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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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ein abgesagter Feind jeder Classisication; er sah geringschätzig herab
auf die plebejischen Mühen von Reaumur und Andern, welche mit so
gemeinem Zeuge wie Mücken und Schmetterlingen ihre Zeit füllten.
Durch fein geglättete und pomphafte Beschreibungen suchte der Herr
Graf unter der Aristokratie einen gewissen nobeln Dilettantismus zu
wecken, der in der That die besten Früchte für die Vermehrung der
Pariser Sammlungen brachte. In magnifiquen, hochtönenden Phra-
sen beschrieb Buffon die höhern Thiere, Säugethiere und Vögel, ihre
Sitten und Haushalt, ohne Ordnung, ohne inneren Zusammenhang, je
nachdem ihm dieser oder jener Stoff geeigneter schien, seinen Styl
daran glänzen zu lassen. Er gehört jetzt nur noch der Literatur-Ge-
schichte als französischer Schriftsteller an und ihm ist es hauptsächlich
zuzuschreiben, wenn die hauptsächlichsten Bestrebungen jener Zeit sich
mehr auf die höhern und brillanten Classen, auf die Säugethiere und
Vögel einerseits und die Insekten andererseits lenkte. So darf es denn
auch nicht wundern, wenn diese Classen vorzüglich in ihrer Bearbei-
tung vorschritten und die damals angenommenen Systeme sich den
jetzigen sehr näherten, während die übrigen Classen, besonders die
Weichthiere und die Meeresbewohner fast nur als Ballast nachgeführt
wurden.

Während für Linne das System und dessen methodische Anord-
nung nur ein Mittel gewesen war, so wurde es seinen oft geistlosen
Nachfolgern meist Zweck, und ihre Classificationen, statt die Gesammt-
organisation der Thiere im Auge zu behalten, klammerten sich oft
ängstlich an untergeordnete äußere Merkmale an. Ein trockenes For-
melwesen breitete sich immer mehr und mehr in der Wissenschaft aus
und drängte das frische Leben zurück, welches unter Linne's Anregung
das System durchströmt hatte. Der Zopf welcher vor der französi-
schen Revolution im politischen Leben herrschte, wuchs auch in der
Wissenschaft riesengroß, und es drohte eine Zeit der Verödung, die
glücklicher Weise durch den erfrischenden Hauch der französischen Re-
volution überwunden wurde.

Die französische Revolution, die alle Geister so mächtig erschütterte
und überall neue Bahnen eröffnete, brachte auch neue Richtungen in
der zoologischen Wissenschaft hervor. Cuvier hatte die Lücken ent-
deckt, welche die Naturgeschichte der Thiere bot, und indem er während
einer langen Reihe von Jahren besonders die Anatomie der vernach-
lässigten Classen förderte, stellte er neue Grundlagen für die Classifi-
cation der gesammten Thierschöpfung her. Die vergleichende Anatomie
als Grundlage der Zoologie wurde jetzt in allen Ländern mit außer-

ein abgeſagter Feind jeder Claſſiſication; er ſah geringſchätzig herab
auf die plebejiſchen Mühen von Réaumur und Andern, welche mit ſo
gemeinem Zeuge wie Mücken und Schmetterlingen ihre Zeit füllten.
Durch fein geglättete und pomphafte Beſchreibungen ſuchte der Herr
Graf unter der Ariſtokratie einen gewiſſen nobeln Dilettantismus zu
wecken, der in der That die beſten Früchte für die Vermehrung der
Pariſer Sammlungen brachte. In magnifiquen, hochtönenden Phra-
ſen beſchrieb Buffon die höhern Thiere, Säugethiere und Vögel, ihre
Sitten und Haushalt, ohne Ordnung, ohne inneren Zuſammenhang, je
nachdem ihm dieſer oder jener Stoff geeigneter ſchien, ſeinen Styl
daran glänzen zu laſſen. Er gehört jetzt nur noch der Literatur-Ge-
ſchichte als franzöſiſcher Schriftſteller an und ihm iſt es hauptſächlich
zuzuſchreiben, wenn die hauptſächlichſten Beſtrebungen jener Zeit ſich
mehr auf die höhern und brillanten Claſſen, auf die Säugethiere und
Vögel einerſeits und die Inſekten andererſeits lenkte. So darf es denn
auch nicht wundern, wenn dieſe Claſſen vorzüglich in ihrer Bearbei-
tung vorſchritten und die damals angenommenen Syſteme ſich den
jetzigen ſehr näherten, während die übrigen Claſſen, beſonders die
Weichthiere und die Meeresbewohner faſt nur als Ballaſt nachgeführt
wurden.

