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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Linne's Zeiten wohl ohne Ausnahme in mannichfacher Weise erhielten,
wurde ein großer Uebelstand herbeigeführt, der in der Unbestimmtheit
der Gattungsnamen beruht. Spricht Jemand heut zu Tage von der
Gattung Canis, so ist es erst nöthig zu fragen: "Meinst Du die
Gattung in der Ausdehnung wie Linne, wie Storr, wie Illiger, wie
Fred. Cuvier, oder wie Isidor Geoffroy-St.-Hilaire, indem jeder dieser
Forscher die Gattung in anderer Weise umschreibt?" Man hat diesem
Uebelstande dadurch abzuhelfen gesucht, daß man den Namen der Au-
torität, welche die Gattung in der Weise umgrenzt hatte, wie man
sie selbst annahm, hinter den Artnamen setzte. Allein auch diejenigen,
welche neue Arten beschrieben hatten, wollten durch Beifügung ihres
Namens die Verantwortlichkeit für die Berechtigung der neuen Art über-
nehmen. So entstand aufs Neue Verwirrung; -- man wußte nicht,
sollte man die Autorität auf die Umgrenzung des Gattungsnamens
oder auf die Bestimmung der Art beziehen, und da die liebe Eitelkeit
gar Manchen verleitete, nur um deßwillen eine neue Gattung oder
eine neue Art aufzustellen, um seinen Namen in den Registern der
Wissenschaft fortgeführt zu sehen, so wurde die Verwirrung nur noch
heilloser. Endlich hat man sich so ziemlich dahin verständigt, daß man
den Namen desjenigen sowohl, welcher die Gattung umgrenzte, wie
auch desjenigen, der die Art zuerst aufstellte, hinter den eigentlichen
Artnamen setzt und daß man als Synonyme diejenigen Namen an-
führt, welche von früheren Autoren gegeben wurden. Sehr oft kommt
es vor, daß dieselbe Art von verschiedenen Forschern verschieden benannt
wurde, meist wohl weil die Spätern in der Beschreibung ihrer Vor-
gänger das ihnen vorliegende Object nicht wieder erkannten. Man
zieht in diesem Falle den ältesten Artnamen vor, indem man die üb-
rigen als Synonyme citirt.

Die Nomenclatur und Synonymik bilden das unentbehrliche ABC
der Wissenschaft und sind ebenfalls so trocken und langweilig als die-
ses. Weit übler aber als diese Trockenheit ist der Umstand, daß in
ihnen ein grauenerregender historischer Ballast mitgeführt wird, der
sich mit jedem Jahre mehrt, ohne daß man wüßte, wie man der alten
Steine los werden könnte. Wenn es nur irgend einmal einem Quer-
kopfe eingefallen ist, in einem verbreiteten Journale einer längst be-
kannten Art einen neuen Namen zu leihen, oder einen gewöhnlichen
Spatzen von den andern deßhalb zu unterscheiden, weil er ein röth-
liches Federchen auf dem Kopfe hat, so wird der neugebildete Namen
fort und fort durch Register,[...] Abhandlungen und Handbücher unter

Linné’s Zeiten wohl ohne Ausnahme in mannichfacher Weiſe erhielten,
wurde ein großer Uebelſtand herbeigeführt, der in der Unbeſtimmtheit
der Gattungsnamen beruht. Spricht Jemand heut zu Tage von der
Gattung Canis, ſo iſt es erſt nöthig zu fragen: „Meinſt Du die
Gattung in der Ausdehnung wie Linné, wie Storr, wie Illiger, wie
Fred. Cuvier, oder wie Iſidor Geoffroy-St.-Hilaire, indem jeder dieſer
Forſcher die Gattung in anderer Weiſe umſchreibt?“ Man hat dieſem
Uebelſtande dadurch abzuhelfen geſucht, daß man den Namen der Au-
torität, welche die Gattung in der Weiſe umgrenzt hatte, wie man
ſie ſelbſt annahm, hinter den Artnamen ſetzte. Allein auch diejenigen,
welche neue Arten beſchrieben hatten, wollten durch Beifügung ihres
Namens die Verantwortlichkeit für die Berechtigung der neuen Art über-
nehmen. So entſtand aufs Neue Verwirrung; — man wußte nicht,
ſollte man die Autorität auf die Umgrenzung des Gattungsnamens
oder auf die Beſtimmung der Art beziehen, und da die liebe Eitelkeit
gar Manchen verleitete, nur um deßwillen eine neue Gattung oder
eine neue Art aufzuſtellen, um ſeinen Namen in den Regiſtern der
Wiſſenſchaft fortgeführt zu ſehen, ſo wurde die Verwirrung nur noch
heilloſer. Endlich hat man ſich ſo ziemlich dahin verſtändigt, daß man
den Namen desjenigen ſowohl, welcher die Gattung umgrenzte, wie
auch desjenigen, der die Art zuerſt aufſtellte, hinter den eigentlichen
Artnamen ſetzt und daß man als Synonyme diejenigen Namen an-
führt, welche von früheren Autoren gegeben wurden. Sehr oft kommt
es vor, daß dieſelbe Art von verſchiedenen Forſchern verſchieden benannt
wurde, meiſt wohl weil die Spätern in der Beſchreibung ihrer Vor-
gänger das ihnen vorliegende Object nicht wieder erkannten. Man
zieht in dieſem Falle den älteſten Artnamen vor, indem man die üb-
rigen als Synonyme citirt.

