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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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des Ganzen, stellt die Wirkung in der Relativität der Verhältnisse her.
Es ist dieser Punct mit den vorhergehenden nicht zu verwechseln: dort
verlangte das wirklich Grelle in der Natur und in den Farbenmitteln
eine wirkliche Läuterung, eine Idealisirung im Sinne der Milderung, hier
ist es die Unerreichbarkeit der Natur, die zu demselben Grundsatze führt;
in der Wirkung treffen diese verschiedenen Motive zusammen. -- Auch
abgesehen von dieser Seite der malerischen Aufgabe haben wir nun aber
als das Vermittelnde im Colorit überhaupt das ganze weite, unbe-
stimmbare Reich der Uebergänge zwischen den Hauptfarben, der Schatti-
rungen, Töne und ihrer Verbindungen vor uns, das in §. 250, 1. in
den allgemeinsten Zügen aufgeführt ist. Dazu ist nur zu bemerken, daß der
Ausdruck: Ton in diesem Zusammenhang nicht die tiefere Bedeutung hat,
in welcher er sonst aufgetreten ist und wieder auftreten wird, sondern, wie
in jenem §., nur die Abstufung eine Farbe gegen Hell und Dunkel be-
zeichnet, während unter Schattirung die Uebergänge einer Farbe in die
andere verstanden sind. Diese Uebergänge und Töne sind unendlich und
verbinden sich gegenseitig in das Unendliche. Zunächst nun wirken diese
Mittel überhaupt als allgemein mildernd und finden ihre Anwendung auch
auf das Ganze einer Localfarbe, so daß z. B. ein schreiendes Grün mit
Gelbroth abzudämpfen ist u. s. w.; sie treffen aber insbesondere zusammen
mit der Modellirung, mit den Veränderungen, die der Schatten, motivirt
durch die Gestaltung, herbeiführt, und dieß ist hier schon hereinzuziehen,
obwohl die Beziehungen zwischen Farbe und Lichtverhältnissen erst in der
Folge ausdrücklich zu besprechen sind. Eine Uebergangsfarbe, wie sie da-
durch entsteht, daß die allgemeine Farbe eines Körpers, wo seine Bildung
vom Hauptlichte sich abwendet und in Beschattung übergeht, nennt
man im engeren Sinne des Worts gebrochene Farbe; diese Brechung
nimmt im Halbschatten zu, bis der vollere Schatten die Farbe bestimmter
verdunkelt, doch nicht, ohne bei runden Körpern gegen den Umriß hin
wieder in eine lichtere gebrochene Farbe überzugehen, welche dann dem
Auge die Ueberzeugung gibt, daß der Körper plastisch sich in die Tiefe
fortsetze: "das Auge wird über die Grenzen des Umrisses hinausgelockt;
getäuscht folgt oder glaubt es, der gemalten Figur in ihrer Wendung mit
eben der Freiheit, als den gerundeten Werken des Bildhauers, zu folgen"
(Hagedorn Betracht. über die Malerei S. 687). Auch hierin ist beson-
ders das Incarnat belehrend. Große Coloristen, wie Titian und van
Dyk, haben sogar mit dem bloßen Mittel der gebrochenen Farbe ohne ei-
gentliche Benützung dunkleren, Schattenhervorbringenden Materials das
Fleisch modellirt. In diesen Uebergängen zum Schatten namentlich liegt
denn das vielbesprochene Gebiet der Mittelfarben, Mezzo-Tinten. Das
unendlich Schwierige und Feine besteht in den fließenden Grenzen,

des Ganzen, ſtellt die Wirkung in der Relativität der Verhältniſſe her.
Es iſt dieſer Punct mit den vorhergehenden nicht zu verwechſeln: dort
verlangte das wirklich Grelle in der Natur und in den Farbenmitteln
eine wirkliche Läuterung, eine Idealiſirung im Sinne der Milderung, hier
iſt es die Unerreichbarkeit der Natur, die zu demſelben Grundſatze führt;
in der Wirkung treffen dieſe verſchiedenen Motive zuſammen. — Auch
abgeſehen von dieſer Seite der maleriſchen Aufgabe haben wir nun aber
als das Vermittelnde im Colorit überhaupt das ganze weite, unbe-
ſtimmbare Reich der Uebergänge zwiſchen den Hauptfarben, der Schatti-
rungen, Töne und ihrer Verbindungen vor uns, das in §. 250, 1. in
den allgemeinſten Zügen aufgeführt iſt. Dazu iſt nur zu bemerken, daß der
Ausdruck: Ton in dieſem Zuſammenhang nicht die tiefere Bedeutung hat,
in welcher er ſonſt aufgetreten iſt und wieder auftreten wird, ſondern, wie
in jenem §., nur die Abſtufung eine Farbe gegen Hell und Dunkel be-
zeichnet, während unter Schattirung die Uebergänge einer Farbe in die
andere verſtanden ſind. Dieſe Uebergänge und Töne ſind unendlich und
verbinden ſich gegenſeitig in das Unendliche. Zunächſt nun wirken dieſe
Mittel überhaupt als allgemein mildernd und finden ihre Anwendung auch
auf das Ganze einer Localfarbe, ſo daß z. B. ein ſchreiendes Grün mit
Gelbroth abzudämpfen iſt u. ſ. w.; ſie treffen aber insbeſondere zuſammen
