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Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913.

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tätigen Schweizerfrauen um 102,000 statt, rund um 50 Prozent.
Heute ist die Zahl der weiblichen Erwerbskräfte weit über eine
halbe Million angewachsen.

Daß die Frauen- und Jugendlichen-Erwerbsarbeit in stetem
Steigen begriffen ist, geht auch aus den Berichten der schweize-
rischen Fabrikinspektoren hervor. Danach ist im Zeitraum von
1901 bis 1909 im 2. Jnspektionskreise die Zahl der jugendlichen
Erwerbstätigen um 70,3 Prozent, die der Frauen überhaupt um
88,1 Prozent gestiegen. Die Zunahme der jugendlichen Frauen
allein beträgt 82,6 Prozent, während die der männlichen Jugend-
lichen nur 59,2 Prozent ausmacht. Die Zahl der erwachsenen
Frauen verzeichnet eine Vermehrung um 80,2 Prozent. Die Ver-
gleichung mit dem numerischen Stand der männlichen Fabrik-
arbeiterschaft des betreffenden Kreises ergibt ein verhältnis-
mäßig stärkeres Anwachsen der weiblichen Fabrikarbeiter als der
männlichen, bei den Frauen um rund 17 Prozent; bei den jugend-
lichen Weiblichen um 25 Prozent. Wenn auch diese Verhält-
nisse nicht ohne weiteres eine Verallgemeinerung zulassen, so ist
aus den Aeußerungen der Fabrikinspektoren doch untrüglich zu
erkennen, daß die Zunahme der Verwendung weiblicher Arbeits-
kräfte in einem steten Fortschreiten begriffen ist.

Aus all diesen Zahlen redet in nicht zu mißdeutender Sprache
die Leibes- und Seelennot der modernen Arbeiterin, die erbar-
mungslos hinausgeworfen wird in den harten Daseinskampf, der
heute in seiner nackten Brutalität mehr als der Hälfte der heirats-
fähigen Arbeiterinnen den Eintritt in die Ehe verwehrt. Nicht
daß der Frauenüberschuß hierbei eine gewichtige Rolle spielt. Nach
der Volkszählung gab es in Deutschland 1900 27,246,000 Männer
und 28,284,000 Frauen, und 1907: 30,461,000 Männer und
31,259,500 Frauen; also 1900 einen Ueberschuß von ungefähr
1 Million Frauen, und 1907 von 800,000. Dieser macht sich erst
vom 16. Altersjahre an bemerkbar und erfährt die höchste Steige-
rung in den höheren Altersstufen. Unter 16 Jahren überwiegt das
männliche Geschlecht mit 50,000, in der Altersstufe von 16 bis 30
Jahren wendet sich das Verhältnis, indem sich ein Plus von
125,000 Frauen ergibt, das von 50 bis 70 Jahren die Höchstziffer
von 500,000 erreicht, und über die 70 Jahre hinaus wieder zurück-
sinkt auf 185,000. Die Jungweibernot, wie der Dichter Frenssen
die Altjungfernschaft nennt, beschränkt sich nicht etwa auf den
Frauenüberschuß, der im eigentlichen Heiratsalter, also vom 16.
bis 30. Jahre im obigen Falle 125,000 beträgt. Jn Wirklichkeit
waren im Jahre 1900 von den 6 3/4 Millionen erwerbstätigen
Frauen rund 70 Prozent unverheiratet, nämlich etwa 4 3/4 Mill.
Von 1900 bis 1907 nimmt dieser Prozentsatz sogar noch bedeutend
zu. Diese Tatsache wirft ein helles Schlaglicht auf das Familie

tätigen Schweizerfrauen um 102,000 statt, rund um 50 Prozent.
Heute ist die Zahl der weiblichen Erwerbskräfte weit über eine
halbe Million angewachsen.

Daß die Frauen- und Jugendlichen-Erwerbsarbeit in stetem
Steigen begriffen ist, geht auch aus den Berichten der schweize-
rischen Fabrikinspektoren hervor. Danach ist im Zeitraum von
1901 bis 1909 im 2. Jnspektionskreise die Zahl der jugendlichen
Erwerbstätigen um 70,3 Prozent, die der Frauen überhaupt um
88,1 Prozent gestiegen. Die Zunahme der jugendlichen Frauen
allein beträgt 82,6 Prozent, während die der männlichen Jugend-
lichen nur 59,2 Prozent ausmacht. Die Zahl der erwachsenen
Frauen verzeichnet eine Vermehrung um 80,2 Prozent. Die Ver-
gleichung mit dem numerischen Stand der männlichen Fabrik-
arbeiterschaft des betreffenden Kreises ergibt ein verhältnis-
mäßig stärkeres Anwachsen der weiblichen Fabrikarbeiter als der
männlichen, bei den Frauen um rund 17 Prozent; bei den jugend-
lichen Weiblichen um 25 Prozent. Wenn auch diese Verhält-
nisse nicht ohne weiteres eine Verallgemeinerung zulassen, so ist
aus den Aeußerungen der Fabrikinspektoren doch untrüglich zu
erkennen, daß die Zunahme der Verwendung weiblicher Arbeits-
kräfte in einem steten Fortschreiten begriffen ist.

