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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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esel und das Maulthier; so hat man auch Bastarte gesehen von Hund
und Wolf, Löwe und Tiger u. s. w. Trotz dieser Charakteristik der
Gattung, muß indessen zugestanden werden, daß die Anwendung dieses
Begriffes eine mehr oder minder willkürliche ist, indem die Werth-
schätzung der wesentlichen Merkmale hauptsächlich dem Takte der ein-
zelnen Forscher überlassen bleibt. Auch das ist noch zu berücksichtigen,
daß oft mit dem größern Reichthum an Material gewisse Charaktere,
die den früheren Forschern, welche nur wenig Arten kannten, ziemlich
unwesentlich erschienen, eine größere Wichtigkeit erhalten, indem Grup-
pen von Arten derselben Gattung diese Charaktere besitzen, während
sie andern abgehen. Aus diesem Grunde ist es erklärlich, warum fast
aus jeder neuen Bearbeitung eine größere Zerspaltung der früheren
Geschlechter hervorgeht. Ein Beispiel möge dies erläutern: Linne hatte
unter der Gattung Hund (Canis) nicht allein den Hund, den Wolf
und den Fuchs, sondern auch die Hyäne begriffen, obgleich letztere
einen, von den übrigen Arten sehr abweichenden Zahnbau besitzt und
ihr namentlich die Höckerzähne, welche jene haben, gänzlich mangeln.
Ein Zeitgenosse Linne's schon, Storr, trennte die beiden Hyänen mit
Hervorhebung ihrer Unterschiede von den Hunden ab und bildete für
sie die besondere Gattung Hyaena, welche jetzt sogar, besonders durch
fossile Gattungen, der Typus einer Familie geworden ist. Linne kannte
nur eine Art Fuchs; er hielt die nordischen Eisfüchse nur für Va-
rietäten des gewöhnlichen Fuchses. Man entdeckte nach und nach fast
ein Dutzend verschiedener Arten, welche alle mit unserm gewöhnlichen
Fuchse sich dadurch von den übrigen Hundearten unterscheiden, daß
sie einen dichtbehaarten, langen Schwanz, eine spitze Schnauze und
Pupillen haben, welche eine senkrechte Spalte bilden, während die Pu-
pille der übrigen Hunde rund ist; auch die obern Schneidezähne
zeigen eine geringe Verschiedenheit. Auf diese Gründe gestützt, trennten
einige Naturforscher die Füchse gänzlich von den Hunden ab, indem
sie die Gattung Vulpes errichteten; -- andere, indem sie die alte Gat-
tung Canis beibehielten, bildeten darin mehrere Gruppen oder Unter-
gattungen (Subgenus), die eigentlichen Hunde, die Füchse, die groß-
ohrigen Hunde von Afrika u. s. w. begreifend. Man sieht aus diesem
Beispiele, daß es gewissermaßen von dem freien Willen des Natur-
forschers abhängt, ob er die unterscheidenden Merkmale der Füchse für
genügend hält, um sie durch einen eignen Gattungsnamen auszuzeich-
nen, oder ob er diese Merkmale nur zur engeren Gruppirung der
Arten innerhalb einer größeren Gattung benutzt.

Durch die verschiedenen Begrenzungen, welche die Gattungen seit

eſel und das Maulthier; ſo hat man auch Baſtarte geſehen von Hund
und Wolf, Löwe und Tiger u. ſ. w. Trotz dieſer Charakteriſtik der
Gattung, muß indeſſen zugeſtanden werden, daß die Anwendung dieſes
Begriffes eine mehr oder minder willkürliche iſt, indem die Werth-
ſchätzung der weſentlichen Merkmale hauptſächlich dem Takte der ein-
zelnen Forſcher überlaſſen bleibt. Auch das iſt noch zu berückſichtigen,
daß oft mit dem größern Reichthum an Material gewiſſe Charaktere,
die den früheren Forſchern, welche nur wenig Arten kannten, ziemlich
unweſentlich erſchienen, eine größere Wichtigkeit erhalten, indem Grup-
pen von Arten derſelben Gattung dieſe Charaktere beſitzen, während
ſie andern abgehen. Aus dieſem Grunde iſt es erklärlich, warum faſt
aus jeder neuen Bearbeitung eine größere Zerſpaltung der früheren
Geſchlechter hervorgeht. Ein Beiſpiel möge dies erläutern: Linné hatte
unter der Gattung Hund (Canis) nicht allein den Hund, den Wolf
und den Fuchs, ſondern auch die Hyäne begriffen, obgleich letztere
einen, von den übrigen Arten ſehr abweichenden Zahnbau beſitzt und
ihr namentlich die Höckerzähne, welche jene haben, gänzlich mangeln.
Ein Zeitgenoſſe Linné’s ſchon, Storr, trennte die beiden Hyänen mit
Hervorhebung ihrer Unterſchiede von den Hunden ab und bildete für
ſie die beſondere Gattung Hyaena, welche jetzt ſogar, beſonders durch
foſſile Gattungen, der Typus einer Familie geworden iſt. Linné kannte
nur eine Art Fuchs; er hielt die nordiſchen Eisfüchſe nur für Va-
rietäten des gewöhnlichen Fuchſes. Man entdeckte nach und nach faſt
ein Dutzend verſchiedener Arten, welche alle mit unſerm gewöhnlichen
Fuchſe ſich dadurch von den übrigen Hundearten unterſcheiden, daß
ſie einen dichtbehaarten, langen Schwanz, eine ſpitze Schnauze und
Pupillen haben, welche eine ſenkrechte Spalte bilden, während die Pu-
pille der übrigen Hunde rund iſt; auch die obern Schneidezähne
zeigen eine geringe Verſchiedenheit. Auf dieſe Gründe geſtützt, trennten
einige Naturforſcher die Füchſe gänzlich von den Hunden ab, indem
ſie die Gattung Vulpes errichteten; — andere, indem ſie die alte Gat-
tung Canis beibehielten, bildeten darin mehrere Gruppen oder Unter-
gattungen (Subgenus), die eigentlichen Hunde, die Füchſe, die groß-
ohrigen Hunde von Afrika u. ſ. w. begreifend. Man ſieht aus dieſem
Beiſpiele, daß es gewiſſermaßen von dem freien Willen des Natur-
forſchers abhängt, ob er die unterſcheidenden Merkmale der Füchſe für
genügend hält, um ſie durch einen eignen Gattungsnamen auszuzeich-
nen, oder ob er dieſe Merkmale nur zur engeren Gruppirung der
Arten innerhalb einer größeren Gattung benutzt.

