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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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dern nur hie und da Andeutungen von Abgränzungen, welche für die
Betrachtung dieses oder jenes Organes bei bestimmten Gruppen von
Wichtigkeit erscheinen. Die Hülfsquellen, welche diesem außerordent-
lichen Manne durch seinen Schüler, Alexander den Großen von Ma-
cedonien, zu Gebote gestellt wurden, sollen ungemein gewesen sein; indeß
beruhen doch die wesentlichsten Thatsachen, die Aristoteles anführt, auf
dem kleinen Kreise des griechischen Archipelagus und der Küsten, welche
den östlichen Theil des Mittelmeeres begränzen.

Wir können füglich eine lange Periode überschreiten, in welcher abstrakte
philosophische Theorieen, kritiklose Compilationen oder trockene scholastische
Uebungen das Wesen der Naturwissenschaften bildeten. Die ganze lange
Zeit, welche sich von dem Verfall des griechischen Alterthums durch das
Mittelalter hinzieht, zeigt keinen Mann und kein Werk auf, das nur des
Erwähnens werth wäre. Die fortschreitende Ausbreitung des Christen-
thums tödtete, wie jede andere Wissenschaft, so auch vor Allem die Na-
turlehre, welche ihm nothwendig feindlich gegenübertreten mußte. Erst
in der zweiten Hälfte des 16ten Jahrhunderts, wo der freie Gedanke
sich wieder Bahn zu brechen begann, erscheinen Männer, welche selbst-
ständig zu beobachten und die Beobachtungen ihrer Zeitgenossen über-
sichtlich zu ordnen verstehen. Die Periode der Wiedergeburt beginnt
zum Theil mit naiven Menschen, welche eine reine Liebe zur Natur
und deren Wundern besitzen und zwar nicht ganz frei von Vorurtheilen,
mit einer gewissen religiösen kindlichen Andacht, den Zeitgenossen
die Resultate ihrer Studien mittheilten. Die menschliche Anatomie
bahnte die Wege, während zugleich Männer wie Geßner, Aldrovandi
das ganze Gebiet der Thierwelt zu umfassen strebten. Die wissenschaft-
lich strenge Methode, welche zuerst in der Astronomie angewandt wurde,
wird allmählig in die Naturgeschichte übertragen. Mit unglaublicher
Geduld und scharfsinniger Geschicklichkeit zerlegt Swammerdamm die
kleinsten Insekten und weist ihre Verwandlungen und Metamorphosen
nach, während kurz darauf ein ordnender, intelligenter Geist, Ray,
dem Vater der heutigen Zoologie, Linne, die Wege bahnt. So man-
nichfachen Reiz auch diese Periode der Vorbereitung haben mag, indem
hier namentlich beobachtet werden kann, wie nur langsam die voran-
strebenden Geister die Fesseln brechen können, welche religiöser Aber-
witz und scholastische Spitzfindigkeit Jahrhunderte hindurch geschmiedet
haben, so finden wir doch hier nur geringe Ausbeute, da die spätere
Zeit die Früchte der Kämpfe aufnahm und nützte, während sie das ver-
altete Kriegsmaterial als unbrauchbar verwarf.

Der außerordentliche Einfluß, welchen Linne, der im Beginne

dern nur hie und da Andeutungen von Abgränzungen, welche für die
Betrachtung dieſes oder jenes Organes bei beſtimmten Gruppen von
Wichtigkeit erſcheinen. Die Hülfsquellen, welche dieſem außerordent-
lichen Manne durch ſeinen Schüler, Alexander den Großen von Ma-
cedonien, zu Gebote geſtellt wurden, ſollen ungemein geweſen ſein; indeß
beruhen doch die weſentlichſten Thatſachen, die Ariſtoteles anführt, auf
dem kleinen Kreiſe des griechiſchen Archipelagus und der Küſten, welche
den öſtlichen Theil des Mittelmeeres begränzen.

