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Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913.

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nische Erfindung des 18. Jahrhunderts folgte, die mit mecha-
nischem Antrieb in Bewegung gesetzte Spinning Throstle von
Richard Arkwright, diese industrielle Revolution hatte wohl mit
leisen Schlägen an Herz und Verstand gepocht. Kaum daß das
erste schwache Rütteln von den Frauen verspürt wurde. Zu schwer
lastete der Druck der Vorurteile, der anerzogenen Gedankenlosig-
keit, wie Bleigewicht auf ihnen. Da auf einmal erklang ein
scharfer, hell metallener Ton! Die erlösende Botschaft des Sozia-
lismus, dieses allgewaltigen Schmerzens- und Leidensstillers. Wie
horchten die Frauen auf! Erst ungläubig die Köpfe schüttelnd,
bis es sie innerlich zerrte und riß, mit aller Macht auf sie ein-
stürmte und ihnen allmählich das beglückende und befreiende Pro-
phetenwort zur unentbehrlichen geistigen Nahrung wurde.

Mit dem Sieg der Maschinenarbeit über die Handarbeit
schlug der Kapitalismus der Frau die grausamsten Wunden. Unter
ihrer Einwirkung vollzog sich die Auflösung der patriarchalischen
Hausgenossenschaft noch rascher. Zweig um Zweig der produktiven
Arbeit wurde der bäuerlichen Hausindustrie entrissen und hinein
in die Fabriken verlegt. Der immer gewaltiger sich entfaltenden
Großindustrie werden die Arbeiterfrauen und Mädchen von Jahr
zu Jahr in steigendem Maße als Berufstätige, als Erwerbende
zugeführt. Karl Moor, Bern, gibt in seiner Broschüre: "Ueber das
Stimmrecht der Frauen" ein anschauliches Zahlenbild über den
Anteil des weiblichen Geschlechts an der modernen wirtschaft-
lichen Tätigkeit. Jch kann mich daher auf einige wenige Angaben
beschränken. Nach den zuverlässigsten in Betracht kommenden Be-
rechnungen war in Ungarn, Rußland, Oesterreich beinahe die
Hälfte der weiblichen Bevölkerung erwerbstätig, in Jtalien,
Frankreich, Deutschland etwas mehr als ein Drittel, in der
Schweiz, Belgien, Dänemark annähernd ein Drittel, während in
den industriell bedeutend weniger fortgeschrittenen Ländern, wie
Spanien und Portugal, die erwerbstätigen Weiblichen heute nur
ungefähr einen Siebentel der weiblichen Gesamtbevölkerung aus-
machen. Deutschland zum Beispiel zählte 1882 5,541,517 weibliche
Erwerbstätige; 1895 6,578,550 und 1907 sogar 9,492,881; also nach
Verlauf von 25 Jahren annähernd das Doppelte. Diese 9 1/2 Mill.
Frauen und Mädchen machen mehr als den vierten Teil der ge-
samten weiblichen Bevölkerung des deutschen Reiches aus. Aehn-
liche Zahlenverhältnisse weist die Schweiz auf. Die Volkszählung
von 1870 registrierte rund 217,500 erwerbende weibliche Personen:
freie Berufe, Kopfarbeiterinnen 10,000, Jndustrie 186,000 und
Handel 21,500. Die Volkszählung von 1900 ergab ein Anwachsen
der weiblichen Erwerbskräfte auf die Zahl 319,500: freie Berufe
24,000, Jndustrie 234,000 und Handel 61,500. Jn den 30 Jahren
von 1870 bis 1900 fand demnach eine Vermehrung der erwerbs-
-

nische Erfindung des 18. Jahrhunderts folgte, die mit mecha-
nischem Antrieb in Bewegung gesetzte Spinning Throstle von
Richard Arkwright, diese industrielle Revolution hatte wohl mit
leisen Schlägen an Herz und Verstand gepocht. Kaum daß das
erste schwache Rütteln von den Frauen verspürt wurde. Zu schwer
lastete der Druck der Vorurteile, der anerzogenen Gedankenlosig-
keit, wie Bleigewicht auf ihnen. Da auf einmal erklang ein
scharfer, hell metallener Ton! Die erlösende Botschaft des Sozia-
lismus, dieses allgewaltigen Schmerzens- und Leidensstillers. Wie
horchten die Frauen auf! Erst ungläubig die Köpfe schüttelnd,
bis es sie innerlich zerrte und riß, mit aller Macht auf sie ein-
stürmte und ihnen allmählich das beglückende und befreiende Pro-
phetenwort zur unentbehrlichen geistigen Nahrung wurde.

