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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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lage des nächsten Typus stattfinde. Wir werden Gelegenheit haben
die letztere Meinung noch weitläufiger auseinanderzusetzen.

Wenn man früher sich wesentlich an die äußern Charaktere der
Thiere gehalten hatte, selbst so sehr, daß Linne vielen Spott erdulden
mußte, als er die Ordnungen der Säugethiere auf den Bau der Zähne
gründete (einer seiner Gegner warf ihm vor, Adam habe bei der
Namengebung im Paradiese den Thieren das Maul nicht aufgerissen,
um nach den Zähnen zu schauen); wenn dann durch Cuvier's und
seiner Nachfolger Bestrebungen die Classification hauptsächlich auf die
innere Organisation, auf den Bau der Organe im erwachsenen Thiere
und auf die Beziehungen der Letzteren zu einander gegründet wur-
den, so bricht sich jetzt eine neue Richtung Bahn, auf deren Ent-
wickelung die Revolution von 1848 vielleicht bestimmt ist einen ähn-
lichen befruchtenden Einfluß zu üben, wie diejenige von 1798 auf die
Cuvier'sche. Hat man doch überall bemerkt, daß durch politische
Stürme die mächtigste geistige Anregung erzielt wird, die sich auf
andere Gebiete, der Kunst und der Wissenschaft, des Handels und der
Industrie wirft, sobald ihr dasjenige des politischen Handelns ver-
schlossen wird.

Die Entwickelungsgeschichte der thierischen Wesen beginnt allmäh-
lig den Platz einzunehmen, welchen erst die äußern Charaktere, später
die innere Organisation der erwachsenen Thiere behauptete. Wenn
man schon früher gewußt hatte, daß die äußeren Umwandlungen,
welche viele Thiere während ihres Wachsthums erleiden, oft in dem
Maße durchgreifend seien, daß man das Thier in seinem Jugendzu-
stande durchaus nicht zu erkennen vermöge (ich erinnere hier nur an
die Raupe und den Schmetterling, an die Kaulquappe und den Frosch)
so lehrten die umfassenden Beobachtungen der Neuzeit, daß gemeinsame
Typen vorhanden seien, nach welchen sich die Embryonen aus dem
Ei entwickeln und daß den Metamorphosen, welche die Thiere wäh-
rend ihres Lebens erleiden, Gesetze zum Grunde liegen, welche zu-
gleich für die Ausbildung der gesammten Schöpfung, wie auch für
die Aufeinanderfolge der früheren Erdschöpfungen maßgebend seien.
Die Entwickelungsgeschichte bestätigte es, daß verschiedene Typen der
allgemeinen Organisation vorhanden seien, welche in aufsteigender
Richtung sich entwickelten, und daß diese Typen unter sich keinen nähern
Zusammenhang zeigten, indem die ursprünglichen Anlagen des wer-
denden Thieres schon bei ihrem ersten Auftreten nichts Gemeinsames
zeigten. Es gelang bei einzelnen Classen nachzuweisen, daß das voll-
kommnere Thier während seiner Jugendzustände, von der Entwicklung

lage des nächſten Typus ſtattfinde. Wir werden Gelegenheit haben
die letztere Meinung noch weitläufiger auseinanderzuſetzen.

Wenn man früher ſich weſentlich an die äußern Charaktere der
Thiere gehalten hatte, ſelbſt ſo ſehr, daß Linné vielen Spott erdulden
mußte, als er die Ordnungen der Säugethiere auf den Bau der Zähne
gründete (einer ſeiner Gegner warf ihm vor, Adam habe bei der
Namengebung im Paradieſe den Thieren das Maul nicht aufgeriſſen,
um nach den Zähnen zu ſchauen); wenn dann durch Cuvier’s und
ſeiner Nachfolger Beſtrebungen die Claſſification hauptſächlich auf die
innere Organiſation, auf den Bau der Organe im erwachſenen Thiere
und auf die Beziehungen der Letzteren zu einander gegründet wur-
den, ſo bricht ſich jetzt eine neue Richtung Bahn, auf deren Ent-
wickelung die Revolution von 1848 vielleicht beſtimmt iſt einen ähn-
lichen befruchtenden Einfluß zu üben, wie diejenige von 1798 auf die
Cuvier’ſche. Hat man doch überall bemerkt, daß durch politiſche
Stürme die mächtigſte geiſtige Anregung erzielt wird, die ſich auf
andere Gebiete, der Kunſt und der Wiſſenſchaft, des Handels und der
Induſtrie wirft, ſobald ihr dasjenige des politiſchen Handelns ver-
ſchloſſen wird.

