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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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und immer nur mit einem einzigen Unterkiefer bewaffnet, der aus zwei
in der Mittellinie verbundenen Hälften besteht und hauptsächlich nur
von unten nach oben wirkt, ein wesentlicher Unterschied von den Glie-
derthieren, bei welchen stets mehrere Kieferpaare vorhanden sind, die
von den Seiten her gegen einander sich bewegen. Nur bei sehr we-
nigen Wirbelthieren, die eine durchaus niedere Stufe der Bildung
einnehmen, fehlen die Kiefer gänzlich und sind durch besondere Lippen-
bildungen ersetzt. Die Bewaffnung der Mundhöhle wechselt außer-
ordentlich, bietet aber gerade dadurch vielfache Charaktere zur Unter-
scheidung größerer und kleinerer Gruppen. Meist sind Zähne
vorhanden von äußerst mannigfaltiger Struktur und Anordnung;
ganze Ordnungen und Klassen aber, wie die Schildkröten und Vögel,
entbehren derselben gänzlich und besitzen statt ihrer mehr oder minder
scharfrandige, gewöhnlich mit Hornplatten besetzte Kiefer. Bei den
Säugethieren beschränkt sich die Zahnbildung lediglich auf die eigent-
lichen Kieferknochen, während bei den Fischen, Amphibien und Reptilien
nicht nur sämmtliche an der Bildung der Mundhöhle theilnehmende
Gesichtsknochen, sondern auch einige Knochen der Schädelbasis und die
Zunge mit Zähnen besetzt sein können. Letztere bildet meist einen mehr
oder minder deutlichen Vorsprung, der in dem Raume zwischen beiden
Unterkieferhälften gelegen ist, an dem oft bedeutend entwickelten Zun-
genbeine eine feste Stütze findet und zwar fast überall einen eigenen
Geschmacksnerven, den Zungenschlundkopfnerven (Nervus glossopha-
ryngeus)
erhält, sich aber meist doch mehr als Tast- oder Greiforgan
entwickelt. Bei niederen Thieren erscheint die Zunge durchaus unbe-
weglich und an den Boden der Mundhöhle festgeheftet, während sie
bei höheren sich mehr und mehr befreit und oft eine außerordentliche
Beweglichkeit erhält. Meist erscheint sie mit dickem hornigem Ueber-
zuge versehen; seltener ist sie, wie bei dem Menschen, weich und nicht
nur zur Aufnahme von Geschmackseindrücken, sondern auch zur Mo-
dulation der Töne geeignet. Nur bei wenigen zerfällt das Darmrohr
in keine weiteren Abtheilungen, sondern setzt sich gerade, gleiche Weite
behauptend, von der Mundhöhle zum After fort; meistens unterscheidet
man den Schlund, der bei den kiemenathmenden Wirbelthieren auf
beiden Seiten Spalten hat, den Magen, öfters von complicirter Bil-
dung, besonders bei Pflanzenfressern, den Zwölffingerdarm, welcher
die Ausführungsgänge der Leber und der Bauchspeicheldrüse aufnimmt,
den Dünndarm, den Dickdarm, an dessen Anfang sich oft ein bedeu-
tender Blinddarm[...], sowie ein mehr oder minder langer Wurmfortsatz
kenntlich macht, und den Mastdarm, der durch den After nach außen

und immer nur mit einem einzigen Unterkiefer bewaffnet, der aus zwei
in der Mittellinie verbundenen Hälften beſteht und hauptſächlich nur
von unten nach oben wirkt, ein weſentlicher Unterſchied von den Glie-
derthieren, bei welchen ſtets mehrere Kieferpaare vorhanden ſind, die
von den Seiten her gegen einander ſich bewegen. Nur bei ſehr we-
nigen Wirbelthieren, die eine durchaus niedere Stufe der Bildung
einnehmen, fehlen die Kiefer gänzlich und ſind durch beſondere Lippen-
bildungen erſetzt. Die Bewaffnung der Mundhöhle wechſelt außer-
ordentlich, bietet aber gerade dadurch vielfache Charaktere zur Unter-
ſcheidung größerer und kleinerer Gruppen. Meiſt ſind Zähne
vorhanden von äußerſt mannigfaltiger Struktur und Anordnung;
ganze Ordnungen und Klaſſen aber, wie die Schildkröten und Vögel,
entbehren derſelben gänzlich und beſitzen ſtatt ihrer mehr oder minder
ſcharfrandige, gewöhnlich mit Hornplatten beſetzte Kiefer. Bei den
Säugethieren beſchränkt ſich die Zahnbildung lediglich auf die eigent-
lichen Kieferknochen, während bei den Fiſchen, Amphibien und Reptilien
nicht nur ſämmtliche an der Bildung der Mundhöhle theilnehmende
Geſichtsknochen, ſondern auch einige Knochen der Schädelbaſis und die
Zunge mit Zähnen beſetzt ſein können. Letztere bildet meiſt einen mehr
oder minder deutlichen Vorſprung, der in dem Raume zwiſchen beiden
Unterkieferhälften gelegen iſt, an dem oft bedeutend entwickelten Zun-
genbeine eine feſte Stütze findet und zwar faſt überall einen eigenen
Geſchmacksnerven, den Zungenſchlundkopfnerven (Nervus glossopha-
ryngeus)
erhält, ſich aber meiſt doch mehr als Taſt- oder Greiforgan
entwickelt. Bei niederen Thieren erſcheint die Zunge durchaus unbe-
weglich und an den Boden der Mundhöhle feſtgeheftet, während ſie
bei höheren ſich mehr und mehr befreit und oft eine außerordentliche
Beweglichkeit erhält. Meiſt erſcheint ſie mit dickem hornigem Ueber-
zuge verſehen; ſeltener iſt ſie, wie bei dem Menſchen, weich und nicht
nur zur Aufnahme von Geſchmackseindrücken, ſondern auch zur Mo-
dulation der Töne geeignet. Nur bei wenigen zerfällt das Darmrohr
in keine weiteren Abtheilungen, ſondern ſetzt ſich gerade, gleiche Weite
behauptend, von der Mundhöhle zum After fort; meiſtens unterſcheidet
man den Schlund, der bei den kiemenathmenden Wirbelthieren auf
beiden Seiten Spalten hat, den Magen, öfters von complicirter Bil-
dung, beſonders bei Pflanzenfreſſern, den Zwölffingerdarm, welcher
die Ausführungsgänge der Leber und der Bauchſpeicheldrüſe aufnimmt,
den Dünndarm, den Dickdarm, an deſſen Anfang ſich oft ein bedeu-
tender Blinddarm[…], ſowie ein mehr oder minder langer Wurmfortſatz
kenntlich macht, und den Maſtdarm, der durch den After nach außen

