Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

des Nothwendigen. Die Wissenschaft ist daher das Mittel
der Erkenntniß, ihr Verfahren ein mittelbares, ihr Zweck
ein vermittelnder; wogegen das Leben das Unmittelbare,
sich selbst Bestimmende ist. Ist nun die Auflösung der
Wissenschaft die Anerkennung des unmittelbaren, sich selbst
bedingenden, also des wirklichen Lebens schlechtweg, so ge¬
winnt dieses Anerkenntniß seinen aufrichtigsten unmittel¬
baren Ausdruck in der Kunst, oder vielmehr im Kunst¬
werk
.

Wohl verfährt der Künstler zunächst nicht unmittel¬
bar; sein Schaffen ist allerdings ein vermittelndes, auswäh¬
lendes, willkürliches: aber gerade da, wo er vermittelt und
auswählt, ist das Werk seiner Thätigkeit noch nicht das
Kunstwerk; sein Verfahren ist vielmehr das der Wissen¬
schaft, der suchenden, forschenden, daher willkürlichen und
irrenden. Erst da, wo die Wahl getroffen ist, wo diese
Wahl eine nothwendige war und das Nothwendige er¬
wählte, -- da also, wo der Künstler sich im Gegenstande
selbst wieder gefunden hat, wie der vollkommene Mensch
sich in der Natur wiederfindet, -- erst da tritt das Kunst¬
werk in das Leben, erst da ist es etwas Wirkliches, sich
selbst Bestimmendes, Unmittelbares.

Das wirkliche Kunstwerk, d. h. das unmittelbar
sinnlich dargestellte
, in dem Momente seiner
leiblichsten Erscheinung
, ist daher auch erst die Er¬

des Nothwendigen. Die Wiſſenſchaft iſt daher das Mittel
der Erkenntniß, ihr Verfahren ein mittelbares, ihr Zweck
ein vermittelnder; wogegen das Leben das Unmittelbare,
ſich ſelbſt Beſtimmende iſt. Iſt nun die Auflöſung der
Wiſſenſchaft die Anerkennung des unmittelbaren, ſich ſelbſt
bedingenden, alſo des wirklichen Lebens ſchlechtweg, ſo ge¬
winnt dieſes Anerkenntniß ſeinen aufrichtigſten unmittel¬
baren Ausdruck in der Kunſt, oder vielmehr im Kunſt¬
werk
.

Wohl verfährt der Künſtler zunächſt nicht unmittel¬
bar; ſein Schaffen iſt allerdings ein vermittelndes, auswäh¬
lendes, willkürliches: aber gerade da, wo er vermittelt und
auswählt, iſt das Werk ſeiner Thätigkeit noch nicht das
Kunſtwerk; ſein Verfahren iſt vielmehr das der Wiſſen¬
ſchaft, der ſuchenden, forſchenden, daher willkürlichen und
irrenden. Erſt da, wo die Wahl getroffen iſt, wo dieſe
Wahl eine nothwendige war und das Nothwendige er¬
wählte, — da alſo, wo der Künſtler ſich im Gegenſtande
ſelbſt wieder gefunden hat, wie der vollkommene Menſch
ſich in der Natur wiederfindet, — erſt da tritt das Kunſt¬
werk in das Leben, erſt da iſt es etwas Wirkliches, ſich
ſelbſt Beſtimmendes, Unmittelbares.

