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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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tete: eine Weichheit der Uebergänge, eine Milde, ein Hinüber- und
Herüberscheinen einer Form in die andere ist über sie ausgegossen, das
irgendwie im Werke des Künstlers nachgeahmt werden muß und doch durch
Meißel und Gußform allein ebenfalls nicht nachgeahmt werden kann; das
Material muß also irgendwie auch hier entgegenkommen. Gehen wir
nun noch weiter und sehen auf die eigentliche Farbe, so ist sogleich wohl
zu bemerken, daß wir die Frage von der Polychromie hier noch völlig
ausschließen und die reine Abstraction der festen Form vorerst als unbe-
zweifeltes Grundgesetz annehmen; es kann also nur die Rede sein von
einer Farbe ohne Farbe, von einer mittelbaren Andeutung der Farbe, wie
man von einem guten Kupferstiche sagt, er gebe die Farbe zu fühlen.
Da die Farbe schließlich auf einer, dem Auge nicht mehr wahrnehmbaren,
plastischen Bestimmtheit der feinsten Theile der Oberfläche eines Körpers
beruht, welche gerade diese und keine andere Lichtwelle an sich bindet,
so gibt es auch für das tastende Sehen ein gewisses Gefühl der Farbe.
Soweit hat es die Bildnerkunst jedenfalls mit der Farbe zu thun und
auch dieser Forderung muß die Qualität des Materials in irgend einem
Sinn, den wir noch gar nicht näher bestimmen, entgegen kommen. Die
nähere Beleuchtung dieses und der andern Sätze ergibt sich erst, wenn
wir nun die verschiedenen Arten des Materials wirklich daran halten.
Die zwei andern Feststellungen, welche ein Zuwenig diesseits, ein Zuviel
jenseits dieser richtigen Mithülfe des Materials bezeichnen, finden eben
hiemit zugleich ihre Erläuterung. Thon und Gyps sind wegen ihrer
Weichheit leicht zu formen und nachher verhärten sie sich an Feuer und Luft,
allein es läßt sich ihnen nicht genug Schärfe der Formen geben, sie haben
zu wenig Härte, Dauer, und man sieht ihnen dieß auch an. Thon hat
zudem eine trockene, todte und zugleich zu spezifische Farbe und verlangt
ein so völliges Anmalen, wie es jedenfalls, auch wenn ein gewisser Grad
von Polychromie zulässig wäre, verworfen werden muß. Nach dem
Aufhören der rohen Götzenbilder sank daher das Thonbilden schon bei
den Griechen, vereinzelte Ausnahmen und Werke der Zierplastik abge-
rechnet, herunter zur Bestimmung der bloßen Vorarbeit, zum Materiale
für das bloße Modell. Gyps hat nicht die störende spezifische Farbe,
aber ebenfalls todten, trockenen Ton, und da das undurchsichtig Trockene
hier weiß ist, so treten alle Formen mit roher Wahrheit hervor, alles
Flüssige, Geschmeidige verschwindet (vergl. Feuerbach D. vatic. Opoll
S. 174--176). Es ist der kahle, fahle, klanglose Eindruck, den alle
erdig breiige, dann verhärtete Substanz macht. Gyps ist daher zum Mittel
der bloßen Vervielfältigung oder des ersten Abdrucks der lebendigen Form
für Zwecke der Vorstudie heruntergesunken. Holz ist wegen seiner fase-
rigen Textur leicht zu schnitzen, aber diese stört den Künstler auch wieder

tete: eine Weichheit der Uebergänge, eine Milde, ein Hinüber- und
Herüberſcheinen einer Form in die andere iſt über ſie ausgegoſſen, das
irgendwie im Werke des Künſtlers nachgeahmt werden muß und doch durch
Meißel und Gußform allein ebenfalls nicht nachgeahmt werden kann; das
Material muß alſo irgendwie auch hier entgegenkommen. Gehen wir
nun noch weiter und ſehen auf die eigentliche Farbe, ſo iſt ſogleich wohl
zu bemerken, daß wir die Frage von der Polychromie hier noch völlig
ausſchließen und die reine Abſtraction der feſten Form vorerſt als unbe-
zweifeltes Grundgeſetz annehmen; es kann alſo nur die Rede ſein von
einer Farbe ohne Farbe, von einer mittelbaren Andeutung der Farbe, wie
man von einem guten Kupferſtiche ſagt, er gebe die Farbe zu fühlen.
Da die Farbe ſchließlich auf einer, dem Auge nicht mehr wahrnehmbaren,
plaſtiſchen Beſtimmtheit der feinſten Theile der Oberfläche eines Körpers
beruht, welche gerade dieſe und keine andere Lichtwelle an ſich bindet,
ſo gibt es auch für das taſtende Sehen ein gewiſſes Gefühl der Farbe.
Soweit hat es die Bildnerkunſt jedenfalls mit der Farbe zu thun und
auch dieſer Forderung muß die Qualität des Materials in irgend einem
Sinn, den wir noch gar nicht näher beſtimmen, entgegen kommen. Die
nähere Beleuchtung dieſes und der andern Sätze ergibt ſich erſt, wenn
wir nun die verſchiedenen Arten des Materials wirklich daran halten.
Die zwei andern Feſtſtellungen, welche ein Zuwenig dieſſeits, ein Zuviel
jenſeits dieſer richtigen Mithülfe des Materials bezeichnen, finden eben
hiemit zugleich ihre Erläuterung. Thon und Gyps ſind wegen ihrer
Weichheit leicht zu formen und nachher verhärten ſie ſich an Feuer und Luft,
allein es läßt ſich ihnen nicht genug Schärfe der Formen geben, ſie haben
zu wenig Härte, Dauer, und man ſieht ihnen dieß auch an. Thon hat
zudem eine trockene, todte und zugleich zu ſpezifiſche Farbe und verlangt
ein ſo völliges Anmalen, wie es jedenfalls, auch wenn ein gewiſſer Grad
von Polychromie zuläſſig wäre, verworfen werden muß. Nach dem
Aufhören der rohen Götzenbilder ſank daher das Thonbilden ſchon bei
den Griechen, vereinzelte Ausnahmen und Werke der Zierplaſtik abge-
rechnet, herunter zur Beſtimmung der bloßen Vorarbeit, zum Materiale
für das bloße Modell. Gyps hat nicht die ſtörende ſpezifiſche Farbe,
aber ebenfalls todten, trockenen Ton, und da das undurchſichtig Trockene
hier weiß iſt, ſo treten alle Formen mit roher Wahrheit hervor, alles
Flüſſige, Geſchmeidige verſchwindet (vergl. Feuerbach D. vatic. Opoll
S. 174—176). Es iſt der kahle, fahle, klangloſe Eindruck, den alle
erdig breiige, dann verhärtete Subſtanz macht. Gyps iſt daher zum Mittel
der bloßen Vervielfältigung oder des erſten Abdrucks der lebendigen Form
für Zwecke der Vorſtudie heruntergeſunken. Holz iſt wegen ſeiner faſe-
rigen Textur leicht zu ſchnitzen, aber dieſe ſtört den Künſtler auch wieder

