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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Absicht, gewissen religiösen Sagen gefällig zu sein, sogar so weit aus-
gedehnt, daß man die Art dahin definirte, sie sei der Inbegriff aller
Individuen, welche von einem Eltern-Paare abstammen. Man that
hier wahrlich den Mährchen von der Arche Noah zu viel Ehre an.
Hätte man gesagt, die Art sei der Inbegriff aller derjenigen Indivi-
duen, deren Charaktere so übereinstimmend seien, daß sie möglicher
Weise von denselben Eltern abstammen können, so wäre man voll-
kommen in den Grenzen der Wahrheit und der Wahrscheinlichkeit ge-
blieben, wenn gleich selbst diese Annahme eines einzigen Elternpaares
bei genauerer Betrachtung eine vollkommene Absurdität in sich schließt.
Die größere Zahl der Thiere, wenigstens weit über die Hälfte, lebt
von anderen Arten und ist in ihrer Existenz auf die Verzehrung der-
selben angewiesen. Die Entstehung der jetzigen Schöpfung in je nur
einem Paare in jeder Art würde zur nothwendigen Folge gehabt ha-
ben, daß die von Pflanzen lebenden Thiere unmittelbar vertilgt und
die Ueberbleibenden dem Hungertode in wenig Tagen Preis gegeben
gewesen wären. Wir gehen hier nicht weiter auf das theoretische
Gebiet der Entstehung der Arten selbst ein; wir stellen nur so viel als
Resultat der Beobachtungen hin, daß dieselbe sich mit den gleichen
Charakteren fortpflanzt und daß diese Charaktere im Laufe der Zeiten
unverändert geblieben sind.

Man hat noch aus den ziemlich bedeutenden Veränderungen,
welche die Hausthiere in Folge ihrer Abhängigkeit vom Menschen er-
leiden, Schlüsse auf die Veränderlichkeit der Art ziehen wollen. In
der That hat es die Kunst soweit gebracht, durch Kreuzung besonders
gebildeter Eltern, durch besondere Nahrung und Wartung, Abarten
und Racen zu erzeugen, die sich constant fortpflanzen und durch Farbe,
Beschaffenheit der Haare und Knochen, Größe und Körperverhältnisse
oft die bedeutensten Differenzen darbieten. Nichts desto weniger gehen
diese Verschiedenheiten nie so weit, daß sie die wesentlichsten Organe
betreffen. Die Theile des Skelettes bleiben dieselben und es ist noch
Niemanden eingefallen behaupten zu wollen, daß man durch Kreuzung
der Nacen den Zahnbau oder die Gehirnstruktur der Hunde ge-
ändert habe.

Wenn es so feststeht, daß die Art bestimmte Charaktere habe,
welche sich bei der Fortpflanzung stets wieder fortzeugen, so ist freilich
die praktische Anwendung dieses Grundsatzes in einzelnen Fällen oft
schwierig. Besonders in den Fällen sind Irrthümer nicht zu vermei-
den, wo durch direkte Beobachtung der Fortpflanzung diejenigen Cha-
raktere nicht ermittelt wurden, welche durch die äußern Einflüsse modi-

Abſicht, gewiſſen religiöſen Sagen gefällig zu ſein, ſogar ſo weit aus-
gedehnt, daß man die Art dahin definirte, ſie ſei der Inbegriff aller
Individuen, welche von einem Eltern-Paare abſtammen. Man that
hier wahrlich den Mährchen von der Arche Noah zu viel Ehre an.
Hätte man geſagt, die Art ſei der Inbegriff aller derjenigen Indivi-
duen, deren Charaktere ſo übereinſtimmend ſeien, daß ſie möglicher
Weiſe von denſelben Eltern abſtammen können, ſo wäre man voll-
kommen in den Grenzen der Wahrheit und der Wahrſcheinlichkeit ge-
blieben, wenn gleich ſelbſt dieſe Annahme eines einzigen Elternpaares
bei genauerer Betrachtung eine vollkommene Abſurdität in ſich ſchließt.
Die größere Zahl der Thiere, wenigſtens weit über die Hälfte, lebt
von anderen Arten und iſt in ihrer Exiſtenz auf die Verzehrung der-
ſelben angewieſen. Die Entſtehung der jetzigen Schöpfung in je nur
einem Paare in jeder Art würde zur nothwendigen Folge gehabt ha-
ben, daß die von Pflanzen lebenden Thiere unmittelbar vertilgt und
die Ueberbleibenden dem Hungertode in wenig Tagen Preis gegeben
geweſen wären. Wir gehen hier nicht weiter auf das theoretiſche
Gebiet der Entſtehung der Arten ſelbſt ein; wir ſtellen nur ſo viel als
Reſultat der Beobachtungen hin, daß dieſelbe ſich mit den gleichen
Charakteren fortpflanzt und daß dieſe Charaktere im Laufe der Zeiten
unverändert geblieben ſind.

