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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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2. Wir haben nun die wichtigsten Arten des Materials an diese
Maaßstäbe zu halten. Hier bietet sich denn als das Nächste ein ur-
sprünglich lebendiger, durch Trocknung todt gewordener Stoff (vergl.
§. 490 Anm.), das Holz dar. Gerade daß dieser Stoff schon eine Form
mitbringt, scheint im Widerspruch mit dem angeführten §. hier zunächst
den größten Vortheil zu begründen. Der Baumstamm nämlich bietet sich
wie von selbst als Stütze, überzulegender Balken, als Dachsparren dar
und so ist das Wesentliche eines verschließenden Raumes beisammen; die
Behauung und die Verbindung durch Stöße der verschiedensten Art, Zähne,
Zapfen, Nägel, Bolzen, Schrauben, Bänder, Anker ist leicht; die Tragfähig-
keit geht vermöge der Zähheit der faserigen Textur sechs- bis siebenmal weiter,
als die des Steines, der übrigens zudem nie in so langen Stücken bricht,
als die größeren Bäume ihre Stämme treiben. Durch diese Eigenschaften
erscheint denn das Holz als das natürliche Material für den eigentlichen
Kern des Baus, es ist sicher das älteste für das einfache Haus und nichts
scheint einleuchtender, als daß die klaren Motive dieses primitiven Baus
dem griechischen Steinbau zu Tage liegen. Wenn man nun aber erwägt,
daß die verschließenden Massen im monumentalen Bau ein Ganzes von
einheitlich gefügten Theilen bilden müssen, wofern sie jenen Fluß der
Linie und jene gediegenen Fluchten darstellen sollen, die unser Auge ver-
langt, so stellt sich die Sache ganz anders. Die Verschlüsse aus langen
Balken zu bilden ist nur in rohen Blockhäusern thunlich, die Baukunst
verlangt kleinere Stücke in Würfel- und jeder andern beliebigen Form,
um die Hände ganz frei zu haben. Solche lassen sich nun aus dem Holz
zwar schneiden, aber es entstehen dann zu viele Stellen, wo die Richtung
seiner Fasern quer durchschnitten ist und daher die Auflösung eindringt:
ein neuer Beweis, daß todter Stoff (§. 490) überall das Beste ist.
Dieses Uebel zu vermeiden, werden dann die Verschlüsse aus Stein,
Backstein gemacht, das Holz bildet also nur das Gerippe, und es ent-
steht der sogenannte Riegelbau, welcher, der übrigen Nachtheile nicht zu
gedenken, ein für allemal den Charakter der Zweiheit, Getheiltheit trägt.
Das Holz ist aber überhaupt ein Material von ungleich geringerer Dauer,
als mineralischer Stoff; Bedeckung mit Anwurf schützt es auf lange Zeit,
ist ihm aber auch wieder schädlich, und der Schein eines Gebäudes aus
Einem Material, der durch den Verputz hervorgebracht werden soll,
bleibt immer etwas Unsolides. So ergibt sich denn, daß sich das Holz mit
der Entwicklung des monumentalen Bau's mehr und mehr in das Innere,
namentlich das Dachgerüste zurückziehen mußte. Nichtsdestoweniger behält
der Holzbau seinen, selbst ästhetischen, Werth. Wenn er nicht durch
Verputz es verbergen will, daß er nur ein Gerippe-Bau ist, wenn er
das Holzgerüste durch einen besondern Anstrich, der allerdings dem Holze

2. Wir haben nun die wichtigſten Arten des Materials an dieſe
Maaßſtäbe zu halten. Hier bietet ſich denn als das Nächſte ein ur-
ſprünglich lebendiger, durch Trocknung todt gewordener Stoff (vergl.