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[25/0031] eſel und das Maulthier; ſo hat man auch Baſtarte geſehen von Hund und Wolf, Löwe und Tiger u. ſ. w. Trotz dieſer Charakteriſtik der Gattung, muß indeſſen zugeſtanden werden, daß die Anwendung dieſes Begriffes eine mehr oder minder willkürliche iſt, indem die Werth- ſchätzung der weſentlichen Merkmale hauptſächlich dem Takte der ein- zelnen Forſcher überlaſſen bleibt. Auch das iſt noch zu berückſichtigen, daß oft mit dem größern Reichthum an Material gewiſſe Charaktere, die den früheren Forſchern, welche nur wenig Arten kannten, ziemlich unweſentlich erſchienen, eine größere Wichtigkeit erhalten, indem Grup- pen von Arten derſelben Gattung dieſe Charaktere beſitzen, während ſie andern abgehen. Aus dieſem Grunde iſt es erklärlich, warum faſt aus jeder neuen Bearbeitung eine größere Zerſpaltung der früheren Geſchlechter hervorgeht. Ein Beiſpiel möge dies erläutern: Linné hatte unter der Gattung Hund (Canis) nicht allein den Hund, den Wolf und den Fuchs, ſondern auch die Hyäne begriffen, obgleich letztere einen, von den übrigen Arten ſehr abweichenden Zahnbau beſitzt und ihr namentlich die Höckerzähne, welche jene haben, gänzlich mangeln. Ein Zeitgenoſſe Linné’s ſchon, Storr, trennte die beiden Hyänen mit Hervorhebung ihrer Unterſchiede von den Hunden ab und bildete für ſie die beſondere Gattung Hyaena, welche jetzt ſogar, beſonders durch foſſile Gattungen, der Typus einer Familie geworden iſt. Linné kannte nur eine Art Fuchs; er hielt die nordiſchen Eisfüchſe nur für Va- rietäten des gewöhnlichen Fuchſes. Man entdeckte nach und nach faſt ein Dutzend verſchiedener Arten, welche alle mit unſerm gewöhnlichen Fuchſe ſich dadurch von den übrigen Hundearten unterſcheiden, daß ſie einen dichtbehaarten, langen Schwanz, eine ſpitze Schnauze und Pupillen haben, welche eine ſenkrechte Spalte bilden, während die Pu- pille der übrigen Hunde rund iſt; auch die obern Schneidezähne zeigen eine geringe Verſchiedenheit. Auf dieſe Gründe geſtützt, trennten einige Naturforſcher die Füchſe gänzlich von den Hunden ab, indem ſie die Gattung Vulpes errichteten; — andere, indem ſie die alte Gat- tung Canis beibehielten, bildeten darin mehrere Gruppen oder Unter- gattungen (Subgenus), die eigentlichen Hunde, die Füchſe, die groß- ohrigen Hunde von Afrika u. ſ. w. begreifend. Man ſieht aus dieſem Beiſpiele, daß es gewiſſermaßen von dem freien Willen des Natur- forſchers abhängt, ob er die unterſcheidenden Merkmale der Füchſe für genügend hält, um ſie durch einen eignen Gattungsnamen auszuzeich- nen, oder ob er dieſe Merkmale nur zur engeren Gruppirung der Arten innerhalb einer größeren Gattung benutzt. Durch die verſchiedenen Begrenzungen, welche die Gattungen ſeit

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/31>, abgerufen am 24.04.2024.