Die Nomenclatur und Synonymik bilden das unentbehrliche ABC
der Wiſſenſchaft und ſind ebenfalls ſo trocken und langweilig als die-
ſes. Weit übler aber als dieſe Trockenheit iſt der Umſtand, daß in
ihnen ein grauenerregender hiſtoriſcher Ballaſt mitgeführt wird, der
ſich mit jedem Jahre mehrt, ohne daß man wüßte, wie man der alten
Steine los werden könnte. Wenn es nur irgend einmal einem Quer-
kopfe eingefallen iſt, in einem verbreiteten Journale einer längſt be-
kannten Art einen neuen Namen zu leihen, oder einen gewöhnlichen
Spatzen von den andern deßhalb zu unterſcheiden, weil er ein röth-
liches Federchen auf dem Kopfe hat, ſo wird der neugebildete Namen
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[26/0032] Linné’s Zeiten wohl ohne Ausnahme in mannichfacher Weiſe erhielten, wurde ein großer Uebelſtand herbeigeführt, der in der Unbeſtimmtheit der Gattungsnamen beruht. Spricht Jemand heut zu Tage von der Gattung Canis, ſo iſt es erſt nöthig zu fragen: „Meinſt Du die Gattung in der Ausdehnung wie Linné, wie Storr, wie Illiger, wie Fred. Cuvier, oder wie Iſidor Geoffroy-St.-Hilaire, indem jeder dieſer Forſcher die Gattung in anderer Weiſe umſchreibt?“ Man hat dieſem Uebelſtande dadurch abzuhelfen geſucht, daß man den Namen der Au- torität, welche die Gattung in der Weiſe umgrenzt hatte, wie man ſie ſelbſt annahm, hinter den Artnamen ſetzte. Allein auch diejenigen, welche neue Arten beſchrieben hatten, wollten durch Beifügung ihres Namens die Verantwortlichkeit für die Berechtigung der neuen Art über- nehmen. So entſtand aufs Neue Verwirrung; — man wußte nicht, ſollte man die Autorität auf die Umgrenzung des Gattungsnamens oder auf die Beſtimmung der Art beziehen, und da die liebe Eitelkeit gar Manchen verleitete, nur um deßwillen eine neue Gattung oder eine neue Art aufzuſtellen, um ſeinen Namen in den Regiſtern der Wiſſenſchaft fortgeführt zu ſehen, ſo wurde die Verwirrung nur noch heilloſer. Endlich hat man ſich ſo ziemlich dahin verſtändigt, daß man den Namen desjenigen ſowohl, welcher die Gattung umgrenzte, wie auch desjenigen, der die Art zuerſt aufſtellte, hinter den eigentlichen Artnamen ſetzt und daß man als Synonyme diejenigen Namen an- führt, welche von früheren Autoren gegeben wurden. Sehr oft kommt es vor, daß dieſelbe Art von verſchiedenen Forſchern verſchieden benannt wurde, meiſt wohl weil die Spätern in der Beſchreibung ihrer Vor- gänger das ihnen vorliegende Object nicht wieder erkannten. Man zieht in dieſem Falle den älteſten Artnamen vor, indem man die üb- rigen als Synonyme citirt. Die Nomenclatur und Synonymik bilden das unentbehrliche ABC der Wiſſenſchaft und ſind ebenfalls ſo trocken und langweilig als die- ſes. Weit übler aber als dieſe Trockenheit iſt der Umſtand, daß in ihnen ein grauenerregender hiſtoriſcher Ballaſt mitgeführt wird, der ſich mit jedem Jahre mehrt, ohne daß man wüßte, wie man der alten Steine los werden könnte. Wenn es nur irgend einmal einem Quer- kopfe eingefallen iſt, in einem verbreiteten Journale einer längſt be- kannten Art einen neuen Namen zu leihen, oder einen gewöhnlichen Spatzen von den andern deßhalb zu unterſcheiden, weil er ein röth- liches Federchen auf dem Kopfe hat, ſo wird der neugebildete Namen fort und fort durch Regiſter, Abhandlungen und Handbücher unter

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/32>, abgerufen am 28.03.2024.