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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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Puncten den trübenden Zufall auszuscheiden. -- Die herrschende Einheit
ist das Licht; mag sein Ausgangspunct im Bilde oder außer dem Bilde,
tiefer oder höher, als die bedeutendsten dargestellten Körper, in der Mitte
oder auf der Seite liegen, sein Weg soll in ausgesprochener Bestimmtheit
über das Ganze lanfen und dessen Theile mit der idealen Kraft dieses
großen Mediums zusammenfassen. Das Licht ist aber nicht blos zusam-
menfassend, sondern auch "auseinandertreibend" (vergl. §. 241 Anm. 2);
dieses durch den Schatten und vorzüglich durch den Schlagschatten, der
den Körper in der Kraft seiner Einzelheit abhebt. Würde nun die Licht-
bahn durch eine ungeordnete Vielheit von einzelnen Schatten unterbrochen,
so hätte die Licht-Einheit nicht einen klaren, sondern einen zersplitterten,
beunruhigenden Gegensatz am Dunkeln. Daher wird, wo es die Na-
tur nicht thut, der Künstler dafür zu sorgen haben, daß eine Masse von
Körpern in der Art zusammentritt, daß der vereinigten Lichtwirkung ge-
genüber eine Schattenmasse entsteht (handelt es sich nur von Einer be-
deutenden Gestalt, so bewirkt dieß der Gegensatz der beschienenen und be-
schatteten Seite oder bei gleich verbreiteter Beleuchtung ein dunkler Grund).
Es kann sich natürlich nicht von einer ungefähr gleichen Ausdehnung bei-
der contrastirender Massen wie von zwei Hälften handeln: es genügt,
wenn nur dem Lichte nicht blos getrennte Einzelschatten gegenüberstehen,
sondern umfassendere Schattenstellen oder reiche Gruppen solcher Gestal-
ten, deren Schattenseiten das Auge zu einem Ganzen zusammenzuhalten
vermag. Das Licht wirkt im Allgemeinen anregend, nach Beschaffenheit
und Umständen aufregend; im übeln Sinne aufregend wirkt ein zu viel-
fach unterbrochenes Licht, das über Einzelschatten gleichsam unruhig fort-
springt; größere Schattenstellen, die man wohl auch Ruhestellen nennt,
müssen daher auch abgesehen von den vorher geforderten Hauptmassen bei
starkem oder heftigem Lichte über ganze Partieen sich herlegen, denn der
Schatten beruhigt und kühlt im eigentlichen und uneigentlichen Sinn, ehe
er in die drohende Finsterniß übergeht. Dieß führt uns denn von den
großen Hauptgegensätzen bereits zu der Versöhnung derselben, wie sie zunächst
durch entschiedenere, dann durch feinere Mittel zu bewerkstelligen ist. Die
Lichtmasse und die weniger ausgedehnten, doch bedeutenden Lichtstellen
dürfen an sich dem Dunkeln nicht als greller Contrast gegenüberstehen;
abgesehen von den größeren Schattenmassen werden daher allerdings ein-
zelne kräftige, nur nicht zu unruhig zersprengte, sondern vermittelte, na-
mentlich eben durch jene Ruhestellen zusammengehaltene Schatten die Licht-
masse theilen müssen. Es wirken in dieser Richtung auch die flüchtigen
Spiele, die man sonst gern "Zufälle" nannte; die Schatten von vorüber-
schwebenden Wolken, Baumzweigen u. s. w., in lichte Stellen sich eintra-
gend. Umgekehrt darf es kein ungebrochenes Dunkel geben, ausgenommen

Puncten den trübenden Zufall auszuſcheiden. — Die herrſchende Einheit
iſt das Licht; mag ſein Ausgangspunct im Bilde oder außer dem Bilde,
tiefer oder höher, als die bedeutendſten dargeſtellten Körper, in der Mitte
oder auf der Seite liegen, ſein Weg ſoll in ausgeſprochener Beſtimmtheit
über das Ganze lanfen und deſſen Theile mit der idealen Kraft dieſes
großen Mediums zuſammenfaſſen. Das Licht iſt aber nicht blos zuſam-
menfaſſend, ſondern auch „auseinandertreibend“ (vergl. §. 241 Anm. 2);
dieſes durch den Schatten und vorzüglich durch den Schlagſchatten, der
den Körper in der Kraft ſeiner Einzelheit abhebt. Würde nun die Licht-
bahn durch eine ungeordnete Vielheit von einzelnen Schatten unterbrochen,
ſo hätte die Licht-Einheit nicht einen klaren, ſondern einen zerſplitterten,
beunruhigenden Gegenſatz am Dunkeln. Daher wird, wo es die Na-
tur nicht thut, der Künſtler dafür zu ſorgen haben, daß eine Maſſe von
Körpern in der Art zuſammentritt, daß der vereinigten Lichtwirkung ge-
genüber eine Schattenmaſſe entſteht (handelt es ſich nur von Einer be-
deutenden Geſtalt, ſo bewirkt dieß der Gegenſatz der beſchienenen und be-
ſchatteten Seite oder bei gleich verbreiteter Beleuchtung ein dunkler Grund).
