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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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hohen Styls, gegen dessen kalte Epigonen der nordische Geist sich nun
aufmacht. So betrachtet nun wiederholt sich die Opposition innerhalb
dieser Gruppe, indem die Holländer gegen den Styl des Rubens in
noch spezialisirterem Sinne das Malerische zum Prinzip erheben. -- Ru-
bens ist Belgier, hier ist romanisches Blut in germanisches geflossen und
der Stamm ist katholisch geblieben, hat daher auch vom Stoff- und Styl-
prinzip des Romanenthums und seiner Anschauung etwas behalten. Vom
Marke der Erde genährt, von der Flamme des Lebens durchglüht, alles
Geistes der ächt religiösen Kunst baar, gibt er doch ihren jenseitigen Ge-
staltenkreis nicht auf und nimmt mit Vorliebe zugleich seinen Flug in die
fremde Luftschichte der Allegorie. Dem Style nach ist er Naturalist ähn-
lich wie jene Italiener, seine Formen sind unedel, eigen ist ihnen das
schwellende Fett, dem man die Absichtlichkeit der Opposition gegen das
kalte Ebenmaaß der plastischen Linie nur zu gut ansieht; ebenso nimmt
er häßliche Leidenschaft, Eckelhaftes und Widriges von Wunden u. dergl.
im Zorne des Stylkampfes recht mit Willen auf. Wie aber die italie-
nischen Naturalisten doch auf das plastische Kraftbild des M. Angelo zu-
rückweisen, so und noch viel mehr Rubens. Nicht Adel der Linie, aber
Adel der hohen Energie ist in diesen Formen, cynisch styllos stylisirt er
doch, und darin ist er selbst noch plastisch. Daher naturalisirt er zwar,
aber er individualisirt nicht, außer in seinen markigen, gesättigten, ath-
menden Bildnissen. Noch mehr, als die Großheit an sich, ist es nun aber
das Brausen der Bewegung und Leidenschaft, was uns über das Unedle
der Formen wegreißt, und hierin ist er nun durch und durch malerisch;
nirgends herrscht mit solcher Kraft der malerische Wurf, wie in ihm,
eine Windsbraut entfesselter Kräfte fegt durch seine Werke. Und dieser
Geist hat ihn trotz der festgehaltenen Transcendenz auf den Boden der
Wirklichkeit geführt und zwar ihn zuerst auf den Boden des rein geschicht-
lichen Bilds in der vollen, der dramatischen Bedeutung des Worts.
Hiemit kann auch nun erst eigentlich die freie Composition aufkommen;
im Mythischen herrscht ja mehr oder minder stets eine architektonisch geo-
metrische Anordnung. Raphael wurde der große Componist, weil er zur
Handlung übergieng. Was Rubens als Anordner ist, wie er die meist
figurenreichen Massen beherrscht, ist bekannt. Das Sittenbild sagt ihm
nur zu in blutigen Jagden mit furchtbaren Thieren, in heißen Schlachten,
und die classische Sage benützt er, um glühend üppigen Lebensgenuß, voll-
säftige, strotzende Lust des Daseins auszuströmen. Er beschreitet auch das
Gebiet der Landschaft; es ist nicht mehr die heroische, noch nicht die rein
malerische, großer Styl und doch walten alle Mittel des Colorits und
Helldunkels, um ein bewegtes Bild schaffender Urkräfte zu entrollen.
Der Geist der Bewegung drückt sich nun überhaupt nicht blos in der

hohen Styls, gegen deſſen kalte Epigonen der nordiſche Geiſt ſich nun
aufmacht. So betrachtet nun wiederholt ſich die Oppoſition innerhalb
dieſer Gruppe, indem die Holländer gegen den Styl des Rubens in
noch ſpezialiſirterem Sinne das Maleriſche zum Prinzip erheben. — Ru-
bens iſt Belgier, hier iſt romaniſches Blut in germaniſches gefloſſen und
der Stamm iſt katholiſch geblieben, hat daher auch vom Stoff- und Styl-
prinzip des Romanenthums und ſeiner Anſchauung etwas behalten. Vom
Marke der Erde genährt, von der Flamme des Lebens durchglüht, alles
Geiſtes der ächt religiöſen Kunſt baar, gibt er doch ihren jenſeitigen Ge-
ſtaltenkreis nicht auf und nimmt mit Vorliebe zugleich ſeinen Flug in die
fremde Luftſchichte der Allegorie. Dem Style nach iſt er Naturaliſt ähn-
lich wie jene Italiener, ſeine Formen ſind unedel, eigen iſt ihnen das
ſchwellende Fett, dem man die Abſichtlichkeit der Oppoſition gegen das
kalte Ebenmaaß der plaſtiſchen Linie nur zu gut anſieht; ebenſo nimmt
er häßliche Leidenſchaft, Eckelhaftes und Widriges von Wunden u. dergl.
im Zorne des Stylkampfes recht mit Willen auf. Wie aber die italie-
niſchen Naturaliſten doch auf das plaſtiſche Kraftbild des M. Angelo zu-
rückweiſen, ſo und noch viel mehr Rubens. Nicht Adel der Linie, aber
Adel der hohen Energie iſt in dieſen Formen, cyniſch ſtyllos ſtyliſirt er
doch, und darin iſt er ſelbſt noch plaſtiſch. Daher naturaliſirt er zwar,
aber er individualiſirt nicht, außer in ſeinen markigen, geſättigten, ath-
menden Bildniſſen. Noch mehr, als die Großheit an ſich, iſt es nun aber
das Brauſen der Bewegung und Leidenſchaft, was uns über das Unedle
der Formen wegreißt, und hierin iſt er nun durch und durch maleriſch;
nirgends herrſcht mit ſolcher Kraft der maleriſche Wurf, wie in ihm,
eine Windsbraut entfeſſelter Kräfte fegt durch ſeine Werke. Und dieſer
Geiſt hat ihn trotz der feſtgehaltenen Tranſcendenz auf den Boden der
Wirklichkeit geführt und zwar ihn zuerſt auf den Boden des rein geſchicht-
lichen Bilds in der vollen, der dramatiſchen Bedeutung des Worts.
Hiemit kann auch nun erſt eigentlich die freie Compoſition aufkommen;
im Mythiſchen herrſcht ja mehr oder minder ſtets eine architektoniſch geo-
metriſche Anordnung. Raphael wurde der große Componiſt, weil er zur
Handlung übergieng. Was Rubens als Anordner iſt, wie er die meiſt
figurenreichen Maſſen beherrſcht, iſt bekannt. Das Sittenbild ſagt ihm
nur zu in blutigen Jagden mit furchtbaren Thieren, in heißen Schlachten,
und die claſſiſche Sage benützt er, um glühend üppigen Lebensgenuß, voll-
ſäftige, ſtrotzende Luſt des Daſeins auszuſtrömen. Er beſchreitet auch das
Gebiet der Landſchaft; es iſt nicht mehr die heroiſche, noch nicht die rein
maleriſche, großer Styl und doch walten alle Mittel des Colorits und
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Der Geiſt der Bewegung drückt ſich nun überhaupt nicht blos in der

