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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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von Erzbildern fügt eigentlich dem Kunstwerthe das störende Interesse
materiellen Werthes bei; in Prunksälen, wo es darauf ankommt, Reich-
thum zu entwickeln, mag sie am ehesten gerechtfertigt sein; durch richtige
und wirksame Vertheilung des Matten und Glänzenden wird sie wieder mehr
auf den reinen Kunsteindruck zurückgelenkt. Dieses Material ist nun frei-
lich ein unendlich edleres, als gewöhnliche Steinarten. Es hat nicht jenen
Duft, jenen Anklang des Halbdurchsichtigen an das Fleisch, den wir vom
glücklichsten Materiale fordern, aber es liegt etwas Eigenes im Gefühle
des Metalls: man möchte in tieferem Sinne sagen, etwas Klangvolles.
Indem das Metall seineg ediegene Cohäsion, im energischen, schwungvollen,
mutherregenden Klange äußert, gibt es sich dem Gehör als ein Körper
kund, der allem Poetischen näher liegt, als der dumpf erdröhnende Stein;
dieser Eindruck trägt sich nun auch in das Gesicht über und da wird
trotz der spröden Cohäsion, ja durch die feuergehärtete Kraft dieser Sprö-
digkeit das Gefühl des Klangvollen zu einem Gefühle des Bewegungs-
vollen im leibhaften Gliederbau des Seelenlebens. Zu diesem Eindruck
wird allerdings auch eine gewisse Lichtheit erfordert; das schwarzgraue
Eisen ist daher ein ungünstiger Stoff und im §. gar nicht besonders
aufgezählt. Das Auge fühlt es aber dem erzgegossenen Werke auch an,
daß es nicht durch ein Abschlagen von harter Masse, sondern durch ein
Einströmen geschmolzener in eine Form entstanden ist (von der neueren
Erfindung der Galvanoplastik müssen wir absehen, weil noch zu wenige
Proben im Großen vorliegen, um zu bestimmen, wie sich das technische
Verfahren dem Auge ästhetisch zu fühlen gibt); dieß fühlbar Bewegte
der Entstehung gemahnt mitten in der Erstarrung zu monumentaler Härte
an die Blutwärme des Lebens. Mit diesem technischen Prozesse der ars
statuaria
hängen nun große Vortheile im Umfange des Darstellbaren
zusammen: die Größe des Werks ist ungleich mehr in das Belieben des
Künstlers gesetzt, als wo er von dem Zufalle des Steinbruchs abhängt;
zugleich kann er mehr Leichtes, Dünnes, wie flatternde Gewänder, Locken,
ohne Stabstützen (puntelli) ausführen, als der Bildhauer; er hat weniger
Kampf mit der wirklichen Schwere, da er durch Gewichtverstärkung auf
dem einen und Verdünnung auf dem andern Puncte seines hohlen Gusses
unvermerkt nachhelfen kann, daher kann er in der Kühnheit der Stellun-
gen und Bewegungen so weit gehen, als immer der Geist seiner Kunst
ihm gestattet. Man denke an den ausholenden Discuswerfer des Myron,
den Apoxyomenos des Polyklet, den Kairos des Lysippus; Leochares wagt
einen vom Adler emporgetragenen Ganymed, wo die sichtbare Tragkraft
des Adlers den ganz aufgehobenen Schwerpunct ersetzt. In der Mar-
mor-Nachbildung erscheint hier alle Kühnheit geschwächt. Dagegen ist
nun auch der Mangel des Erzgusses nicht zu übersehen. Der Metall-

von Erzbildern fügt eigentlich dem Kunſtwerthe das ſtörende Intereſſe
materiellen Werthes bei; in Prunkſälen, wo es darauf ankommt, Reich-
thum zu entwickeln, mag ſie am eheſten gerechtfertigt ſein; durch richtige
und wirkſame Vertheilung des Matten und Glänzenden wird ſie wieder mehr
auf den reinen Kunſteindruck zurückgelenkt. Dieſes Material iſt nun frei-
lich ein unendlich edleres, als gewöhnliche Steinarten. Es hat nicht jenen
Duft, jenen Anklang des Halbdurchſichtigen an das Fleiſch, den wir vom
glücklichſten Materiale fordern, aber es liegt etwas Eigenes im Gefühle
des Metalls: man möchte in tieferem Sinne ſagen, etwas Klangvolles.
