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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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Der alte Mill, dessen Philosophie ich sonst nicht loben will,
aber in diesem Punkt hat er recht, sagt einmal: wenn man
von der reinen Erfahrung ausgehe, komme man zum Poly-
theismus. Das ist flach formuliert und klingt paradox, und
doch steckt Wahrheit darin. Wenn irgend etwas, so wissen wir
es heute wieder: daß etwas heilig sein kann nicht nur: obwohl es
nicht schön ist, sondern: weil und insofern es nicht schön ist, -
in dem 53. Kapitel des Jesaiasbuches und im 21. Psalm
können Sie die Belege dafür finden, - und daß etwas schön
sein kann nicht nur: obwohl, sondern: in dem, worin es nicht
gut ist, das wissen wir seit Nietzsche wieder, und vorher finden
Sie es gestaltet in den "fleurs du mal", wie Baudelaire seinen
Gedichtband nannte, - und eine Alltagsweisheit ist es, daß
etwas wahr sein kann, obwohl und indem es nicht schön und
nicht heilig und nicht gut ist. Aber das sind nur die elemen-
tarsten Fälle dieses Kampfes der Götter der einzelnen Ord-
nungen und Werte. Wie man es machen will, "wissenschaft-
lich" zu entscheiden zwischen dem Wert der französischen und
deutschen Kultur, weiß ich nicht. Hier streiten eben auch ver-
schiedene Götter miteinander, und zwar für alle Zeit. Es ist
wie in der alten, noch nicht von ihren Göttern und Dämonen
entzauberten Welt, nur in anderem Sinne: wie der Hellene
einmal der Aphrodite opferte, und dann dem Apollon und vor
allem jeder den Göttern seiner Stadt, so ist es, entzaubert und
entkleidet der mythischen, aber innerlich wahren Plastik jenes
Verhaltens, noch heute. Und über diesen Göttern und in ihrem
Kampf waltet das Schicksal, aber ganz gewiß keine "Wissen-
schaft". Es läßt sich nur verstehen, was das Göttliche für
die eine und für die andere oder: in der einen und der
anderen Ordnung ist. Damit ist aber die Sache für jede
Erörterung in einem Hörsaal und durch einen Professor
schlechterdings zu Ende, so wenig natürlich das darin steckende
gewaltige Lebensproblem selbst damit zu Ende ist. Aber
andere Mächte als die Katheder der Universitäten haben da
das Wort. Welcher Mensch wird sich vermessen, die Ethik der
Bergpredigt, etwa den Satz: "Widerstehe nicht dem Übel" oder
das Bild von der einen oder der anderen Backe, "wissenschaft-

Der alte Mill, deſſen Philoſophie ich ſonſt nicht loben will,
aber in dieſem Punkt hat er recht, ſagt einmal: wenn man
von der reinen Erfahrung ausgehe, komme man zum Poly-
theismus. Das iſt flach formuliert und klingt paradox, und
doch ſteckt Wahrheit darin. Wenn irgend etwas, ſo wiſſen wir
es heute wieder: daß etwas heilig ſein kann nicht nur: obwohl es
nicht ſchön iſt, ſondern: weil und inſofern es nicht ſchön iſt, –
in dem 53. Kapitel des Jeſaiasbuches und im 21. Pſalm
können Sie die Belege dafür finden, – und daß etwas ſchön
ſein kann nicht nur: obwohl, ſondern: in dem, worin es nicht
gut iſt, das wiſſen wir ſeit Nietzſche wieder, und vorher finden
Sie es geſtaltet in den „fleurs du mal“, wie Baudelaire ſeinen
Gedichtband nannte, – und eine Alltagsweiſheit iſt es, daß
etwas wahr ſein kann, obwohl und indem es nicht ſchön und
nicht heilig und nicht gut iſt. Aber das ſind nur die elemen-
tarſten Fälle dieſes Kampfes der Götter der einzelnen Ord-
nungen und Werte. Wie man es machen will, „wiſſenſchaft-