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[11/0017] und immer nur mit einem einzigen Unterkiefer bewaffnet, der aus zwei in der Mittellinie verbundenen Hälften beſteht und hauptſächlich nur von unten nach oben wirkt, ein weſentlicher Unterſchied von den Glie- derthieren, bei welchen ſtets mehrere Kieferpaare vorhanden ſind, die von den Seiten her gegen einander ſich bewegen. Nur bei ſehr we- nigen Wirbelthieren, die eine durchaus niedere Stufe der Bildung einnehmen, fehlen die Kiefer gänzlich und ſind durch beſondere Lippen- bildungen erſetzt. Die Bewaffnung der Mundhöhle wechſelt außer- ordentlich, bietet aber gerade dadurch vielfache Charaktere zur Unter- ſcheidung größerer und kleinerer Gruppen. Meiſt ſind Zähne vorhanden von äußerſt mannigfaltiger Struktur und Anordnung; ganze Ordnungen und Klaſſen aber, wie die Schildkröten und Vögel, entbehren derſelben gänzlich und beſitzen ſtatt ihrer mehr oder minder ſcharfrandige, gewöhnlich mit Hornplatten beſetzte Kiefer. Bei den Säugethieren beſchränkt ſich die Zahnbildung lediglich auf die eigent- lichen Kieferknochen, während bei den Fiſchen, Amphibien und Reptilien nicht nur ſämmtliche an der Bildung der Mundhöhle theilnehmende Geſichtsknochen, ſondern auch einige Knochen der Schädelbaſis und die Zunge mit Zähnen beſetzt ſein können. Letztere bildet meiſt einen mehr oder minder deutlichen Vorſprung, der in dem Raume zwiſchen beiden Unterkieferhälften gelegen iſt, an dem oft bedeutend entwickelten Zun- genbeine eine feſte Stütze findet und zwar faſt überall einen eigenen Geſchmacksnerven, den Zungenſchlundkopfnerven (Nervus glossopha- ryngeus) erhält, ſich aber meiſt doch mehr als Taſt- oder Greiforgan entwickelt. Bei niederen Thieren erſcheint die Zunge durchaus unbe- weglich und an den Boden der Mundhöhle feſtgeheftet, während ſie bei höheren ſich mehr und mehr befreit und oft eine außerordentliche Beweglichkeit erhält. Meiſt erſcheint ſie mit dickem hornigem Ueber- zuge verſehen; ſeltener iſt ſie, wie bei dem Menſchen, weich und nicht nur zur Aufnahme von Geſchmackseindrücken, ſondern auch zur Mo- dulation der Töne geeignet. Nur bei wenigen zerfällt das Darmrohr in keine weiteren Abtheilungen, ſondern ſetzt ſich gerade, gleiche Weite behauptend, von der Mundhöhle zum After fort; meiſtens unterſcheidet man den Schlund, der bei den kiemenathmenden Wirbelthieren auf beiden Seiten Spalten hat, den Magen, öfters von complicirter Bil- dung, beſonders bei Pflanzenfreſſern, den Zwölffingerdarm, welcher die Ausführungsgänge der Leber und der Bauchſpeicheldrüſe aufnimmt, den Dünndarm, den Dickdarm, an deſſen Anfang ſich oft ein bedeu- tender Blinddarm, ſowie ein mehr oder minder langer Wurmfortſatz kenntlich macht, und den Maſtdarm, der durch den After nach außen

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/17>, abgerufen am 28.03.2024.