Man hat noch aus den ziemlich bedeutenden Veränderungen,
welche die Hausthiere in Folge ihrer Abhängigkeit vom Menſchen er-
leiden, Schlüſſe auf die Veränderlichkeit der Art ziehen wollen. In
der That hat es die Kunſt ſoweit gebracht, durch Kreuzung beſonders
gebildeter Eltern, durch beſondere Nahrung und Wartung, Abarten
und Raçen zu erzeugen, die ſich conſtant fortpflanzen und durch Farbe,
Beſchaffenheit der Haare und Knochen, Größe und Körperverhältniſſe
oft die bedeutenſten Differenzen darbieten. Nichts deſto weniger gehen
dieſe Verſchiedenheiten nie ſo weit, daß ſie die weſentlichſten Organe
betreffen. Die Theile des Skelettes bleiben dieſelben und es iſt noch
Niemanden eingefallen behaupten zu wollen, daß man durch Kreuzung
der Naçen den Zahnbau oder die Gehirnſtruktur der Hunde ge-
ändert habe.

Wenn es ſo feſtſteht, daß die Art beſtimmte Charaktere habe,
welche ſich bei der Fortpflanzung ſtets wieder fortzeugen, ſo iſt freilich
die praktiſche Anwendung dieſes Grundſatzes in einzelnen Fällen oft
ſchwierig. Beſonders in den Fällen ſind Irrthümer nicht zu vermei-
den, wo durch direkte Beobachtung der Fortpflanzung diejenigen Cha-
raktere nicht ermittelt wurden, welche durch die äußern Einflüſſe modi-

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[22/0028] Abſicht, gewiſſen religiöſen Sagen gefällig zu ſein, ſogar ſo weit aus- gedehnt, daß man die Art dahin definirte, ſie ſei der Inbegriff aller Individuen, welche von einem Eltern-Paare abſtammen. Man that hier wahrlich den Mährchen von der Arche Noah zu viel Ehre an. Hätte man geſagt, die Art ſei der Inbegriff aller derjenigen Indivi- duen, deren Charaktere ſo übereinſtimmend ſeien, daß ſie möglicher Weiſe von denſelben Eltern abſtammen können, ſo wäre man voll- kommen in den Grenzen der Wahrheit und der Wahrſcheinlichkeit ge- blieben, wenn gleich ſelbſt dieſe Annahme eines einzigen Elternpaares bei genauerer Betrachtung eine vollkommene Abſurdität in ſich ſchließt. Die größere Zahl der Thiere, wenigſtens weit über die Hälfte, lebt von anderen Arten und iſt in ihrer Exiſtenz auf die Verzehrung der- ſelben angewieſen. Die Entſtehung der jetzigen Schöpfung in je nur einem Paare in jeder Art würde zur nothwendigen Folge gehabt ha- ben, daß die von Pflanzen lebenden Thiere unmittelbar vertilgt und die Ueberbleibenden dem Hungertode in wenig Tagen Preis gegeben geweſen wären. Wir gehen hier nicht weiter auf das theoretiſche Gebiet der Entſtehung der Arten ſelbſt ein; wir ſtellen nur ſo viel als Reſultat der Beobachtungen hin, daß dieſelbe ſich mit den gleichen Charakteren fortpflanzt und daß dieſe Charaktere im Laufe der Zeiten unverändert geblieben ſind. Man hat noch aus den ziemlich bedeutenden Veränderungen, welche die Hausthiere in Folge ihrer Abhängigkeit vom Menſchen er- leiden, Schlüſſe auf die Veränderlichkeit der Art ziehen wollen. In der That hat es die Kunſt ſoweit gebracht, durch Kreuzung beſonders gebildeter Eltern, durch beſondere Nahrung und Wartung, Abarten und Raçen zu erzeugen, die ſich conſtant fortpflanzen und durch Farbe, Beſchaffenheit der Haare und Knochen, Größe und Körperverhältniſſe oft die bedeutenſten Differenzen darbieten. Nichts deſto weniger gehen dieſe Verſchiedenheiten nie ſo weit, daß ſie die weſentlichſten Organe betreffen. Die Theile des Skelettes bleiben dieſelben und es iſt noch Niemanden eingefallen behaupten zu wollen, daß man durch Kreuzung der Naçen den Zahnbau oder die Gehirnſtruktur der Hunde ge- ändert habe. Wenn es ſo feſtſteht, daß die Art beſtimmte Charaktere habe, welche ſich bei der Fortpflanzung ſtets wieder fortzeugen, ſo iſt freilich die praktiſche Anwendung dieſes Grundſatzes in einzelnen Fällen oft ſchwierig. Beſonders in den Fällen ſind Irrthümer nicht zu vermei- den, wo durch direkte Beobachtung der Fortpflanzung diejenigen Cha- raktere nicht ermittelt wurden, welche durch die äußern Einflüſſe modi-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/28>, abgerufen am 19.04.2024.