mit der Modellirung, mit den Veränderungen, die der Schatten, motivirt
durch die Geſtaltung, herbeiführt, und dieß iſt hier ſchon hereinzuziehen,
obwohl die Beziehungen zwiſchen Farbe und Lichtverhältniſſen erſt in der
Folge ausdrücklich zu beſprechen ſind. Eine Uebergangsfarbe, wie ſie da-
durch entſteht, daß die allgemeine Farbe eines Körpers, wo ſeine Bildung
vom Hauptlichte ſich abwendet und in Beſchattung übergeht, nennt
man im engeren Sinne des Worts gebrochene Farbe; dieſe Brechung
nimmt im Halbſchatten zu, bis der vollere Schatten die Farbe beſtimmter
verdunkelt, doch nicht, ohne bei runden Körpern gegen den Umriß hin
wieder in eine lichtere gebrochene Farbe überzugehen, welche dann dem
Auge die Ueberzeugung gibt, daß der Körper plaſtiſch ſich in die Tiefe
fortſetze: „das Auge wird über die Grenzen des Umriſſes hinausgelockt;
getäuſcht folgt oder glaubt es, der gemalten Figur in ihrer Wendung mit
eben der Freiheit, als den gerundeten Werken des Bildhauers, zu folgen“
(Hagedorn Betracht. über die Malerei S. 687). Auch hierin iſt beſon-
ders das Incarnat belehrend. Große Coloriſten, wie Titian und van
Dyk, haben ſogar mit dem bloßen Mittel der gebrochenen Farbe ohne ei-
gentliche Benützung dunkleren, Schattenhervorbringenden Materials das
Fleiſch modellirt. In dieſen Uebergängen zum Schatten namentlich liegt
denn das vielbeſprochene Gebiet der Mittelfarben, Mezzo-Tinten. Das
unendlich Schwierige und Feine beſteht in den fließenden Grenzen,

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[568/0076] des Ganzen, ſtellt die Wirkung in der Relativität der Verhältniſſe her. Es iſt dieſer Punct mit den vorhergehenden nicht zu verwechſeln: dort verlangte das wirklich Grelle in der Natur und in den Farbenmitteln eine wirkliche Läuterung, eine Idealiſirung im Sinne der Milderung, hier iſt es die Unerreichbarkeit der Natur, die zu demſelben Grundſatze führt; in der Wirkung treffen dieſe verſchiedenen Motive zuſammen. — Auch abgeſehen von dieſer Seite der maleriſchen Aufgabe haben wir nun aber als das Vermittelnde im Colorit überhaupt das ganze weite, unbe- ſtimmbare Reich der Uebergänge zwiſchen den Hauptfarben, der Schatti- rungen, Töne und ihrer Verbindungen vor uns, das in §. 250, 1. in den allgemeinſten Zügen aufgeführt iſt. Dazu iſt nur zu bemerken, daß der Ausdruck: Ton in dieſem Zuſammenhang nicht die tiefere Bedeutung hat, in welcher er ſonſt aufgetreten iſt und wieder auftreten wird, ſondern, wie in jenem §., nur die Abſtufung eine Farbe gegen Hell und Dunkel be- zeichnet, während unter Schattirung die Uebergänge einer Farbe in die andere verſtanden ſind. Dieſe Uebergänge und Töne ſind unendlich und verbinden ſich gegenſeitig in das Unendliche. Zunächſt nun wirken dieſe Mittel überhaupt als allgemein mildernd und finden ihre Anwendung auch auf das Ganze einer Localfarbe, ſo daß z. B. ein ſchreiendes Grün mit Gelbroth abzudämpfen iſt u. ſ. w.; ſie treffen aber insbeſondere zuſammen mit der Modellirung, mit den Veränderungen, die der Schatten, motivirt durch die Geſtaltung, herbeiführt, und dieß iſt hier ſchon hereinzuziehen, obwohl die Beziehungen zwiſchen Farbe und Lichtverhältniſſen erſt in der Folge ausdrücklich zu beſprechen ſind. Eine Uebergangsfarbe, wie ſie da- durch entſteht, daß die allgemeine Farbe eines Körpers, wo ſeine Bildung vom Hauptlichte ſich abwendet und in Beſchattung übergeht, nennt man im engeren Sinne des Worts gebrochene Farbe; dieſe Brechung nimmt im Halbſchatten zu, bis der vollere Schatten die Farbe beſtimmter verdunkelt, doch nicht, ohne bei runden Körpern gegen den Umriß hin wieder in eine lichtere gebrochene Farbe überzugehen, welche dann dem Auge die Ueberzeugung gibt, daß der Körper plaſtiſch ſich in die Tiefe fortſetze: „das Auge wird über die Grenzen des Umriſſes hinausgelockt; getäuſcht folgt oder glaubt es, der gemalten Figur in ihrer Wendung mit eben der Freiheit, als den gerundeten Werken des Bildhauers, zu folgen“ (Hagedorn Betracht. über die Malerei S. 687). Auch hierin iſt beſon- ders das Incarnat belehrend. Große Coloriſten, wie Titian und van Dyk, haben ſogar mit dem bloßen Mittel der gebrochenen Farbe ohne ei- gentliche Benützung dunkleren, Schattenhervorbringenden Materials das Fleiſch modellirt. In dieſen Uebergängen zum Schatten namentlich liegt denn das vielbeſprochene Gebiet der Mittelfarben, Mezzo-Tinten. Das unendlich Schwierige und Feine beſteht in den fließenden Grenzen,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/76>, abgerufen am 29.03.2024.