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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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Luftperspective, vom Unterschied der drei Pläne gesagt ist; die Wir-
kung der Ferne hat hier vor Allem die Idealität zu vollenden, die Seele
hinauszuführen in die Ahnung des Unendlichen.

2. Von der Staffage ist schon bei der Frage vom Beiwerk §. 497, 2.
die Rede gewesen. Ausführlicher hat sich der Verf. über die Zerreißung
der ästhetischen Einheit durch zu anspruchvolle Staffage ausgesprochen in
der unter 1. angeführten Stelle s. Krit. Gänge. Es sind natürlich mensch-
liche Figuren, bei denen die Frage ihre Wichtigkeit erhält; das thierische
Leben wird nicht ebenso leicht eine den landschaftlichen Eindruck störende
Art von Interesse erregen, auch wenn es in bewegter, gespannter Situation
erscheint, denn als ein gebundenes und unfreies führt es den Betrachter
nicht aus der Naturstimmung heraus; doch begreift sich, daß z. B. ein
gewaltiger Thierkampf nicht in jede Landschaft paßt und daß eine gewisse
Breite des Umfangs in Aufnahme des Thierischen das Gemälde in ein
Schwanken zwischen Thierstück und Landschaft versetzt; hierüber ist an
anderer Stelle noch ausdrücklich zu sprechen. Was menschliche Wohnung
betrifft, so haben wir gesehen, daß das Alter ihr den Ton eines Natur-
werks aufgedrückt haben soll; doch auch Ruinen können zu anspruchsvoll
auftreten und zu sichtbar eine Doctrin vortragen, wie dieß in der con-
ventionellen Manier, die von der historischen Landschaft ausgieng, der Fall
war. Von der eigentlichen Architektur-Malerei ist hier noch nicht die
Rede. Es gibt Landschaften, die, so zu sagen, im vollsten Sinne des
Worts nur Landschaften sind: die Natur ist in ihrem Geheimniß belauscht,
wie sie ganz einsam, ganz allein mit sich ist; da bleibt am besten alle
lebendige Staffage weg oder beschränkt sich auf ein die Wildniß liebendes
Thier. Wie sehr nun aber der Charakter der Landschaft in eine Art der
Bewegtheit, Gemüthlichkeit u. s. w. hereinrücken mag, welche zu mensch-
licher Belebung einlädt, so soll der Mensch in ihr doch nie anders auf-
treten, als in der Bestimmtheit, in welcher er selbst als ein Kind des
Bedürfnisses, der Gewohnheit, des harmlosen Genusses, kurz als ein Kind
der Natur erscheint, so daß seine Erscheinung mit der umgebenden Natur
in Einem Eindruck aufgeht. Alles und Jedes, was im spezifisch mensch-
lichen Sinne spannt, in die Seelen-Kämpfe des Menschen hineinführt, reißt
den Zuschauer in ein schlechthin anderes Gebiet des Schönen hinüber und
hebt jenes Leihen auf, durch welches wir der Natur einen verhüllten
Menschen unterschieben, indem es uns für den enthüllten, den eigentlichen
Menschen interessirt: wir erinnern uns plötzlich, daß Geist und Seele in
Wahrheit nur im wirklichen Menschen ist, seine Schicksale sind es, die
nun unsere ganze Theilnahme haben, und die Landschaft mag als ein
Echo derselben erscheinen, das Gemälde aber ist kein Landschaftgemälde
mehr und indem es sich dennoch durch die Verhältnisse des Umfangs im

Luftperſpective, vom Unterſchied der drei Pläne geſagt iſt; die Wir-
kung der Ferne hat hier vor Allem die Idealität zu vollenden, die Seele
hinauszuführen in die Ahnung des Unendlichen.

2. Von der Staffage iſt ſchon bei der Frage vom Beiwerk §. 497, 2.
die Rede geweſen. Ausführlicher hat ſich der Verf. über die Zerreißung
der äſthetiſchen Einheit durch zu anſpruchvolle Staffage ausgeſprochen in
der unter 1. angeführten Stelle ſ. Krit. Gänge. Es ſind natürlich menſch-
liche Figuren, bei denen die Frage ihre Wichtigkeit erhält; das thieriſche
Leben wird nicht ebenſo leicht eine den landſchaftlichen Eindruck ſtörende
Art von Intereſſe erregen, auch wenn es in bewegter, geſpannter Situation
erſcheint, denn als ein gebundenes und unfreies führt es den Betrachter
nicht aus der Naturſtimmung heraus; doch begreift ſich, daß z. B. ein
gewaltiger Thierkampf nicht in jede Landſchaft paßt und daß eine gewiſſe
Breite des Umfangs in Aufnahme des Thieriſchen das Gemälde in ein
Schwanken zwiſchen Thierſtück und Landſchaft verſetzt; hierüber iſt an
anderer Stelle noch ausdrücklich zu ſprechen. Was menſchliche Wohnung
betrifft, ſo haben wir geſehen, daß das Alter ihr den Ton eines Natur-
werks aufgedrückt haben ſoll; doch auch Ruinen können zu anſpruchsvoll
auftreten und zu ſichtbar eine Doctrin vortragen, wie dieß in der con-
ventionellen Manier, die von der hiſtoriſchen Landſchaft ausgieng, der Fall
war. Von der eigentlichen Architektur-Malerei iſt hier noch nicht die
Rede. Es gibt Landſchaften, die, ſo zu ſagen, im vollſten Sinne des
Worts nur Landſchaften ſind: die Natur iſt in ihrem Geheimniß belauſcht,
wie ſie ganz einſam, ganz allein mit ſich iſt; da bleibt am beſten alle
lebendige Staffage weg oder beſchränkt ſich auf ein die Wildniß liebendes
Thier. Wie ſehr nun aber der Charakter der Landſchaft in eine Art der
Bewegtheit, Gemüthlichkeit u. ſ. w. hereinrücken mag, welche zu menſch-
licher Belebung einlädt, ſo ſoll der Menſch in ihr doch nie anders auf-
treten, als in der Beſtimmtheit, in welcher er ſelbſt als ein Kind des
Bedürfniſſes, der Gewohnheit, des harmloſen Genuſſes, kurz als ein Kind
der Natur erſcheint, ſo daß ſeine Erſcheinung mit der umgebenden Natur
in Einem Eindruck aufgeht. Alles und Jedes, was im ſpezifiſch menſch-
lichen Sinne ſpannt, in die Seelen-Kämpfe des Menſchen hineinführt, reißt
den Zuſchauer in ein ſchlechthin anderes Gebiet des Schönen hinüber und
hebt jenes Leihen auf, durch welches wir der Natur einen verhüllten
Menſchen unterſchieben, indem es uns für den enthüllten, den eigentlichen
Menſchen intereſſirt: wir erinnern uns plötzlich, daß Geiſt und Seele in
Wahrheit nur im wirklichen Menſchen iſt, ſeine Schickſale ſind es, die
nun unſere ganze Theilnahme haben, und die Landſchaft mag als ein
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mehr und indem es ſich dennoch durch die Verhältniſſe des Umfangs im

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/158>, abgerufen am 29.03.2024.