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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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menhangsloser, endlicher Willensäußerungen hielt. In
der Lösung dieses Irrthumes besteht die Erkenntniß, und
diese ist das Begreifen der Nothwendigkeit in den Erschei¬
nungen, deren Grund uns Willkür däuchte.

Durch diese Erkenntniß wird die Natur sich ihrer
selbst bewußt, und zwar im Menschen, der nur durch seine
Selbstunterscheidung von der Natur dazu gelangte, die
Natur zu erkennen, indem sie ihm so Gegenstand wurde:
dieser Unterschied hört aber da wieder auf, wo der Mensch
das Wesen der Natur ebenfalls als sein eigenes, für alles
wirklich Vorhandene und Lebende, also für das mensch¬
liche Dasein nicht minder als für das Dasein der Natur,
dieselbe Nothwendigkeit, daher nicht allein den Zusammen¬
hang der natürlichen Erscheinungen unter sich, sondern
auch seinen eigenen Zusammenhang mit der Natur erkennt.

Gelangt nun die Natur, durch ihren Zusammenhang
mit dem Menschen, im Menschen zu ihrem Bewußtsein,
und soll die Bethätigung dieses Bewußtseins das mensch¬
liche Leben selbst sein, -- gleichsam als die Darstellung,
das Bild der Natur, -- so erreicht das menschliche Leben
selbst sein Verständniß durch die Wissenschaft, welche sich
dieses wiederum zum Gegenstande der Erfahrung macht;
die Bethätigung des durch die Wissenschaft errungenen
Bewußtseins, die Darstellung des durch sie erkannten Le¬

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menhangsloſer, endlicher Willensäußerungen hielt. In
der Löſung dieſes Irrthumes beſteht die Erkenntniß, und
dieſe iſt das Begreifen der Nothwendigkeit in den Erſchei¬
nungen, deren Grund uns Willkür däuchte.

Durch dieſe Erkenntniß wird die Natur ſich ihrer
ſelbſt bewußt, und zwar im Menſchen, der nur durch ſeine
Selbſtunterſcheidung von der Natur dazu gelangte, die
Natur zu erkennen, indem ſie ihm ſo Gegenſtand wurde:
dieſer Unterſchied hört aber da wieder auf, wo der Menſch
das Weſen der Natur ebenfalls als ſein eigenes, für alles
wirklich Vorhandene und Lebende, alſo für das menſch¬
liche Daſein nicht minder als für das Daſein der Natur,
dieſelbe Nothwendigkeit, daher nicht allein den Zuſammen¬
hang der natürlichen Erſcheinungen unter ſich, ſondern
auch ſeinen eigenen Zuſammenhang mit der Natur erkennt.

Gelangt nun die Natur, durch ihren Zuſammenhang
mit dem Menſchen, im Menſchen zu ihrem Bewußtſein,
und ſoll die Bethätigung dieſes Bewußtſeins das menſch¬
liche Leben ſelbſt ſein, — gleichſam als die Darſtellung,
das Bild der Natur, — ſo erreicht das menſchliche Leben
ſelbſt ſein Verſtändniß durch die Wiſſenſchaft, welche ſich
dieſes wiederum zum Gegenſtande der Erfahrung macht;
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Bewußtſeins, die Darſtellung des durch ſie erkannten Le¬

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[3/0019] menhangsloſer, endlicher Willensäußerungen hielt. In der Löſung dieſes Irrthumes beſteht die Erkenntniß, und dieſe iſt das Begreifen der Nothwendigkeit in den Erſchei¬ nungen, deren Grund uns Willkür däuchte. Durch dieſe Erkenntniß wird die Natur ſich ihrer ſelbſt bewußt, und zwar im Menſchen, der nur durch ſeine Selbſtunterſcheidung von der Natur dazu gelangte, die Natur zu erkennen, indem ſie ihm ſo Gegenſtand wurde: dieſer Unterſchied hört aber da wieder auf, wo der Menſch das Weſen der Natur ebenfalls als ſein eigenes, für alles wirklich Vorhandene und Lebende, alſo für das menſch¬ liche Daſein nicht minder als für das Daſein der Natur, dieſelbe Nothwendigkeit, daher nicht allein den Zuſammen¬ hang der natürlichen Erſcheinungen unter ſich, ſondern auch ſeinen eigenen Zuſammenhang mit der Natur erkennt. Gelangt nun die Natur, durch ihren Zuſammenhang mit dem Menſchen, im Menſchen zu ihrem Bewußtſein, und ſoll die Bethätigung dieſes Bewußtſeins das menſch¬ liche Leben ſelbſt ſein, — gleichſam als die Darſtellung, das Bild der Natur, — ſo erreicht das menſchliche Leben ſelbſt ſein Verſtändniß durch die Wiſſenſchaft, welche ſich dieſes wiederum zum Gegenſtande der Erfahrung macht; die Bethätigung des durch die Wiſſenſchaft errungenen Bewußtſeins, die Darſtellung des durch ſie erkannten Le¬ 1*

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/19>, abgerufen am 25.04.2024.