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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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trauensmänner" einnahmen. Daneben aber entwickelte sich
für die Wahlkreise eine kapitalistische Unternehmergestalt: der
"Election Agent", dessen Existenz in der modernen, die Wahl-
reinheit sichernden Gesetzgebung Englands unvermeidlich war.
Diese Gesetzgebung versuchte, die Wahlkosten zu kontrollieren
und der Macht des Geldes entgegenzutreten, indem sie den
Kandidaten verpflichtete, anzugeben, was ihn die Wahl ge-
kostet hatte: denn der Kandidat hatte - weit mehr, als dies
früher auch bei uns vorkam - außer den Strapazen seiner
Stimme auch das Vergnügen, den Geldbeutel zu ziehen. Der
Election Agent ließ sich von ihm eine Pauschalsumme zahlen,
wobei er ein gutes Geschäft zu machen pflegte. - Jn der
Machtverteilung zwischen "leader" und Parteihonoratioren, im
Parlament und im Lande, hatte der erstere in England von
jeher, aus zwingenden Gründen der Ermöglichung einer großen
und dabei stetigen Politik, eine sehr bedeutende Stellung.
Jmmerhin war aber der Einfluß auch der Parlamentarier
und Parteihonoratioren noch erheblich.

So etwa sah die alte Parteiorganisation aus, halb Honoratioren-
wirtschaft, halb bereits Angestellten- und Unternehmerbetrieb.
Seit 1868 aber entwickelte sich zuerst für lokale Wahlen in Birming-
ham, dann im ganzen Lande, das "Caucus"-System. Ein non-
conformistischer Pfarrer und neben ihm Josef Chamberlain
riefen dieses System ins Leben. Anlaß war die Demokrati-
sierung
des Wahlrechts. Zur Massengewinnung wurde es
notwendig, einen ungeheuren Apparat von demokratisch aus-
sehenden Verbänden ins Leben zu rufen, in jedem Stadt-
quartier einen Wahlverband zu bilden, unausgesetzt den Betrieb
in Bewegung zu halten, alles straff zu bureaukratisieren: zunehmend
angestellte bezahlte Beamte, von den lokalen Wahlkomitees,
in denen bald im ganzen vielleicht 10% der Wähler organisiert
waren, gewählte Hauptvermittler mit Kooptationsrecht als
formelle Träger der Parteipolitik. Die treibende Kraft waren
die lokalen, vor allem die an der Kommunalpolitik - überall
der Quelle der fettesten materiellen Chancen - interessierten
Kreise, die auch die Finanzmittel in erster Linie aufbrachten.
Diese neuentstehende, nicht mehr parlamentarisch geleitete

trauensmänner“ einnahmen. Daneben aber entwickelte ſich
für die Wahlkreiſe eine kapitaliſtiſche Unternehmergeſtalt: der
„Election Agent“, deſſen Exiſtenz in der modernen, die Wahl-
reinheit ſichernden Geſetzgebung Englands unvermeidlich war.
Dieſe Geſetzgebung verſuchte, die Wahlkoſten zu kontrollieren
und der Macht des Geldes entgegenzutreten, indem ſie den
Kandidaten verpflichtete, anzugeben, was ihn die Wahl ge-
koſtet hatte: denn der Kandidat hatte – weit mehr, als dies
früher auch bei uns vorkam – außer den Strapazen ſeiner
Stimme auch das Vergnügen, den Geldbeutel zu ziehen. Der
Election Agent ließ ſich von ihm eine Pauſchalſumme zahlen,
wobei er ein gutes Geſchäft zu machen pflegte. – Jn der
Machtverteilung zwiſchen „leader“ und Parteihonoratioren, im
Parlament und im Lande, hatte der erſtere in England von
jeher, aus zwingenden Gründen der Ermöglichung einer großen
und dabei ſtetigen Politik, eine ſehr bedeutende Stellung.
Jmmerhin war aber der Einfluß auch der Parlamentarier
und Parteihonoratioren noch erheblich.

