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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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angehört. Wir müssen uns einer Betrachtung des Partei-
wesens und der Parteiorganisation zuwenden, um diese Figur
in ihrer entwicklungsgeschichtlichen Stellung zu begreifen.

Jn allen irgendwie umfangreichen, das heißt über den Be-
reich und Aufgabenkreis kleiner ländlicher Kantone hinaus-
gehenden politischen Verbänden mit periodischen Wahlen der Ge-
walthaber ist der politische Betrieb notwendig: Jnter-
essentenbetrieb
. Das heißt, eine relativ kleine Zahl
primär am politischen Leben, also an der Teilnahme an der
politischen Macht, Jnteressierter schaffen sich Gefolgschaft durch
freie Werbung, präsentieren sich oder ihre Schutzbefohlenen
als Wahlkandidaten, sammeln die Geldmittel und gehen auf
den Stimmenfang. Es ist unerfindlich, wie in großen Ver-
bänden Wahlen ohne diesen Betrieb überhaupt sachgemäß zu-
stande kommen sollten. Praktisch bedeutet er die Spaltung
der wahlberechtigten Staatsbürger in politisch aktive und
politisch passive Elemente, und da dieser Unterschied auf Frei-
willigkeit beruht, so kann er durch keinerlei Maßregeln, wie
Wahlpflicht oder "berufsständische" Vertretung oder der-
gleichen ausdrücklich oder tatsächlich gegen diesen Tatbestand
und damit gegen die Herrschaft der Berufspolitiker gerichteten
Vorschläge beseitigt werden. Führerschaft und Gefolgschaft,
als aktive Elemente freier Werbung: der Gefolgschaft sowohl
wie, durch diese, der passiven Wählerschaft für die Wahl des
Führers, sind notwendige Lebenselemente jeder Partei. Ver-
schieden aber ist ihre Struktur. Die "Parteien" etwa der
mittelalterlichen Städte, wie die Guelfen und Ghibellinen,
waren rein persönliche Gefolgschaften. Wenn man das
Statuto della parte Guelfa ansieht, die Konfiskation der Güter
der Nobili - das hieß ursprünglich aller derjenigen Familien,
die ritterlich lebten, also lehnsfähig waren -, ihren Aus-
schluß von Ämtern und Stimmrecht, die interlokalen Partei-
ausschüsse und die streng militärischen Organisationen und ihre
Denunziantenprämien, so fühlt man sich an den Bolschewis-
mus mit seinen Sowjets, seinen streng gesiebten Militär- und
- in Rußland vor allem - Spitzelorganisationen, der Ent-
waffnung und politischen Entrechtung der "Bürger", das heißt

angehört. Wir müſſen uns einer Betrachtung des Partei-
weſens und der Parteiorganiſation zuwenden, um dieſe Figur
in ihrer entwicklungsgeſchichtlichen Stellung zu begreifen.