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[743/0251] hohen Styls, gegen deſſen kalte Epigonen der nordiſche Geiſt ſich nun aufmacht. So betrachtet nun wiederholt ſich die Oppoſition innerhalb dieſer Gruppe, indem die Holländer gegen den Styl des Rubens in noch ſpezialiſirterem Sinne das Maleriſche zum Prinzip erheben. — Ru- bens iſt Belgier, hier iſt romaniſches Blut in germaniſches gefloſſen und der Stamm iſt katholiſch geblieben, hat daher auch vom Stoff- und Styl- prinzip des Romanenthums und ſeiner Anſchauung etwas behalten. Vom Marke der Erde genährt, von der Flamme des Lebens durchglüht, alles Geiſtes der ächt religiöſen Kunſt baar, gibt er doch ihren jenſeitigen Ge- ſtaltenkreis nicht auf und nimmt mit Vorliebe zugleich ſeinen Flug in die fremde Luftſchichte der Allegorie. Dem Style nach iſt er Naturaliſt ähn- lich wie jene Italiener, ſeine Formen ſind unedel, eigen iſt ihnen das ſchwellende Fett, dem man die Abſichtlichkeit der Oppoſition gegen das kalte Ebenmaaß der plaſtiſchen Linie nur zu gut anſieht; ebenſo nimmt er häßliche Leidenſchaft, Eckelhaftes und Widriges von Wunden u. dergl. im Zorne des Stylkampfes recht mit Willen auf. Wie aber die italie- niſchen Naturaliſten doch auf das plaſtiſche Kraftbild des M. Angelo zu- rückweiſen, ſo und noch viel mehr Rubens. Nicht Adel der Linie, aber Adel der hohen Energie iſt in dieſen Formen, cyniſch ſtyllos ſtyliſirt er doch, und darin iſt er ſelbſt noch plaſtiſch. Daher naturaliſirt er zwar, aber er individualiſirt nicht, außer in ſeinen markigen, geſättigten, ath- menden Bildniſſen. Noch mehr, als die Großheit an ſich, iſt es nun aber das Brauſen der Bewegung und Leidenſchaft, was uns über das Unedle der Formen wegreißt, und hierin iſt er nun durch und durch maleriſch; nirgends herrſcht mit ſolcher Kraft der maleriſche Wurf, wie in ihm, eine Windsbraut entfeſſelter Kräfte fegt durch ſeine Werke. Und dieſer Geiſt hat ihn trotz der feſtgehaltenen Tranſcendenz auf den Boden der Wirklichkeit geführt und zwar ihn zuerſt auf den Boden des rein geſchicht- lichen Bilds in der vollen, der dramatiſchen Bedeutung des Worts. Hiemit kann auch nun erſt eigentlich die freie Compoſition aufkommen; im Mythiſchen herrſcht ja mehr oder minder ſtets eine architektoniſch geo- metriſche Anordnung. Raphael wurde der große Componiſt, weil er zur Handlung übergieng. Was Rubens als Anordner iſt, wie er die meiſt figurenreichen Maſſen beherrſcht, iſt bekannt. Das Sittenbild ſagt ihm nur zu in blutigen Jagden mit furchtbaren Thieren, in heißen Schlachten, und die claſſiſche Sage benützt er, um glühend üppigen Lebensgenuß, voll- ſäftige, ſtrotzende Luſt des Daſeins auszuſtrömen. Er beſchreitet auch das Gebiet der Landſchaft; es iſt nicht mehr die heroiſche, noch nicht die rein maleriſche, großer Styl und doch walten alle Mittel des Colorits und Helldunkels, um ein bewegtes Bild ſchaffender Urkräfte zu entrollen. Der Geiſt der Bewegung drückt ſich nun überhaupt nicht blos in der

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 743. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/251>, abgerufen am 29.03.2024.