Wir können füglich eine lange Periode überſchreiten, in welcher abſtrakte
philoſophiſche Theorieen, kritikloſe Compilationen oder trockene ſcholaſtiſche
Uebungen das Weſen der Naturwiſſenſchaften bildeten. Die ganze lange
Zeit, welche ſich von dem Verfall des griechiſchen Alterthums durch das
Mittelalter hinzieht, zeigt keinen Mann und kein Werk auf, das nur des
Erwähnens werth wäre. Die fortſchreitende Ausbreitung des Chriſten-
thums tödtete, wie jede andere Wiſſenſchaft, ſo auch vor Allem die Na-
turlehre, welche ihm nothwendig feindlich gegenübertreten mußte. Erſt
in der zweiten Hälfte des 16ten Jahrhunderts, wo der freie Gedanke
ſich wieder Bahn zu brechen begann, erſcheinen Männer, welche ſelbſt-
ſtändig zu beobachten und die Beobachtungen ihrer Zeitgenoſſen über-
ſichtlich zu ordnen verſtehen. Die Periode der Wiedergeburt beginnt
zum Theil mit naiven Menſchen, welche eine reine Liebe zur Natur
und deren Wundern beſitzen und zwar nicht ganz frei von Vorurtheilen,
mit einer gewiſſen religiöſen kindlichen Andacht, den Zeitgenoſſen
die Reſultate ihrer Studien mittheilten. Die menſchliche Anatomie
bahnte die Wege, während zugleich Männer wie Geßner, Aldrovandi
das ganze Gebiet der Thierwelt zu umfaſſen ſtrebten. Die wiſſenſchaft-
lich ſtrenge Methode, welche zuerſt in der Aſtronomie angewandt wurde,
wird allmählig in die Naturgeſchichte übertragen. Mit unglaublicher
Geduld und ſcharfſinniger Geſchicklichkeit zerlegt Swammerdamm die
kleinſten Inſekten und weiſt ihre Verwandlungen und Metamorphoſen
nach, während kurz darauf ein ordnender, intelligenter Geiſt, Ray,
dem Vater der heutigen Zoologie, Linné, die Wege bahnt. So man-
nichfachen Reiz auch dieſe Periode der Vorbereitung haben mag, indem
hier namentlich beobachtet werden kann, wie nur langſam die voran-
ſtrebenden Geiſter die Feſſeln brechen können, welche religiöſer Aber-
witz und ſcholaſtiſche Spitzfindigkeit Jahrhunderte hindurch geſchmiedet
haben, ſo finden wir doch hier nur geringe Ausbeute, da die ſpätere
Zeit die Früchte der Kämpfe aufnahm und nützte, während ſie das ver-
altete Kriegsmaterial als unbrauchbar verwarf.

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[10/0016] dern nur hie und da Andeutungen von Abgränzungen, welche für die Betrachtung dieſes oder jenes Organes bei beſtimmten Gruppen von Wichtigkeit erſcheinen. Die Hülfsquellen, welche dieſem außerordent- lichen Manne durch ſeinen Schüler, Alexander den Großen von Ma- cedonien, zu Gebote geſtellt wurden, ſollen ungemein geweſen ſein; indeß beruhen doch die weſentlichſten Thatſachen, die Ariſtoteles anführt, auf dem kleinen Kreiſe des griechiſchen Archipelagus und der Küſten, welche den öſtlichen Theil des Mittelmeeres begränzen. Wir können füglich eine lange Periode überſchreiten, in welcher abſtrakte philoſophiſche Theorieen, kritikloſe Compilationen oder trockene ſcholaſtiſche Uebungen das Weſen der Naturwiſſenſchaften bildeten. Die ganze lange Zeit, welche ſich von dem Verfall des griechiſchen Alterthums durch das Mittelalter hinzieht, zeigt keinen Mann und kein Werk auf, das nur des Erwähnens werth wäre. Die fortſchreitende Ausbreitung des Chriſten- thums tödtete, wie jede andere Wiſſenſchaft, ſo auch vor Allem die Na- turlehre, welche ihm nothwendig feindlich gegenübertreten mußte. Erſt in der zweiten Hälfte des 16ten Jahrhunderts, wo der freie Gedanke ſich wieder Bahn zu brechen begann, erſcheinen Männer, welche ſelbſt- ſtändig zu beobachten und die Beobachtungen ihrer Zeitgenoſſen über- ſichtlich zu ordnen verſtehen. Die Periode der Wiedergeburt beginnt zum Theil mit naiven Menſchen, welche eine reine Liebe zur Natur und deren Wundern beſitzen und zwar nicht ganz frei von Vorurtheilen, mit einer gewiſſen religiöſen kindlichen Andacht, den Zeitgenoſſen die Reſultate ihrer Studien mittheilten. Die menſchliche Anatomie bahnte die Wege, während zugleich Männer wie Geßner, Aldrovandi das ganze Gebiet der Thierwelt zu umfaſſen ſtrebten. Die wiſſenſchaft- lich ſtrenge Methode, welche zuerſt in der Aſtronomie angewandt wurde, wird allmählig in die Naturgeſchichte übertragen. Mit unglaublicher Geduld und ſcharfſinniger Geſchicklichkeit zerlegt Swammerdamm die kleinſten Inſekten und weiſt ihre Verwandlungen und Metamorphoſen nach, während kurz darauf ein ordnender, intelligenter Geiſt, Ray, dem Vater der heutigen Zoologie, Linné, die Wege bahnt. So man- nichfachen Reiz auch dieſe Periode der Vorbereitung haben mag, indem hier namentlich beobachtet werden kann, wie nur langſam die voran- ſtrebenden Geiſter die Feſſeln brechen können, welche religiöſer Aber- witz und ſcholaſtiſche Spitzfindigkeit Jahrhunderte hindurch geſchmiedet haben, ſo finden wir doch hier nur geringe Ausbeute, da die ſpätere Zeit die Früchte der Kämpfe aufnahm und nützte, während ſie das ver- altete Kriegsmaterial als unbrauchbar verwarf. Der außerordentliche Einfluß, welchen Linné, der im Beginne

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/16>, abgerufen am 25.04.2024.