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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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Geist widerbrüderlich. Danach also fragt sie nicht: ob es
Kunstwerke geben solle. - Oder die Jurisprudenz: - sie
stellt fest, was, nach den Regeln des teils zwingend logisch,
teils durch konventionell gegebene Schemata gebundenen juristi-
schen Denkens gilt, also: wenn bestimmte Rechtsregeln und
bestimmte Methoden ihrer Deutung als verbindlich anerkannt sind.
Ob es Recht geben solle, und ob man gerade diese Regeln
aufstellen solle, darauf antwortet sie nicht; sondern sie kann
nur angeben: wenn man den Erfolg will, so ist diese Rechts-
regel nach den Normen unseres Rechtsdenkens das geeignete
Mittel, ihn zu erreichen. Oder nehmen Sie die historischen
Kulturwissenschaften. Sie lehren politische, künstlerische, lite-
rarische und soziale Kulturerscheinungen in den Bedingungen
ihres Entstehens verstehen. Weder aber geben sie von sich aus
Antwort auf die Frage: ob diese Kulturerscheinungen es wert
waren und sind, zu bestehen. Noch antworten sie auf die
andere Frage: ob es der Mühe wert ist, sie zu kennen. Sie
setzen voraus, daß es ein Jnteresse habe, durch dies Verfahren
teilzuhaben an der Gemeinschaft der "Kulturmenschen".
Aber daß dies der Fall sei, vermögen sie "wissenschaftlich"
niemandem zu beweisen, und daß sie es voraussetzen, beweist
durchaus nicht, daß es selbstverständlich sei. Das ist es in
der Tat ganz und gar nicht.

Bleiben wir nun einmal bei den mir nächstliegenden Di-
ßiplinen, also bei der Soziologie, Geschichte, Nationalökonomie
und Staatslehre und jenen Arten von Kulturphilosophie, welche
sich ihre Deutung zur Aufgabe machen. Man sagt und ich
unterschreibe das: Politik gehört nicht in den Hörsaal.
Sie gehört nicht dahin von seiten der Studenten. Jch würde
es z. B. ganz ebenso beklagen, wenn etwa im Hörsaal meines
früheren Kollegen Dietrich Schäfer in Berlin pazifistische
Studenten sich um das Katheder stellten und Lärm von der
Art machten, wie es antipazifistische Studenten gegenüber dem
Professor Foerster, dem ich in meinen Anschauungen in vielem
so fern wie möglich stehe, getan haben sollen. Aber Politik
gehört allerdings auch nicht dahin von seiten des Dozenten.
Gerade dann nicht, wenn er sich wissenschaftlich mit Politik

Geiſt widerbrüderlich. Danach alſo fragt ſie nicht: ob es
Kunſtwerke geben solle. – Oder die Jurisprudenz: – ſie
ſtellt feſt, was, nach den Regeln des teils zwingend logiſch,
teils durch konventionell gegebene Schemata gebundenen juriſti-
ſchen Denkens gilt, alſo: wenn beſtimmte Rechtsregeln und
beſtimmte Methoden ihrer Deutung als verbindlich anerkannt ſind.
Ob es Recht geben ſolle, und ob man gerade dieſe Regeln
aufſtellen ſolle, darauf antwortet ſie nicht; ſondern ſie kann
nur angeben: wenn man den Erfolg will, ſo iſt dieſe Rechts-
regel nach den Normen unſeres Rechtsdenkens das geeignete
Mittel, ihn zu erreichen. Oder nehmen Sie die hiſtoriſchen
Kulturwiſſenſchaften. Sie lehren politiſche, künſtleriſche, lite-
rariſche und ſoziale Kulturerſcheinungen in den Bedingungen
ihres Entſtehens verſtehen. Weder aber geben ſie von ſich aus
Antwort auf die Frage: ob dieſe Kulturerſcheinungen es wert
waren und ſind, zu beſtehen. Noch antworten ſie auf die
andere Frage: ob es der Mühe wert iſt, ſie zu kennen. Sie
ſetzen voraus, daß es ein Jntereſſe habe, durch dies Verfahren
teilzuhaben an der Gemeinſchaft der „Kulturmenſchen“.
Aber daß dies der Fall ſei, vermögen ſie „wiſſenſchaftlich“
niemandem zu beweiſen, und daß ſie es vorausſetzen, beweiſt
durchaus nicht, daß es ſelbſtverſtändlich ſei. Das iſt es in
der Tat ganz und gar nicht.

