? Und doch ist klar: es ist, inner-
weltlich angesehen, eine Ethik der Würdelosigkeit, die hier ge-
predigt wird: man hat zu wählen zwischen der religiösen Würde,
die diese Ethik bringt, und der Manneswürde, die etwas ganz
anderes predigt: "Widerstehe dem Übel, - sonst bist du für
seine Übergewalt mitverantwortlich." Je nach der letzten Stellung-
nahme ist für den einzelnen das eine der Teufel und das
andere der Gott, und der einzelne hat sich zu entscheiden, welches
für ihn der Gott und welches der Teufel ist. Und so geht
es durch alle Ordnungen des Lebens hindurch. Der großartige
Rationalismus der ethisch-methodischen Lebensführung, der aus
jeder religiösen Prophetie quillt, hatte diese Vielgötterei ent-
thront zugunsten des "Einen, das not tut" - und hatte dann,
angesichts der Realitäten des äußeren und inneren Lebens, sich
zu jenen Kompromissen und Relativierungen genötigt gesehen,
die wir alle aus der Geschichte des Christentums kennen.
Heute aber ist es religiöser "Alltag". Die alten vielen Götter,
entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, ent-
steigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben
und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf. Das
aber, was gerade dem modernen Menschen so schwer wird, und
der jungen Generation am schwersten, ist: einem solchen All-
tag
gewachsen zu sein. Alles Jagen nach dem "Erlebnis"
stammt aus dieser Schwäche. Denn Schwäche ist es: dem
Schicksal der Zeit nicht in sein ernstes Antlitz blicken zu können.

Schicksal unserer Kultur aber ist, daß wir uns dessen wieder
deutlicher bewußt werden, nachdem durch ein Jahrtausend die
angeblich oder vermeintlich ausschließliche Orientierung an dem
großartigen Pathos der christlichen Ethik die Augen dafür
geblendet hatte.

Doch genug von diesen sehr ins Weite führenden Fragen.
Denn der Jrrtum, den ein Teil unserer Jugend begeht, wenn
er auf all das antworten würde: "Ja, aber wir kommen nun
einmal in die Vorlesung, um etwas anderes zu erleben als
nur Analysen und Tatsachenfeststellungen", - der Jrrtum ist
der, daß sie in dem Professor etwas anderes suchen, als ihnen

lich widerlegen“ zu wollen? Und doch iſt klar: es iſt, inner-
weltlich angeſehen, eine Ethik der Würdeloſigkeit, die hier ge-
predigt wird: man hat zu wählen zwiſchen der religiöſen Würde,
die dieſe Ethik bringt, und der Manneswürde, die etwas ganz
anderes predigt: „Widerſtehe dem Übel, – ſonſt biſt du für
ſeine Übergewalt mitverantwortlich.“ Je nach der letzten Stellung-
nahme iſt für den einzelnen das eine der Teufel und das
andere der Gott, und der einzelne hat ſich zu entſcheiden, welches
für ihn der Gott und welches der Teufel iſt. Und ſo geht
es durch alle Ordnungen des Lebens hindurch. Der großartige
Rationalismus der ethiſch-methodiſchen Lebensführung, der aus
jeder religiöſen Prophetie quillt, hatte dieſe Vielgötterei ent-
thront zugunſten des „Einen, das not tut“ – und hatte dann,
angeſichts der Realitäten des äußeren und inneren Lebens, ſich
zu jenen Kompromiſſen und Relativierungen genötigt geſehen,
die wir alle aus der Geſchichte des Chriſtentums kennen.
Heute aber iſt es religiöſer „Alltag“. Die alten vielen Götter,
entzaubert und daher in Geſtalt unperſönlicher Mächte, ent-
ſteigen ihren Gräbern, ſtreben nach Gewalt über unſer Leben
und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf. Das
aber, was gerade dem modernen Menſchen ſo ſchwer wird, und
der jungen Generation am ſchwerſten, iſt: einem ſolchen All-
tag
gewachſen zu ſein. Alles Jagen nach dem „Erlebnis“
ſtammt aus dieſer Schwäche. Denn Schwäche iſt es: dem
Schickſal der Zeit nicht in ſein ernſtes Antlitz blicken zu können.

Schickſal unſerer Kultur aber iſt, daß wir uns deſſen wieder
deutlicher bewußt werden, nachdem durch ein Jahrtauſend die
angeblich oder vermeintlich ausſchließliche Orientierung an dem
großartigen Pathos der chriſtlichen Ethik die Augen dafür
geblendet hatte.

Doch genug von dieſen ſehr ins Weite führenden Fragen.
Denn der Jrrtum, den ein Teil unſerer Jugend begeht, wenn
er auf all das antworten würde: „Ja, aber wir kommen nun
einmal in die Vorleſung, um etwas anderes zu erleben als
nur Analyſen und Tatsachenfeſtſtellungen“, – der Jrrtum iſt
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[28/0027] lich widerlegen“ zu wollen? Und doch iſt klar: es iſt, inner- weltlich angeſehen, eine Ethik der Würdeloſigkeit, die hier ge- predigt wird: man hat zu wählen zwiſchen der religiöſen Würde, die dieſe Ethik bringt, und der Manneswürde, die etwas ganz anderes predigt: „Widerſtehe dem Übel, – ſonſt biſt du für ſeine Übergewalt mitverantwortlich.“ Je nach der letzten Stellung- nahme iſt für den einzelnen das eine der Teufel und das andere der Gott, und der einzelne hat ſich zu entſcheiden, welches für ihn der Gott und welches der Teufel iſt. Und ſo geht es durch alle Ordnungen des Lebens hindurch. Der großartige Rationalismus der ethiſch-methodiſchen Lebensführung, der aus jeder religiöſen Prophetie quillt, hatte dieſe Vielgötterei ent- thront zugunſten des „Einen, das not tut“ – und hatte dann, angeſichts der Realitäten des äußeren und inneren Lebens, ſich zu jenen Kompromiſſen und Relativierungen genötigt geſehen, die wir alle aus der Geſchichte des Chriſtentums kennen. Heute aber iſt es religiöſer „Alltag“. Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Geſtalt unperſönlicher Mächte, ent- ſteigen ihren Gräbern, ſtreben nach Gewalt über unſer Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf. Das aber, was gerade dem modernen Menſchen ſo ſchwer wird, und der jungen Generation am ſchwerſten, iſt: einem ſolchen All- tag gewachſen zu ſein. Alles Jagen nach dem „Erlebnis“ ſtammt aus dieſer Schwäche. Denn Schwäche iſt es: dem Schickſal der Zeit nicht in ſein ernſtes Antlitz blicken zu können. Schickſal unſerer Kultur aber iſt, daß wir uns deſſen wieder deutlicher bewußt werden, nachdem durch ein Jahrtauſend die angeblich oder vermeintlich ausſchließliche Orientierung an dem großartigen Pathos der chriſtlichen Ethik die Augen dafür geblendet hatte. Doch genug von dieſen ſehr ins Weite führenden Fragen. Denn der Jrrtum, den ein Teil unſerer Jugend begeht, wenn er auf all das antworten würde: „Ja, aber wir kommen nun einmal in die Vorleſung, um etwas anderes zu erleben als nur Analyſen und Tatsachenfeſtſtellungen“, – der Jrrtum iſt der, daß ſie in dem Profeſſor etwas anderes ſuchen, als ihnen

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/27>, abgerufen am 29.03.2024.