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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Pflanzen verwandelten sich bei ihrer Fortpflanzung für eine Zeit lang
in Thiere, um später wieder Pflanzen zu werden. Besonnenere For-
scher gaben zu, daß man in der That die Bewegung dieser Pflanzen-
sporen kaum von derjenigen wirklicher, mit einem Munde versehener
Infusionsthierchen unterscheiden könne und daß demnach die freie Be-
wegung nicht als charakteristisches Kennzeichen zwischen Pflanzen und
Thiere angesehen werden dürfe.

Dieser freien Beweglichkeit der Keimkörner wegen werden noch
bis heute von vielen Naturforschern die Schwämme (Spongia) als eine

[Abbildung] Fig. 8.

Lebender Meerschwamm.

Art Mittelding zwischen Pflanzen und Thie-
ren betrachtet. Es sind meist knollige oder un-
regelmäßige, an den Boden der Gewässer gehef-
tete poröse Massen, die ein horniges, kalkiges
oder selbst kieseliges Skelett im Innern be-
sitzen, das aus netzartig verbundenen Fäden oder
einzelnen Stacheln und spießartigen Nadeln be-
steht und mit einer gallertartigen Masse überzogen ist. Auf der Außenfläche
sieht man kleinere Poren, durch die das Wasser eindringt und größere
Oeffnungen, durch welche es im Strahle ausfließt. Unser gewöhnlicher
Badeschwamm, der zu diesen Organismen gehört, liefert das beste
Beispiel der Structur der Schwämme. Man bemerkt keine Spur von
Empfindung und Bewegung an diesen Wesen; nur zu gewissen Zeiten
werden mit dem ausfließenden Wasser kleine runde oder eiförmige
Keimkörner ausgestoßen, die sich mittelst eines Ueberzuges von Wim-
perhaaren sehr lebhaft im Wasser bewegen, umherschwimmen, sich dann
fixiren und wieder zu Schwämmen auswachsen. Es ist, wie man
sieht, dasselbe Verhältniß hier, wie mit den Keimkörnern der Wasser-
fäden und gewiß kein Grund vorhanden, die Schwämme eher zu den
Thieren als zu den Pflanzen zu stellen.

Kurze Zeit hindurch glaubte man auch in der Natur der bewegen-
den Organe
selbst ein charakteristisches Merkmal entdeckt zu haben.
Bei den meisten höhern Thieren kommen auf den innern Häuten, bei
dem Menschen z. B. in der Nase und an einigen andern Stellen,
Ueberzüge von mikroskopischen Zellen vor, auf denen höchst feine
Flimmerhaare oder Wimpern stehen, die sich in beständiger schwingen-
der Bewegung befinden. Diese Flimmer- oder Wimperbewegung hängt
bei den meisten Thieren nicht von dem freien Willen ab; sie dauert
oft noch lange nach dem Tode fort; einzelne losgerissene Zellen dieser
Art schwimmen selbst mittelst ihrer Flimmerhaare in der Flüssigkeit
umher. Viele Infusionsthierchen haben entweder auf der ganzen

Vogt, Zoologische Briefe I. 3

Pflanzen verwandelten ſich bei ihrer Fortpflanzung für eine Zeit lang
in Thiere, um ſpäter wieder Pflanzen zu werden. Beſonnenere For-
ſcher gaben zu, daß man in der That die Bewegung dieſer Pflanzen-
ſporen kaum von derjenigen wirklicher, mit einem Munde verſehener
Infuſionsthierchen unterſcheiden könne und daß demnach die freie Be-
wegung nicht als charakteriſtiſches Kennzeichen zwiſchen Pflanzen und
Thiere angeſehen werden dürfe.

Dieſer freien Beweglichkeit der Keimkörner wegen werden noch
bis heute von vielen Naturforſchern die Schwämme (Spongia) als eine

[Abbildung] Fig. 8.

Lebender Meerſchwamm.

Art Mittelding zwiſchen Pflanzen und Thie-
ren betrachtet. Es ſind meiſt knollige oder un-
regelmäßige, an den Boden der Gewäſſer gehef-
tete poröſe Maſſen, die ein horniges, kalkiges
oder ſelbſt kieſeliges Skelett im Innern be-
ſitzen, das aus netzartig verbundenen Fäden oder
einzelnen Stacheln und ſpießartigen Nadeln be-
ſteht und mit einer gallertartigen Maſſe überzogen iſt. Auf der Außenfläche
ſieht man kleinere Poren, durch die das Waſſer eindringt und größere
Oeffnungen, durch welche es im Strahle ausfließt. Unſer gewöhnlicher
Badeſchwamm, der zu dieſen Organismen gehört, liefert das beſte
Beiſpiel der Structur der Schwämme. Man bemerkt keine Spur von
Empfindung und Bewegung an dieſen Weſen; nur zu gewiſſen Zeiten
werden mit dem ausfließenden Waſſer kleine runde oder eiförmige
Keimkörner ausgeſtoßen, die ſich mittelſt eines Ueberzuges von Wim-
perhaaren ſehr lebhaft im Waſſer bewegen, umherſchwimmen, ſich dann
fixiren und wieder zu Schwämmen auswachſen. Es iſt, wie man
ſieht, dasſelbe Verhältniß hier, wie mit den Keimkörnern der Waſſer-
fäden und gewiß kein Grund vorhanden, die Schwämme eher zu den
Thieren als zu den Pflanzen zu ſtellen.