Das wirkliche Kunſtwerk, d. h. das unmittelbar
ſinnlich dargeſtellte
, in dem Momente ſeiner
leiblichſten Erſcheinung
, iſt daher auch erſt die Er¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="7"/>
des Nothwendigen. Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t daher das Mittel<lb/>
der Erkenntniß, ihr Verfahren ein mittelbares, ihr Zweck<lb/>
ein vermittelnder; wogegen das Leben das Unmittelbare,<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t Be&#x017F;timmende i&#x017F;t. I&#x017F;t nun die Auflö&#x017F;ung der<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die Anerkennung des unmittelbaren, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
bedingenden, al&#x017F;o des wirklichen Lebens &#x017F;chlechtweg, &#x017F;o ge¬<lb/>
winnt die&#x017F;es Anerkenntniß &#x017F;einen aufrichtig&#x017F;ten unmittel¬<lb/>
baren Ausdruck in der Kun&#x017F;t, oder vielmehr im <hi rendition="#g">Kun&#x017F;<lb/>
werk</hi>.</p><lb/>
          <p>Wohl verfährt der Kün&#x017F;tler zunäch&#x017F;t nicht unmittel¬<lb/>
bar; &#x017F;ein Schaffen i&#x017F;t allerdings ein vermittelndes, auswäh¬<lb/>
lendes, willkürliches: aber gerade da, wo er vermittelt und<lb/>
auswählt, i&#x017F;t das Werk &#x017F;einer Thätigkeit noch nicht das<lb/>
Kun&#x017F;twerk; &#x017F;ein Verfahren i&#x017F;t vielmehr das der Wi&#x017F;&#x017F;en¬<lb/>
&#x017F;chaft, der &#x017F;uchenden, for&#x017F;chenden, daher willkürlichen und<lb/>
irrenden. Er&#x017F;t da, wo die Wahl getroffen i&#x017F;t, wo die&#x017F;e<lb/>
Wahl eine nothwendige war und das Nothwendige er¬<lb/>
wählte, &#x2014; da al&#x017F;o, wo der Kün&#x017F;tler &#x017F;ich im Gegen&#x017F;tande<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wieder gefunden hat, wie der vollkommene Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ich in der Natur wiederfindet, &#x2014; er&#x017F;t da tritt das Kun&#x017F;<lb/>
werk in das Leben, er&#x017F;t da i&#x017F;t es etwas Wirkliches, &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Be&#x017F;timmendes, Unmittelbares.</p><lb/>
          <p>Das wirkliche Kun&#x017F;twerk, d. h. <hi rendition="#g">das unmittelbar<lb/>
&#x017F;innlich darge&#x017F;tellte</hi>, <hi rendition="#g">in dem Momente &#x017F;einer<lb/>
leiblich&#x017F;ten Er&#x017F;cheinung</hi>, i&#x017F;t daher auch er&#x017F;t die Er¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0023] des Nothwendigen. Die Wiſſenſchaft iſt daher das Mittel der Erkenntniß, ihr Verfahren ein mittelbares, ihr Zweck ein vermittelnder; wogegen das Leben das Unmittelbare, ſich ſelbſt Beſtimmende iſt. Iſt nun die Auflöſung der Wiſſenſchaft die Anerkennung des unmittelbaren, ſich ſelbſt bedingenden, alſo des wirklichen Lebens ſchlechtweg, ſo ge¬ winnt dieſes Anerkenntniß ſeinen aufrichtigſten unmittel¬ baren Ausdruck in der Kunſt, oder vielmehr im Kunſt¬ werk. Wohl verfährt der Künſtler zunächſt nicht unmittel¬ bar; ſein Schaffen iſt allerdings ein vermittelndes, auswäh¬ lendes, willkürliches: aber gerade da, wo er vermittelt und auswählt, iſt das Werk ſeiner Thätigkeit noch nicht das Kunſtwerk; ſein Verfahren iſt vielmehr das der Wiſſen¬ ſchaft, der ſuchenden, forſchenden, daher willkürlichen und irrenden. Erſt da, wo die Wahl getroffen iſt, wo dieſe Wahl eine nothwendige war und das Nothwendige er¬ wählte, — da alſo, wo der Künſtler ſich im Gegenſtande ſelbſt wieder gefunden hat, wie der vollkommene Menſch ſich in der Natur wiederfindet, — erſt da tritt das Kunſt¬ werk in das Leben, erſt da iſt es etwas Wirkliches, ſich ſelbſt Beſtimmendes, Unmittelbares. Das wirkliche Kunſtwerk, d. h. das unmittelbar ſinnlich dargeſtellte, in dem Momente ſeiner leiblichſten Erſcheinung, iſt daher auch erſt die Er¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/23
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/23>, abgerufen am 29.03.2024.