Aus all diesen Zahlen redet in nicht zu mißdeutender Sprache
die Leibes- und Seelennot der modernen Arbeiterin, die erbar-
mungslos hinausgeworfen wird in den harten Daseinskampf, der
heute in seiner nackten Brutalität mehr als der Hälfte der heirats-
fähigen Arbeiterinnen den Eintritt in die Ehe verwehrt. Nicht
daß der Frauenüberschuß hierbei eine gewichtige Rolle spielt. Nach
der Volkszählung gab es in Deutschland 1900 27,246,000 Männer
und 28,284,000 Frauen, und 1907: 30,461,000 Männer und
31,259,500 Frauen; also 1900 einen Ueberschuß von ungefähr
1 Million Frauen, und 1907 von 800,000. Dieser macht sich erst
vom 16. Altersjahre an bemerkbar und erfährt die höchste Steige-
rung in den höheren Altersstufen. Unter 16 Jahren überwiegt das
männliche Geschlecht mit 50,000, in der Altersstufe von 16 bis 30
Jahren wendet sich das Verhältnis, indem sich ein Plus von
125,000 Frauen ergibt, das von 50 bis 70 Jahren die Höchstziffer
von 500,000 erreicht, und über die 70 Jahre hinaus wieder zurück-
sinkt auf 185,000. Die Jungweibernot, wie der Dichter Frenssen
die Altjungfernschaft nennt, beschränkt sich nicht etwa auf den
Frauenüberschuß, der im eigentlichen Heiratsalter, also vom 16.
bis 30. Jahre im obigen Falle 125,000 beträgt. Jn Wirklichkeit
waren im Jahre 1900 von den 6 ¾ Millionen erwerbstätigen
Frauen rund 70 Prozent unverheiratet, nämlich etwa 4 ¾ Mill.
Von 1900 bis 1907 nimmt dieser Prozentsatz sogar noch bedeutend
zu. Diese Tatsache wirft ein helles Schlaglicht auf das Familie

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[14/0014] tätigen Schweizerfrauen um 102,000 statt, rund um 50 Prozent. Heute ist die Zahl der weiblichen Erwerbskräfte weit über eine halbe Million angewachsen. Daß die Frauen- und Jugendlichen-Erwerbsarbeit in stetem Steigen begriffen ist, geht auch aus den Berichten der schweize- rischen Fabrikinspektoren hervor. Danach ist im Zeitraum von 1901 bis 1909 im 2. Jnspektionskreise die Zahl der jugendlichen Erwerbstätigen um 70,3 Prozent, die der Frauen überhaupt um 88,1 Prozent gestiegen. Die Zunahme der jugendlichen Frauen allein beträgt 82,6 Prozent, während die der männlichen Jugend- lichen nur 59,2 Prozent ausmacht. Die Zahl der erwachsenen Frauen verzeichnet eine Vermehrung um 80,2 Prozent. Die Ver- gleichung mit dem numerischen Stand der männlichen Fabrik- arbeiterschaft des betreffenden Kreises ergibt ein verhältnis- mäßig stärkeres Anwachsen der weiblichen Fabrikarbeiter als der männlichen, bei den Frauen um rund 17 Prozent; bei den jugend- lichen Weiblichen um 25 Prozent. Wenn auch diese Verhält- nisse nicht ohne weiteres eine Verallgemeinerung zulassen, so ist aus den Aeußerungen der Fabrikinspektoren doch untrüglich zu erkennen, daß die Zunahme der Verwendung weiblicher Arbeits- kräfte in einem steten Fortschreiten begriffen ist. Aus all diesen Zahlen redet in nicht zu mißdeutender Sprache die Leibes- und Seelennot der modernen Arbeiterin, die erbar- mungslos hinausgeworfen wird in den harten Daseinskampf, der heute in seiner nackten Brutalität mehr als der Hälfte der heirats- fähigen Arbeiterinnen den Eintritt in die Ehe verwehrt. Nicht daß der Frauenüberschuß hierbei eine gewichtige Rolle spielt. Nach der Volkszählung gab es in Deutschland 1900 27,246,000 Männer und 28,284,000 Frauen, und 1907: 30,461,000 Männer und 31,259,500 Frauen; also 1900 einen Ueberschuß von ungefähr 1 Million Frauen, und 1907 von 800,000. Dieser macht sich erst vom 16. Altersjahre an bemerkbar und erfährt die höchste Steige- rung in den höheren Altersstufen. Unter 16 Jahren überwiegt das männliche Geschlecht mit 50,000, in der Altersstufe von 16 bis 30 Jahren wendet sich das Verhältnis, indem sich ein Plus von 125,000 Frauen ergibt, das von 50 bis 70 Jahren die Höchstziffer von 500,000 erreicht, und über die 70 Jahre hinaus wieder zurück- sinkt auf 185,000. Die Jungweibernot, wie der Dichter Frenssen die Altjungfernschaft nennt, beschränkt sich nicht etwa auf den Frauenüberschuß, der im eigentlichen Heiratsalter, also vom 16. bis 30. Jahre im obigen Falle 125,000 beträgt. Jn Wirklichkeit waren im Jahre 1900 von den 6 ¾ Millionen erwerbstätigen Frauen rund 70 Prozent unverheiratet, nämlich etwa 4 ¾ Mill. Von 1900 bis 1907 nimmt dieser Prozentsatz sogar noch bedeutend zu. Diese Tatsache wirft ein helles Schlaglicht auf das Familie

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-10T14:18:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walter_frauenstimmrecht_1913/14>, abgerufen am 28.03.2024.