Kurze Zeit hindurch glaubte man auch in der Natur der bewegen-
den Organe
ſelbſt ein charakteriſtiſches Merkmal entdeckt zu haben.
Bei den meiſten höhern Thieren kommen auf den innern Häuten, bei
dem Menſchen z. B. in der Naſe und an einigen andern Stellen,
Ueberzüge von mikroskopiſchen Zellen vor, auf denen höchſt feine
Flimmerhaare oder Wimpern ſtehen, die ſich in beſtändiger ſchwingen-
der Bewegung befinden. Dieſe Flimmer- oder Wimperbewegung hängt
bei den meiſten Thieren nicht von dem freien Willen ab; ſie dauert
oft noch lange nach dem Tode fort; einzelne losgeriſſene Zellen dieſer
Art ſchwimmen ſelbſt mittelſt ihrer Flimmerhaare in der Flüſſigkeit
umher. Viele Infuſionsthierchen haben entweder auf der ganzen

Vogt, Zoologiſche Briefe I. 3
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[33/0039] Pflanzen verwandelten ſich bei ihrer Fortpflanzung für eine Zeit lang in Thiere, um ſpäter wieder Pflanzen zu werden. Beſonnenere For- ſcher gaben zu, daß man in der That die Bewegung dieſer Pflanzen- ſporen kaum von derjenigen wirklicher, mit einem Munde verſehener Infuſionsthierchen unterſcheiden könne und daß demnach die freie Be- wegung nicht als charakteriſtiſches Kennzeichen zwiſchen Pflanzen und Thiere angeſehen werden dürfe. Dieſer freien Beweglichkeit der Keimkörner wegen werden noch bis heute von vielen Naturforſchern die Schwämme (Spongia) als eine [Abbildung Fig. 8. Lebender Meerſchwamm.] Art Mittelding zwiſchen Pflanzen und Thie- ren betrachtet. Es ſind meiſt knollige oder un- regelmäßige, an den Boden der Gewäſſer gehef- tete poröſe Maſſen, die ein horniges, kalkiges oder ſelbſt kieſeliges Skelett im Innern be- ſitzen, das aus netzartig verbundenen Fäden oder einzelnen Stacheln und ſpießartigen Nadeln be- ſteht und mit einer gallertartigen Maſſe überzogen iſt. Auf der Außenfläche ſieht man kleinere Poren, durch die das Waſſer eindringt und größere Oeffnungen, durch welche es im Strahle ausfließt. Unſer gewöhnlicher Badeſchwamm, der zu dieſen Organismen gehört, liefert das beſte Beiſpiel der Structur der Schwämme. Man bemerkt keine Spur von Empfindung und Bewegung an dieſen Weſen; nur zu gewiſſen Zeiten werden mit dem ausfließenden Waſſer kleine runde oder eiförmige Keimkörner ausgeſtoßen, die ſich mittelſt eines Ueberzuges von Wim- perhaaren ſehr lebhaft im Waſſer bewegen, umherſchwimmen, ſich dann fixiren und wieder zu Schwämmen auswachſen. Es iſt, wie man ſieht, dasſelbe Verhältniß hier, wie mit den Keimkörnern der Waſſer- fäden und gewiß kein Grund vorhanden, die Schwämme eher zu den Thieren als zu den Pflanzen zu ſtellen. Kurze Zeit hindurch glaubte man auch in der Natur der bewegen- den Organe ſelbſt ein charakteriſtiſches Merkmal entdeckt zu haben. Bei den meiſten höhern Thieren kommen auf den innern Häuten, bei dem Menſchen z. B. in der Naſe und an einigen andern Stellen, Ueberzüge von mikroskopiſchen Zellen vor, auf denen höchſt feine Flimmerhaare oder Wimpern ſtehen, die ſich in beſtändiger ſchwingen- der Bewegung befinden. Dieſe Flimmer- oder Wimperbewegung hängt bei den meiſten Thieren nicht von dem freien Willen ab; ſie dauert oft noch lange nach dem Tode fort; einzelne losgeriſſene Zellen dieſer Art ſchwimmen ſelbſt mittelſt ihrer Flimmerhaare in der Flüſſigkeit umher. Viele Infuſionsthierchen haben entweder auf der ganzen Vogt, Zoologiſche Briefe I. 3

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/39>, abgerufen am 19.04.2024.