Die Entwickelungsgeſchichte der thieriſchen Weſen beginnt allmäh-
lig den Platz einzunehmen, welchen erſt die äußern Charaktere, ſpäter
die innere Organiſation der erwachſenen Thiere behauptete. Wenn
man ſchon früher gewußt hatte, daß die äußeren Umwandlungen,
welche viele Thiere während ihres Wachsthums erleiden, oft in dem
Maße durchgreifend ſeien, daß man das Thier in ſeinem Jugendzu-
ſtande durchaus nicht zu erkennen vermöge (ich erinnere hier nur an
die Raupe und den Schmetterling, an die Kaulquappe und den Froſch)
ſo lehrten die umfaſſenden Beobachtungen der Neuzeit, daß gemeinſame
Typen vorhanden ſeien, nach welchen ſich die Embryonen aus dem
Ei entwickeln und daß den Metamorphoſen, welche die Thiere wäh-
rend ihres Lebens erleiden, Geſetze zum Grunde liegen, welche zu-
gleich für die Ausbildung der geſammten Schöpfung, wie auch für
die Aufeinanderfolge der früheren Erdſchöpfungen maßgebend ſeien.
Die Entwickelungsgeſchichte beſtätigte es, daß verſchiedene Typen der
allgemeinen Organiſation vorhanden ſeien, welche in aufſteigender
Richtung ſich entwickelten, und daß dieſe Typen unter ſich keinen nähern
Zuſammenhang zeigten, indem die urſprünglichen Anlagen des wer-
denden Thieres ſchon bei ihrem erſten Auftreten nichts Gemeinſames
zeigten. Es gelang bei einzelnen Claſſen nachzuweiſen, daß das voll-
kommnere Thier während ſeiner Jugendzuſtände, von der Entwicklung

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[16/0022] lage des nächſten Typus ſtattfinde. Wir werden Gelegenheit haben die letztere Meinung noch weitläufiger auseinanderzuſetzen. Wenn man früher ſich weſentlich an die äußern Charaktere der Thiere gehalten hatte, ſelbſt ſo ſehr, daß Linné vielen Spott erdulden mußte, als er die Ordnungen der Säugethiere auf den Bau der Zähne gründete (einer ſeiner Gegner warf ihm vor, Adam habe bei der Namengebung im Paradieſe den Thieren das Maul nicht aufgeriſſen, um nach den Zähnen zu ſchauen); wenn dann durch Cuvier’s und ſeiner Nachfolger Beſtrebungen die Claſſification hauptſächlich auf die innere Organiſation, auf den Bau der Organe im erwachſenen Thiere und auf die Beziehungen der Letzteren zu einander gegründet wur- den, ſo bricht ſich jetzt eine neue Richtung Bahn, auf deren Ent- wickelung die Revolution von 1848 vielleicht beſtimmt iſt einen ähn- lichen befruchtenden Einfluß zu üben, wie diejenige von 1798 auf die Cuvier’ſche. Hat man doch überall bemerkt, daß durch politiſche Stürme die mächtigſte geiſtige Anregung erzielt wird, die ſich auf andere Gebiete, der Kunſt und der Wiſſenſchaft, des Handels und der Induſtrie wirft, ſobald ihr dasjenige des politiſchen Handelns ver- ſchloſſen wird. Die Entwickelungsgeſchichte der thieriſchen Weſen beginnt allmäh- lig den Platz einzunehmen, welchen erſt die äußern Charaktere, ſpäter die innere Organiſation der erwachſenen Thiere behauptete. Wenn man ſchon früher gewußt hatte, daß die äußeren Umwandlungen, welche viele Thiere während ihres Wachsthums erleiden, oft in dem Maße durchgreifend ſeien, daß man das Thier in ſeinem Jugendzu- ſtande durchaus nicht zu erkennen vermöge (ich erinnere hier nur an die Raupe und den Schmetterling, an die Kaulquappe und den Froſch) ſo lehrten die umfaſſenden Beobachtungen der Neuzeit, daß gemeinſame Typen vorhanden ſeien, nach welchen ſich die Embryonen aus dem Ei entwickeln und daß den Metamorphoſen, welche die Thiere wäh- rend ihres Lebens erleiden, Geſetze zum Grunde liegen, welche zu- gleich für die Ausbildung der geſammten Schöpfung, wie auch für die Aufeinanderfolge der früheren Erdſchöpfungen maßgebend ſeien. Die Entwickelungsgeſchichte beſtätigte es, daß verſchiedene Typen der allgemeinen Organiſation vorhanden ſeien, welche in aufſteigender Richtung ſich entwickelten, und daß dieſe Typen unter ſich keinen nähern Zuſammenhang zeigten, indem die urſprünglichen Anlagen des wer- denden Thieres ſchon bei ihrem erſten Auftreten nichts Gemeinſames zeigten. Es gelang bei einzelnen Claſſen nachzuweiſen, daß das voll- kommnere Thier während ſeiner Jugendzuſtände, von der Entwicklung

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/22>, abgerufen am 28.03.2024.