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[372/0046] tete: eine Weichheit der Uebergänge, eine Milde, ein Hinüber- und Herüberſcheinen einer Form in die andere iſt über ſie ausgegoſſen, das irgendwie im Werke des Künſtlers nachgeahmt werden muß und doch durch Meißel und Gußform allein ebenfalls nicht nachgeahmt werden kann; das Material muß alſo irgendwie auch hier entgegenkommen. Gehen wir nun noch weiter und ſehen auf die eigentliche Farbe, ſo iſt ſogleich wohl zu bemerken, daß wir die Frage von der Polychromie hier noch völlig ausſchließen und die reine Abſtraction der feſten Form vorerſt als unbe- zweifeltes Grundgeſetz annehmen; es kann alſo nur die Rede ſein von einer Farbe ohne Farbe, von einer mittelbaren Andeutung der Farbe, wie man von einem guten Kupferſtiche ſagt, er gebe die Farbe zu fühlen. Da die Farbe ſchließlich auf einer, dem Auge nicht mehr wahrnehmbaren, plaſtiſchen Beſtimmtheit der feinſten Theile der Oberfläche eines Körpers beruht, welche gerade dieſe und keine andere Lichtwelle an ſich bindet, ſo gibt es auch für das taſtende Sehen ein gewiſſes Gefühl der Farbe. Soweit hat es die Bildnerkunſt jedenfalls mit der Farbe zu thun und auch dieſer Forderung muß die Qualität des Materials in irgend einem Sinn, den wir noch gar nicht näher beſtimmen, entgegen kommen. Die nähere Beleuchtung dieſes und der andern Sätze ergibt ſich erſt, wenn wir nun die verſchiedenen Arten des Materials wirklich daran halten. Die zwei andern Feſtſtellungen, welche ein Zuwenig dieſſeits, ein Zuviel jenſeits dieſer richtigen Mithülfe des Materials bezeichnen, finden eben hiemit zugleich ihre Erläuterung. Thon und Gyps ſind wegen ihrer Weichheit leicht zu formen und nachher verhärten ſie ſich an Feuer und Luft, allein es läßt ſich ihnen nicht genug Schärfe der Formen geben, ſie haben zu wenig Härte, Dauer, und man ſieht ihnen dieß auch an. Thon hat zudem eine trockene, todte und zugleich zu ſpezifiſche Farbe und verlangt ein ſo völliges Anmalen, wie es jedenfalls, auch wenn ein gewiſſer Grad von Polychromie zuläſſig wäre, verworfen werden muß. Nach dem Aufhören der rohen Götzenbilder ſank daher das Thonbilden ſchon bei den Griechen, vereinzelte Ausnahmen und Werke der Zierplaſtik abge- rechnet, herunter zur Beſtimmung der bloßen Vorarbeit, zum Materiale für das bloße Modell. Gyps hat nicht die ſtörende ſpezifiſche Farbe, aber ebenfalls todten, trockenen Ton, und da das undurchſichtig Trockene hier weiß iſt, ſo treten alle Formen mit roher Wahrheit hervor, alles Flüſſige, Geſchmeidige verſchwindet (vergl. Feuerbach D. vatic. Opoll S. 174—176). Es iſt der kahle, fahle, klangloſe Eindruck, den alle erdig breiige, dann verhärtete Subſtanz macht. Gyps iſt daher zum Mittel der bloßen Vervielfältigung oder des erſten Abdrucks der lebendigen Form für Zwecke der Vorſtudie heruntergeſunken. Holz iſt wegen ſeiner faſe- rigen Textur leicht zu ſchnitzen, aber dieſe ſtört den Künſtler auch wieder

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/46>, abgerufen am 29.03.2024.