Es kann ſich natürlich nicht von einer ungefähr gleichen Ausdehnung bei-
der contraſtirender Maſſen wie von zwei Hälften handeln: es genügt,
wenn nur dem Lichte nicht blos getrennte Einzelſchatten gegenüberſtehen,
ſondern umfaſſendere Schattenſtellen oder reiche Gruppen ſolcher Geſtal-
ten, deren Schattenſeiten das Auge zu einem Ganzen zuſammenzuhalten
vermag. Das Licht wirkt im Allgemeinen anregend, nach Beſchaffenheit
und Umſtänden aufregend; im übeln Sinne aufregend wirkt ein zu viel-
fach unterbrochenes Licht, das über Einzelſchatten gleichſam unruhig fort-
ſpringt; größere Schattenſtellen, die man wohl auch Ruheſtellen nennt,
müſſen daher auch abgeſehen von den vorher geforderten Hauptmaſſen bei
ſtarkem oder heftigem Lichte über ganze Partieen ſich herlegen, denn der
Schatten beruhigt und kühlt im eigentlichen und uneigentlichen Sinn, ehe
er in die drohende Finſterniß übergeht. Dieß führt uns denn von den
großen Hauptgegenſätzen bereits zu der Verſöhnung derſelben, wie ſie zunächſt
durch entſchiedenere, dann durch feinere Mittel zu bewerkſtelligen iſt. Die
Lichtmaſſe und die weniger ausgedehnten, doch bedeutenden Lichtſtellen
dürfen an ſich dem Dunkeln nicht als greller Contraſt gegenüberſtehen;
abgeſehen von den größeren Schattenmaſſen werden daher allerdings ein-
zelne kräftige, nur nicht zu unruhig zerſprengte, ſondern vermittelte, na-
mentlich eben durch jene Ruheſtellen zuſammengehaltene Schatten die Licht-
maſſe theilen müſſen. Es wirken in dieſer Richtung auch die flüchtigen
Spiele, die man ſonſt gern „Zufälle“ nannte; die Schatten von vorüber-
ſchwebenden Wolken, Baumzweigen u. ſ. w., in lichte Stellen ſich eintra-
gend. Umgekehrt darf es kein ungebrochenes Dunkel geben, ausgenommen

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[557/0065] Puncten den trübenden Zufall auszuſcheiden. — Die herrſchende Einheit iſt das Licht; mag ſein Ausgangspunct im Bilde oder außer dem Bilde, tiefer oder höher, als die bedeutendſten dargeſtellten Körper, in der Mitte oder auf der Seite liegen, ſein Weg ſoll in ausgeſprochener Beſtimmtheit über das Ganze lanfen und deſſen Theile mit der idealen Kraft dieſes großen Mediums zuſammenfaſſen. Das Licht iſt aber nicht blos zuſam- menfaſſend, ſondern auch „auseinandertreibend“ (vergl. §. 241 Anm. 2); dieſes durch den Schatten und vorzüglich durch den Schlagſchatten, der den Körper in der Kraft ſeiner Einzelheit abhebt. Würde nun die Licht- bahn durch eine ungeordnete Vielheit von einzelnen Schatten unterbrochen, ſo hätte die Licht-Einheit nicht einen klaren, ſondern einen zerſplitterten, beunruhigenden Gegenſatz am Dunkeln. Daher wird, wo es die Na- tur nicht thut, der Künſtler dafür zu ſorgen haben, daß eine Maſſe von Körpern in der Art zuſammentritt, daß der vereinigten Lichtwirkung ge- genüber eine Schattenmaſſe entſteht (handelt es ſich nur von Einer be- deutenden Geſtalt, ſo bewirkt dieß der Gegenſatz der beſchienenen und be- ſchatteten Seite oder bei gleich verbreiteter Beleuchtung ein dunkler Grund). Es kann ſich natürlich nicht von einer ungefähr gleichen Ausdehnung bei- der contraſtirender Maſſen wie von zwei Hälften handeln: es genügt, wenn nur dem Lichte nicht blos getrennte Einzelſchatten gegenüberſtehen, ſondern umfaſſendere Schattenſtellen oder reiche Gruppen ſolcher Geſtal- ten, deren Schattenſeiten das Auge zu einem Ganzen zuſammenzuhalten vermag. Das Licht wirkt im Allgemeinen anregend, nach Beſchaffenheit und Umſtänden aufregend; im übeln Sinne aufregend wirkt ein zu viel- fach unterbrochenes Licht, das über Einzelſchatten gleichſam unruhig fort- ſpringt; größere Schattenſtellen, die man wohl auch Ruheſtellen nennt, müſſen daher auch abgeſehen von den vorher geforderten Hauptmaſſen bei ſtarkem oder heftigem Lichte über ganze Partieen ſich herlegen, denn der Schatten beruhigt und kühlt im eigentlichen und uneigentlichen Sinn, ehe er in die drohende Finſterniß übergeht. Dieß führt uns denn von den großen Hauptgegenſätzen bereits zu der Verſöhnung derſelben, wie ſie zunächſt durch entſchiedenere, dann durch feinere Mittel zu bewerkſtelligen iſt. Die Lichtmaſſe und die weniger ausgedehnten, doch bedeutenden Lichtſtellen dürfen an ſich dem Dunkeln nicht als greller Contraſt gegenüberſtehen; abgeſehen von den größeren Schattenmaſſen werden daher allerdings ein- zelne kräftige, nur nicht zu unruhig zerſprengte, ſondern vermittelte, na- mentlich eben durch jene Ruheſtellen zuſammengehaltene Schatten die Licht- maſſe theilen müſſen. Es wirken in dieſer Richtung auch die flüchtigen Spiele, die man ſonſt gern „Zufälle“ nannte; die Schatten von vorüber- ſchwebenden Wolken, Baumzweigen u. ſ. w., in lichte Stellen ſich eintra- gend. Umgekehrt darf es kein ungebrochenes Dunkel geben, ausgenommen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/65>, abgerufen am 28.03.2024.