Indem das Metall ſeineg ediegene Cohäſion, im energiſchen, ſchwungvollen,
mutherregenden Klange äußert, gibt es ſich dem Gehör als ein Körper
kund, der allem Poetiſchen näher liegt, als der dumpf erdröhnende Stein;
dieſer Eindruck trägt ſich nun auch in das Geſicht über und da wird
trotz der ſpröden Cohäſion, ja durch die feuergehärtete Kraft dieſer Sprö-
digkeit das Gefühl des Klangvollen zu einem Gefühle des Bewegungs-
vollen im leibhaften Gliederbau des Seelenlebens. Zu dieſem Eindruck
wird allerdings auch eine gewiſſe Lichtheit erfordert; das ſchwarzgraue
Eiſen iſt daher ein ungünſtiger Stoff und im §. gar nicht beſonders
aufgezählt. Das Auge fühlt es aber dem erzgegoſſenen Werke auch an,
daß es nicht durch ein Abſchlagen von harter Maſſe, ſondern durch ein
Einſtrömen geſchmolzener in eine Form entſtanden iſt (von der neueren
Erfindung der Galvanoplaſtik müſſen wir abſehen, weil noch zu wenige
Proben im Großen vorliegen, um zu beſtimmen, wie ſich das techniſche
Verfahren dem Auge äſthetiſch zu fühlen gibt); dieß fühlbar Bewegte
der Entſtehung gemahnt mitten in der Erſtarrung zu monumentaler Härte
an die Blutwärme des Lebens. Mit dieſem techniſchen Prozeſſe der ars
statuaria
hängen nun große Vortheile im Umfange des Darſtellbaren
zuſammen: die Größe des Werks iſt ungleich mehr in das Belieben des
Künſtlers geſetzt, als wo er von dem Zufalle des Steinbruchs abhängt;
zugleich kann er mehr Leichtes, Dünnes, wie flatternde Gewänder, Locken,
ohne Stabſtützen (puntelli) ausführen, als der Bildhauer; er hat weniger
Kampf mit der wirklichen Schwere, da er durch Gewichtverſtärkung auf
dem einen und Verdünnung auf dem andern Puncte ſeines hohlen Guſſes
unvermerkt nachhelfen kann, daher kann er in der Kühnheit der Stellun-
gen und Bewegungen ſo weit gehen, als immer der Geiſt ſeiner Kunſt
ihm geſtattet. Man denke an den ausholenden Discuswerfer des Myron,
den Apoxyomenos des Polyklet, den Kairos des Lyſippus; Leochares wagt
einen vom Adler emporgetragenen Ganymed, wo die ſichtbare Tragkraft
des Adlers den ganz aufgehobenen Schwerpunct erſetzt. In der Mar-
mor-Nachbildung erſcheint hier alle Kühnheit geſchwächt. Dagegen iſt
nun auch der Mangel des Erzguſſes nicht zu überſehen. Der Metall-

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[375/0049] von Erzbildern fügt eigentlich dem Kunſtwerthe das ſtörende Intereſſe materiellen Werthes bei; in Prunkſälen, wo es darauf ankommt, Reich- thum zu entwickeln, mag ſie am eheſten gerechtfertigt ſein; durch richtige und wirkſame Vertheilung des Matten und Glänzenden wird ſie wieder mehr auf den reinen Kunſteindruck zurückgelenkt. Dieſes Material iſt nun frei- lich ein unendlich edleres, als gewöhnliche Steinarten. Es hat nicht jenen Duft, jenen Anklang des Halbdurchſichtigen an das Fleiſch, den wir vom glücklichſten Materiale fordern, aber es liegt etwas Eigenes im Gefühle des Metalls: man möchte in tieferem Sinne ſagen, etwas Klangvolles. Indem das Metall ſeineg ediegene Cohäſion, im energiſchen, ſchwungvollen, mutherregenden Klange äußert, gibt es ſich dem Gehör als ein Körper kund, der allem Poetiſchen näher liegt, als der dumpf erdröhnende Stein; dieſer Eindruck trägt ſich nun auch in das Geſicht über und da wird trotz der ſpröden Cohäſion, ja durch die feuergehärtete Kraft dieſer Sprö- digkeit das Gefühl des Klangvollen zu einem Gefühle des Bewegungs- vollen im leibhaften Gliederbau des Seelenlebens. Zu dieſem Eindruck wird allerdings auch eine gewiſſe Lichtheit erfordert; das ſchwarzgraue Eiſen iſt daher ein ungünſtiger Stoff und im §. gar nicht beſonders aufgezählt. Das Auge fühlt es aber dem erzgegoſſenen Werke auch an, daß es nicht durch ein Abſchlagen von harter Maſſe, ſondern durch ein Einſtrömen geſchmolzener in eine Form entſtanden iſt (von der neueren Erfindung der Galvanoplaſtik müſſen wir abſehen, weil noch zu wenige Proben im Großen vorliegen, um zu beſtimmen, wie ſich das techniſche Verfahren dem Auge äſthetiſch zu fühlen gibt); dieß fühlbar Bewegte der Entſtehung gemahnt mitten in der Erſtarrung zu monumentaler Härte an die Blutwärme des Lebens. Mit dieſem techniſchen Prozeſſe der ars statuaria hängen nun große Vortheile im Umfange des Darſtellbaren zuſammen: die Größe des Werks iſt ungleich mehr in das Belieben des Künſtlers geſetzt, als wo er von dem Zufalle des Steinbruchs abhängt; zugleich kann er mehr Leichtes, Dünnes, wie flatternde Gewänder, Locken, ohne Stabſtützen (puntelli) ausführen, als der Bildhauer; er hat weniger Kampf mit der wirklichen Schwere, da er durch Gewichtverſtärkung auf dem einen und Verdünnung auf dem andern Puncte ſeines hohlen Guſſes unvermerkt nachhelfen kann, daher kann er in der Kühnheit der Stellun- gen und Bewegungen ſo weit gehen, als immer der Geiſt ſeiner Kunſt ihm geſtattet. Man denke an den ausholenden Discuswerfer des Myron, den Apoxyomenos des Polyklet, den Kairos des Lyſippus; Leochares wagt einen vom Adler emporgetragenen Ganymed, wo die ſichtbare Tragkraft des Adlers den ganz aufgehobenen Schwerpunct erſetzt. In der Mar- mor-Nachbildung erſcheint hier alle Kühnheit geſchwächt. Dagegen iſt nun auch der Mangel des Erzguſſes nicht zu überſehen. Der Metall-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/49>, abgerufen am 29.03.2024.