Mit dem Sieg der Maschinenarbeit über die Handarbeit
schlug der Kapitalismus der Frau die grausamsten Wunden. Unter
ihrer Einwirkung vollzog sich die Auflösung der patriarchalischen
Hausgenossenschaft noch rascher. Zweig um Zweig der produktiven
Arbeit wurde der bäuerlichen Hausindustrie entrissen und hinein
in die Fabriken verlegt. Der immer gewaltiger sich entfaltenden
Großindustrie werden die Arbeiterfrauen und Mädchen von Jahr
zu Jahr in steigendem Maße als Berufstätige, als Erwerbende
zugeführt. Karl Moor, Bern, gibt in seiner Broschüre: „Ueber das
Stimmrecht der Frauen“ ein anschauliches Zahlenbild über den
Anteil des weiblichen Geschlechts an der modernen wirtschaft-
lichen Tätigkeit. Jch kann mich daher auf einige wenige Angaben
beschränken. Nach den zuverlässigsten in Betracht kommenden Be-
rechnungen war in Ungarn, Rußland, Oesterreich beinahe die
Hälfte der weiblichen Bevölkerung erwerbstätig, in Jtalien,
Frankreich, Deutschland etwas mehr als ein Drittel, in der
Schweiz, Belgien, Dänemark annähernd ein Drittel, während in
den industriell bedeutend weniger fortgeschrittenen Ländern, wie
Spanien und Portugal, die erwerbstätigen Weiblichen heute nur
ungefähr einen Siebentel der weiblichen Gesamtbevölkerung aus-
machen. Deutschland zum Beispiel zählte 1882 5,541,517 weibliche
Erwerbstätige; 1895 6,578,550 und 1907 sogar 9,492,881; also nach
Verlauf von 25 Jahren annähernd das Doppelte. Diese 9 ½ Mill.
Frauen und Mädchen machen mehr als den vierten Teil der ge-
samten weiblichen Bevölkerung des deutschen Reiches aus. Aehn-
liche Zahlenverhältnisse weist die Schweiz auf. Die Volkszählung
von 1870 registrierte rund 217,500 erwerbende weibliche Personen:
freie Berufe, Kopfarbeiterinnen 10,000, Jndustrie 186,000 und
Handel 21,500. Die Volkszählung von 1900 ergab ein Anwachsen
der weiblichen Erwerbskräfte auf die Zahl 319,500: freie Berufe
24,000, Jndustrie 234,000 und Handel 61,500. Jn den 30 Jahren
von 1870 bis 1900 fand demnach eine Vermehrung der erwerbs-
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[13/0013] nische Erfindung des 18. Jahrhunderts folgte, die mit mecha- nischem Antrieb in Bewegung gesetzte Spinning Throstle von Richard Arkwright, diese industrielle Revolution hatte wohl mit leisen Schlägen an Herz und Verstand gepocht. Kaum daß das erste schwache Rütteln von den Frauen verspürt wurde. Zu schwer lastete der Druck der Vorurteile, der anerzogenen Gedankenlosig- keit, wie Bleigewicht auf ihnen. Da auf einmal erklang ein scharfer, hell metallener Ton! Die erlösende Botschaft des Sozia- lismus, dieses allgewaltigen Schmerzens- und Leidensstillers. Wie horchten die Frauen auf! Erst ungläubig die Köpfe schüttelnd, bis es sie innerlich zerrte und riß, mit aller Macht auf sie ein- stürmte und ihnen allmählich das beglückende und befreiende Pro- phetenwort zur unentbehrlichen geistigen Nahrung wurde. Mit dem Sieg der Maschinenarbeit über die Handarbeit schlug der Kapitalismus der Frau die grausamsten Wunden. Unter ihrer Einwirkung vollzog sich die Auflösung der patriarchalischen Hausgenossenschaft noch rascher. Zweig um Zweig der produktiven Arbeit wurde der bäuerlichen Hausindustrie entrissen und hinein in die Fabriken verlegt. Der immer gewaltiger sich entfaltenden Großindustrie werden die Arbeiterfrauen und Mädchen von Jahr zu Jahr in steigendem Maße als Berufstätige, als Erwerbende zugeführt. Karl Moor, Bern, gibt in seiner Broschüre: „Ueber das Stimmrecht der Frauen“ ein anschauliches Zahlenbild über den Anteil des weiblichen Geschlechts an der modernen wirtschaft- lichen Tätigkeit. Jch kann mich daher auf einige wenige Angaben beschränken. Nach den zuverlässigsten in Betracht kommenden Be- rechnungen war in Ungarn, Rußland, Oesterreich beinahe die Hälfte der weiblichen Bevölkerung erwerbstätig, in Jtalien, Frankreich, Deutschland etwas mehr als ein Drittel, in der Schweiz, Belgien, Dänemark annähernd ein Drittel, während in den industriell bedeutend weniger fortgeschrittenen Ländern, wie Spanien und Portugal, die erwerbstätigen Weiblichen heute nur ungefähr einen Siebentel der weiblichen Gesamtbevölkerung aus- machen. Deutschland zum Beispiel zählte 1882 5,541,517 weibliche Erwerbstätige; 1895 6,578,550 und 1907 sogar 9,492,881; also nach Verlauf von 25 Jahren annähernd das Doppelte. Diese 9 ½ Mill. Frauen und Mädchen machen mehr als den vierten Teil der ge- samten weiblichen Bevölkerung des deutschen Reiches aus. Aehn- liche Zahlenverhältnisse weist die Schweiz auf. Die Volkszählung von 1870 registrierte rund 217,500 erwerbende weibliche Personen: freie Berufe, Kopfarbeiterinnen 10,000, Jndustrie 186,000 und Handel 21,500. Die Volkszählung von 1900 ergab ein Anwachsen der weiblichen Erwerbskräfte auf die Zahl 319,500: freie Berufe 24,000, Jndustrie 234,000 und Handel 61,500. Jn den 30 Jahren von 1870 bis 1900 fand demnach eine Vermehrung der erwerbs- -

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Zitationshilfe: Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walter_frauenstimmrecht_1913/13>, abgerufen am 24.04.2024.