So etwa ſah die alte Parteiorganiſation aus, halb Honoratioren-
wirtſchaft, halb bereits Angeſtellten- und Unternehmerbetrieb.
Seit 1868 aber entwickelte ſich zuerſt für lokale Wahlen in Birming-
ham, dann im ganzen Lande, das „Caucus“-Syſtem. Ein non-
conformiſtiſcher Pfarrer und neben ihm Joſef Chamberlain
riefen dieſes Syſtem ins Leben. Anlaß war die Demokrati-
ſierung
des Wahlrechts. Zur Maſſengewinnung wurde es
notwendig, einen ungeheuren Apparat von demokratiſch aus-
ſehenden Verbänden ins Leben zu rufen, in jedem Stadt-
quartier einen Wahlverband zu bilden, unausgeſetzt den Betrieb
in Bewegung zu halten, alles ſtraff zu bureaukratiſieren: zunehmend
angeſtellte bezahlte Beamte, von den lokalen Wahlkomitees,
in denen bald im ganzen vielleicht 10% der Wähler organiſiert
waren, gewählte Hauptvermittler mit Kooptationsrecht als
formelle Träger der Parteipolitik. Die treibende Kraft waren
die lokalen, vor allem die an der Kommunalpolitik – überall
der Quelle der fetteſten materiellen Chancen – intereſſierten
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[37/0037] trauensmänner“ einnahmen. Daneben aber entwickelte ſich für die Wahlkreiſe eine kapitaliſtiſche Unternehmergeſtalt: der „Election Agent“, deſſen Exiſtenz in der modernen, die Wahl- reinheit ſichernden Geſetzgebung Englands unvermeidlich war. Dieſe Geſetzgebung verſuchte, die Wahlkoſten zu kontrollieren und der Macht des Geldes entgegenzutreten, indem ſie den Kandidaten verpflichtete, anzugeben, was ihn die Wahl ge- koſtet hatte: denn der Kandidat hatte – weit mehr, als dies früher auch bei uns vorkam – außer den Strapazen ſeiner Stimme auch das Vergnügen, den Geldbeutel zu ziehen. Der Election Agent ließ ſich von ihm eine Pauſchalſumme zahlen, wobei er ein gutes Geſchäft zu machen pflegte. – Jn der Machtverteilung zwiſchen „leader“ und Parteihonoratioren, im Parlament und im Lande, hatte der erſtere in England von jeher, aus zwingenden Gründen der Ermöglichung einer großen und dabei ſtetigen Politik, eine ſehr bedeutende Stellung. Jmmerhin war aber der Einfluß auch der Parlamentarier und Parteihonoratioren noch erheblich. So etwa ſah die alte Parteiorganiſation aus, halb Honoratioren- wirtſchaft, halb bereits Angeſtellten- und Unternehmerbetrieb. Seit 1868 aber entwickelte ſich zuerſt für lokale Wahlen in Birming- ham, dann im ganzen Lande, das „Caucus“-Syſtem. Ein non- conformiſtiſcher Pfarrer und neben ihm Joſef Chamberlain riefen dieſes Syſtem ins Leben. Anlaß war die Demokrati- ſierung des Wahlrechts. Zur Maſſengewinnung wurde es notwendig, einen ungeheuren Apparat von demokratiſch aus- ſehenden Verbänden ins Leben zu rufen, in jedem Stadt- quartier einen Wahlverband zu bilden, unausgeſetzt den Betrieb in Bewegung zu halten, alles ſtraff zu bureaukratiſieren: zunehmend angeſtellte bezahlte Beamte, von den lokalen Wahlkomitees, in denen bald im ganzen vielleicht 10% der Wähler organiſiert waren, gewählte Hauptvermittler mit Kooptationsrecht als formelle Träger der Parteipolitik. Die treibende Kraft waren die lokalen, vor allem die an der Kommunalpolitik – überall der Quelle der fetteſten materiellen Chancen – intereſſierten Kreiſe, die auch die Finanzmittel in erſter Linie aufbrachten. Dieſe neuentſtehende, nicht mehr parlamentariſch geleitete

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/37>, abgerufen am 28.03.2024.