lich“ zu entſcheiden zwiſchen dem Wert der franzöſiſchen und
deutſchen Kultur, weiß ich nicht. Hier ſtreiten eben auch ver-
ſchiedene Götter miteinander, und zwar für alle Zeit. Es iſt
wie in der alten, noch nicht von ihren Göttern und Dämonen
entzauberten Welt, nur in anderem Sinne: wie der Hellene
einmal der Aphrodite opferte, und dann dem Apollon und vor
allem jeder den Göttern ſeiner Stadt, ſo iſt es, entzaubert und
entkleidet der mythiſchen, aber innerlich wahren Plaſtik jenes
Verhaltens, noch heute. Und über dieſen Göttern und in ihrem
Kampf waltet das Schickſal, aber ganz gewiß keine „Wiſſen-
ſchaft“. Es läßt ſich nur verſtehen, was das Göttliche für
die eine und für die andere oder: in der einen und der
anderen Ordnung iſt. Damit iſt aber die Sache für jede
Erörterung in einem Hörſaal und durch einen Profeſſor
ſchlechterdings zu Ende, ſo wenig natürlich das darin ſteckende
gewaltige Lebensproblem ſelbſt damit zu Ende iſt. Aber
andere Mächte als die Katheder der Univerſitäten haben da
das Wort. Welcher Menſch wird ſich vermeſſen, die Ethik der
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[27/0026] Der alte Mill, deſſen Philoſophie ich ſonſt nicht loben will, aber in dieſem Punkt hat er recht, ſagt einmal: wenn man von der reinen Erfahrung ausgehe, komme man zum Poly- theismus. Das iſt flach formuliert und klingt paradox, und doch ſteckt Wahrheit darin. Wenn irgend etwas, ſo wiſſen wir es heute wieder: daß etwas heilig ſein kann nicht nur: obwohl es nicht ſchön iſt, ſondern: weil und inſofern es nicht ſchön iſt, – in dem 53. Kapitel des Jeſaiasbuches und im 21. Pſalm können Sie die Belege dafür finden, – und daß etwas ſchön ſein kann nicht nur: obwohl, ſondern: in dem, worin es nicht gut iſt, das wiſſen wir ſeit Nietzſche wieder, und vorher finden Sie es geſtaltet in den „fleurs du mal“, wie Baudelaire ſeinen Gedichtband nannte, – und eine Alltagsweiſheit iſt es, daß etwas wahr ſein kann, obwohl und indem es nicht ſchön und nicht heilig und nicht gut iſt. Aber das ſind nur die elemen- tarſten Fälle dieſes Kampfes der Götter der einzelnen Ord- nungen und Werte. Wie man es machen will, „wiſſenſchaft- lich“ zu entſcheiden zwiſchen dem Wert der franzöſiſchen und deutſchen Kultur, weiß ich nicht. Hier ſtreiten eben auch ver- ſchiedene Götter miteinander, und zwar für alle Zeit. Es iſt wie in der alten, noch nicht von ihren Göttern und Dämonen entzauberten Welt, nur in anderem Sinne: wie der Hellene einmal der Aphrodite opferte, und dann dem Apollon und vor allem jeder den Göttern ſeiner Stadt, ſo iſt es, entzaubert und entkleidet der mythiſchen, aber innerlich wahren Plaſtik jenes Verhaltens, noch heute. Und über dieſen Göttern und in ihrem Kampf waltet das Schickſal, aber ganz gewiß keine „Wiſſen- ſchaft“. Es läßt ſich nur verſtehen, was das Göttliche für die eine und für die andere oder: in der einen und der anderen Ordnung iſt. Damit iſt aber die Sache für jede Erörterung in einem Hörſaal und durch einen Profeſſor ſchlechterdings zu Ende, ſo wenig natürlich das darin ſteckende gewaltige Lebensproblem ſelbſt damit zu Ende iſt. Aber andere Mächte als die Katheder der Univerſitäten haben da das Wort. Welcher Menſch wird ſich vermeſſen, die Ethik der Bergpredigt, etwa den Satz: „Widerſtehe nicht dem Übel“ oder das Bild von der einen oder der anderen Backe, „wiſſenſchaft-

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/26>, abgerufen am 23.04.2024.