Während für Linné das Syſtem und deſſen methodiſche Anord-
nung nur ein Mittel geweſen war, ſo wurde es ſeinen oft geiſtloſen
Nachfolgern meiſt Zweck, und ihre Claſſificationen, ſtatt die Geſammt-
organiſation der Thiere im Auge zu behalten, klammerten ſich oft
ängſtlich an untergeordnete äußere Merkmale an. Ein trockenes For-
melweſen breitete ſich immer mehr und mehr in der Wiſſenſchaft aus
und drängte das friſche Leben zurück, welches unter Linné’s Anregung
das Syſtem durchſtrömt hatte. Der Zopf welcher vor der franzöſi-
ſchen Revolution im politiſchen Leben herrſchte, wuchs auch in der
Wiſſenſchaft rieſengroß, und es drohte eine Zeit der Verödung, die
glücklicher Weiſe durch den erfriſchenden Hauch der franzöſiſchen Re-
volution überwunden wurde.

Die franzöſiſche Revolution, die alle Geiſter ſo mächtig erſchütterte
und überall neue Bahnen eröffnete, brachte auch neue Richtungen in
der zoologiſchen Wiſſenſchaft hervor. Cuvier hatte die Lücken ent-
deckt, welche die Naturgeſchichte der Thiere bot, und indem er während
einer langen Reihe von Jahren beſonders die Anatomie der vernach-
läſſigten Claſſen förderte, ſtellte er neue Grundlagen für die Claſſifi-
cation der geſammten Thierſchöpfung her. Die vergleichende Anatomie
als Grundlage der Zoologie wurde jetzt in allen Ländern mit außer-

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[13/0019] ein abgeſagter Feind jeder Claſſiſication; er ſah geringſchätzig herab auf die plebejiſchen Mühen von Réaumur und Andern, welche mit ſo gemeinem Zeuge wie Mücken und Schmetterlingen ihre Zeit füllten. Durch fein geglättete und pomphafte Beſchreibungen ſuchte der Herr Graf unter der Ariſtokratie einen gewiſſen nobeln Dilettantismus zu wecken, der in der That die beſten Früchte für die Vermehrung der Pariſer Sammlungen brachte. In magnifiquen, hochtönenden Phra- ſen beſchrieb Buffon die höhern Thiere, Säugethiere und Vögel, ihre Sitten und Haushalt, ohne Ordnung, ohne inneren Zuſammenhang, je nachdem ihm dieſer oder jener Stoff geeigneter ſchien, ſeinen Styl daran glänzen zu laſſen. Er gehört jetzt nur noch der Literatur-Ge- ſchichte als franzöſiſcher Schriftſteller an und ihm iſt es hauptſächlich zuzuſchreiben, wenn die hauptſächlichſten Beſtrebungen jener Zeit ſich mehr auf die höhern und brillanten Claſſen, auf die Säugethiere und Vögel einerſeits und die Inſekten andererſeits lenkte. So darf es denn auch nicht wundern, wenn dieſe Claſſen vorzüglich in ihrer Bearbei- tung vorſchritten und die damals angenommenen Syſteme ſich den jetzigen ſehr näherten, während die übrigen Claſſen, beſonders die Weichthiere und die Meeresbewohner faſt nur als Ballaſt nachgeführt wurden. Während für Linné das Syſtem und deſſen methodiſche Anord- nung nur ein Mittel geweſen war, ſo wurde es ſeinen oft geiſtloſen Nachfolgern meiſt Zweck, und ihre Claſſificationen, ſtatt die Geſammt- organiſation der Thiere im Auge zu behalten, klammerten ſich oft ängſtlich an untergeordnete äußere Merkmale an. Ein trockenes For- melweſen breitete ſich immer mehr und mehr in der Wiſſenſchaft aus und drängte das friſche Leben zurück, welches unter Linné’s Anregung das Syſtem durchſtrömt hatte. Der Zopf welcher vor der franzöſi- ſchen Revolution im politiſchen Leben herrſchte, wuchs auch in der Wiſſenſchaft rieſengroß, und es drohte eine Zeit der Verödung, die glücklicher Weiſe durch den erfriſchenden Hauch der franzöſiſchen Re- volution überwunden wurde. Die franzöſiſche Revolution, die alle Geiſter ſo mächtig erſchütterte und überall neue Bahnen eröffnete, brachte auch neue Richtungen in der zoologiſchen Wiſſenſchaft hervor. Cuvier hatte die Lücken ent- deckt, welche die Naturgeſchichte der Thiere bot, und indem er während einer langen Reihe von Jahren beſonders die Anatomie der vernach- läſſigten Claſſen förderte, ſtellte er neue Grundlagen für die Claſſifi- cation der geſammten Thierſchöpfung her. Die vergleichende Anatomie als Grundlage der Zoologie wurde jetzt in allen Ländern mit außer-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/19>, abgerufen am 19.04.2024.