Bleiben wir nun einmal bei den mir nächſtliegenden Di-
ſziplinen, alſo bei der Soziologie, Geſchichte, Nationalökonomie
und Staatslehre und jenen Arten von Kulturphiloſophie, welche
ſich ihre Deutung zur Aufgabe machen. Man ſagt und ich
unterſchreibe das: Politik gehört nicht in den Hörſaal.
Sie gehört nicht dahin von ſeiten der Studenten. Jch würde
es z. B. ganz ebenſo beklagen, wenn etwa im Hörſaal meines
früheren Kollegen Dietrich Schäfer in Berlin pazifiſtiſche
Studenten ſich um das Katheder ſtellten und Lärm von der
Art machten, wie es antipazifiſtiſche Studenten gegenüber dem
Profeſſor Foerſter, dem ich in meinen Anſchauungen in vielem
ſo fern wie möglich ſtehe, getan haben ſollen. Aber Politik
gehört allerdings auch nicht dahin von ſeiten des Dozenten.
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[23/0022] Geiſt widerbrüderlich. Danach alſo fragt ſie nicht: ob es Kunſtwerke geben solle. – Oder die Jurisprudenz: – ſie ſtellt feſt, was, nach den Regeln des teils zwingend logiſch, teils durch konventionell gegebene Schemata gebundenen juriſti- ſchen Denkens gilt, alſo: wenn beſtimmte Rechtsregeln und beſtimmte Methoden ihrer Deutung als verbindlich anerkannt ſind. Ob es Recht geben ſolle, und ob man gerade dieſe Regeln aufſtellen ſolle, darauf antwortet ſie nicht; ſondern ſie kann nur angeben: wenn man den Erfolg will, ſo iſt dieſe Rechts- regel nach den Normen unſeres Rechtsdenkens das geeignete Mittel, ihn zu erreichen. Oder nehmen Sie die hiſtoriſchen Kulturwiſſenſchaften. Sie lehren politiſche, künſtleriſche, lite- rariſche und ſoziale Kulturerſcheinungen in den Bedingungen ihres Entſtehens verſtehen. Weder aber geben ſie von ſich aus Antwort auf die Frage: ob dieſe Kulturerſcheinungen es wert waren und ſind, zu beſtehen. Noch antworten ſie auf die andere Frage: ob es der Mühe wert iſt, ſie zu kennen. Sie ſetzen voraus, daß es ein Jntereſſe habe, durch dies Verfahren teilzuhaben an der Gemeinſchaft der „Kulturmenſchen“. Aber daß dies der Fall ſei, vermögen ſie „wiſſenſchaftlich“ niemandem zu beweiſen, und daß ſie es vorausſetzen, beweiſt durchaus nicht, daß es ſelbſtverſtändlich ſei. Das iſt es in der Tat ganz und gar nicht. Bleiben wir nun einmal bei den mir nächſtliegenden Di- ſziplinen, alſo bei der Soziologie, Geſchichte, Nationalökonomie und Staatslehre und jenen Arten von Kulturphiloſophie, welche ſich ihre Deutung zur Aufgabe machen. Man ſagt und ich unterſchreibe das: Politik gehört nicht in den Hörſaal. Sie gehört nicht dahin von ſeiten der Studenten. Jch würde es z. B. ganz ebenſo beklagen, wenn etwa im Hörſaal meines früheren Kollegen Dietrich Schäfer in Berlin pazifiſtiſche Studenten ſich um das Katheder ſtellten und Lärm von der Art machten, wie es antipazifiſtiſche Studenten gegenüber dem Profeſſor Foerſter, dem ich in meinen Anſchauungen in vielem ſo fern wie möglich ſtehe, getan haben ſollen. Aber Politik gehört allerdings auch nicht dahin von ſeiten des Dozenten. Gerade dann nicht, wenn er ſich wiſſenſchaftlich mit Politik

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/22>, abgerufen am 24.04.2024.