Jn allen irgendwie umfangreichen, das heißt über den Be-
reich und Aufgabenkreis kleiner ländlicher Kantone hinaus-
gehenden politiſchen Verbänden mit periodiſchen Wahlen der Ge-
walthaber iſt der politiſche Betrieb notwendig: Jnter-
eſſentenbetrieb
. Das heißt, eine relativ kleine Zahl
primär am politiſchen Leben, alſo an der Teilnahme an der
politiſchen Macht, Jntereſſierter ſchaffen ſich Gefolgſchaft durch
freie Werbung, präſentieren ſich oder ihre Schutzbefohlenen
als Wahlkandidaten, ſammeln die Geldmittel und gehen auf
den Stimmenfang. Es iſt unerfindlich, wie in großen Ver-
bänden Wahlen ohne dieſen Betrieb überhaupt ſachgemäß zu-
ſtande kommen ſollten. Praktiſch bedeutet er die Spaltung
der wahlberechtigten Staatsbürger in politiſch aktive und
politiſch paſſive Elemente, und da dieſer Unterſchied auf Frei-
willigkeit beruht, ſo kann er durch keinerlei Maßregeln, wie
Wahlpflicht oder „berufsſtändiſche“ Vertretung oder der-
gleichen ausdrücklich oder tatsächlich gegen dieſen Tatbeſtand
und damit gegen die Herrſchaft der Berufspolitiker gerichteten
Vorſchläge beſeitigt werden. Führerſchaft und Gefolgſchaft,
als aktive Elemente freier Werbung: der Gefolgſchaft ſowohl
wie, durch dieſe, der paſſiven Wählerſchaft für die Wahl des
Führers, ſind notwendige Lebenselemente jeder Partei. Ver-
ſchieden aber iſt ihre Struktur. Die „Parteien“ etwa der
mittelalterlichen Städte, wie die Guelfen und Ghibellinen,
waren rein perſönliche Gefolgſchaften. Wenn man das
Statuto della parte Guelfa anſieht, die Konfiskation der Güter
der Nobili – das hieß urſprünglich aller derjenigen Familien,
die ritterlich lebten, alſo lehnsfähig waren –, ihren Aus-
ſchluß von Ämtern und Stimmrecht, die interlokalen Partei-
ausſchüſſe und die ſtreng militäriſchen Organiſationen und ihre
Denunziantenprämien, ſo fühlt man ſich an den Bolſchewis-
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[30/0030] angehört. Wir müſſen uns einer Betrachtung des Partei- weſens und der Parteiorganiſation zuwenden, um dieſe Figur in ihrer entwicklungsgeſchichtlichen Stellung zu begreifen. Jn allen irgendwie umfangreichen, das heißt über den Be- reich und Aufgabenkreis kleiner ländlicher Kantone hinaus- gehenden politiſchen Verbänden mit periodiſchen Wahlen der Ge- walthaber iſt der politiſche Betrieb notwendig: Jnter- eſſentenbetrieb. Das heißt, eine relativ kleine Zahl primär am politiſchen Leben, alſo an der Teilnahme an der politiſchen Macht, Jntereſſierter ſchaffen ſich Gefolgſchaft durch freie Werbung, präſentieren ſich oder ihre Schutzbefohlenen als Wahlkandidaten, ſammeln die Geldmittel und gehen auf den Stimmenfang. Es iſt unerfindlich, wie in großen Ver- bänden Wahlen ohne dieſen Betrieb überhaupt ſachgemäß zu- ſtande kommen ſollten. Praktiſch bedeutet er die Spaltung der wahlberechtigten Staatsbürger in politiſch aktive und politiſch paſſive Elemente, und da dieſer Unterſchied auf Frei- willigkeit beruht, ſo kann er durch keinerlei Maßregeln, wie Wahlpflicht oder „berufsſtändiſche“ Vertretung oder der- gleichen ausdrücklich oder tatsächlich gegen dieſen Tatbeſtand und damit gegen die Herrſchaft der Berufspolitiker gerichteten Vorſchläge beſeitigt werden. Führerſchaft und Gefolgſchaft, als aktive Elemente freier Werbung: der Gefolgſchaft ſowohl wie, durch dieſe, der paſſiven Wählerſchaft für die Wahl des Führers, ſind notwendige Lebenselemente jeder Partei. Ver- ſchieden aber iſt ihre Struktur. Die „Parteien“ etwa der mittelalterlichen Städte, wie die Guelfen und Ghibellinen, waren rein perſönliche Gefolgſchaften. Wenn man das Statuto della parte Guelfa anſieht, die Konfiskation der Güter der Nobili – das hieß urſprünglich aller derjenigen Familien, die ritterlich lebten, alſo lehnsfähig waren –, ihren Aus- ſchluß von Ämtern und Stimmrecht, die interlokalen Partei- ausſchüſſe und die ſtreng militäriſchen Organiſationen und ihre Denunziantenprämien, ſo fühlt man ſich an den Bolſchewis- mus mit ſeinen Sowjets, ſeinen ſtreng geſiebten Militär- und – in Rußland vor allem – Spitzelorganiſationen, der Ent- waffnung und politiſchen Entrechtung der „Bürger“, das heißt

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/30>, abgerufen am 24.04.2024.