§. 490 Anm.), das Holz dar. Gerade daß dieſer Stoff ſchon eine Form
mitbringt, ſcheint im Widerſpruch mit dem angeführten §. hier zunächſt
den größten Vortheil zu begründen. Der Baumſtamm nämlich bietet ſich
wie von ſelbſt als Stütze, überzulegender Balken, als Dachſparren dar
und ſo iſt das Weſentliche eines verſchließenden Raumes beiſammen; die
Behauung und die Verbindung durch Stöße der verſchiedenſten Art, Zähne,
Zapfen, Nägel, Bolzen, Schrauben, Bänder, Anker iſt leicht; die Tragfähig-
keit geht vermöge der Zähheit der faſerigen Textur ſechs- bis ſiebenmal weiter,
als die des Steines, der übrigens zudem nie in ſo langen Stücken bricht,
als die größeren Bäume ihre Stämme treiben. Durch dieſe Eigenſchaften
erſcheint denn das Holz als das natürliche Material für den eigentlichen
Kern des Baus, es iſt ſicher das älteſte für das einfache Haus und nichts
ſcheint einleuchtender, als daß die klaren Motive dieſes primitiven Baus
dem griechiſchen Steinbau zu Tage liegen. Wenn man nun aber erwägt,
daß die verſchließenden Maſſen im monumentalen Bau ein Ganzes von
einheitlich gefügten Theilen bilden müſſen, wofern ſie jenen Fluß der
Linie und jene gediegenen Fluchten darſtellen ſollen, die unſer Auge ver-
langt, ſo ſtellt ſich die Sache ganz anders. Die Verſchlüſſe aus langen
Balken zu bilden iſt nur in rohen Blockhäuſern thunlich, die Baukunſt
verlangt kleinere Stücke in Würfel- und jeder andern beliebigen Form,
um die Hände ganz frei zu haben. Solche laſſen ſich nun aus dem Holz
zwar ſchneiden, aber es entſtehen dann zu viele Stellen, wo die Richtung
ſeiner Faſern quer durchſchnitten iſt und daher die Auflöſung eindringt:
ein neuer Beweis, daß todter Stoff (§. 490) überall das Beſte iſt.
Dieſes Uebel zu vermeiden, werden dann die Verſchlüſſe aus Stein,
Backſtein gemacht, das Holz bildet alſo nur das Gerippe, und es ent-
ſteht der ſogenannte Riegelbau, welcher, der übrigen Nachtheile nicht zu
gedenken, ein für allemal den Charakter der Zweiheit, Getheiltheit trägt.
Das Holz iſt aber überhaupt ein Material von ungleich geringerer Dauer,
als mineraliſcher Stoff; Bedeckung mit Anwurf ſchützt es auf lange Zeit,
iſt ihm aber auch wieder ſchädlich, und der Schein eines Gebäudes aus
Einem Material, der durch den Verputz hervorgebracht werden ſoll,
bleibt immer etwas Unſolides. So ergibt ſich denn, daß ſich das Holz mit
der Entwicklung des monumentalen Bau’s mehr und mehr in das Innere,
namentlich das Dachgerüſte zurückziehen mußte. Nichtsdeſtoweniger behält
der Holzbau ſeinen, ſelbſt äſthetiſchen, Werth. Wenn er nicht durch
Verputz es verbergen will, daß er nur ein Gerippe-Bau iſt, wenn er
das Holzgerüſte durch einen beſondern Anſtrich, der allerdings dem Holze

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[210/0050] 2. Wir haben nun die wichtigſten Arten des Materials an dieſe Maaßſtäbe zu halten. Hier bietet ſich denn als das Nächſte ein ur- ſprünglich lebendiger, durch Trocknung todt gewordener Stoff (vergl. §. 490 Anm.), das Holz dar. Gerade daß dieſer Stoff ſchon eine Form mitbringt, ſcheint im Widerſpruch mit dem angeführten §. hier zunächſt den größten Vortheil zu begründen. Der Baumſtamm nämlich bietet ſich wie von ſelbſt als Stütze, überzulegender Balken, als Dachſparren dar und ſo iſt das Weſentliche eines verſchließenden Raumes beiſammen; die Behauung und die Verbindung durch Stöße der verſchiedenſten Art, Zähne, Zapfen, Nägel, Bolzen, Schrauben, Bänder, Anker iſt leicht; die Tragfähig- keit geht vermöge der Zähheit der faſerigen Textur ſechs- bis ſiebenmal weiter, als die des Steines, der übrigens zudem nie in ſo langen Stücken bricht, als die größeren Bäume ihre Stämme treiben. Durch dieſe Eigenſchaften erſcheint denn das Holz als das natürliche Material für den eigentlichen Kern des Baus, es iſt ſicher das älteſte für das einfache Haus und nichts ſcheint einleuchtender, als daß die klaren Motive dieſes primitiven Baus dem griechiſchen Steinbau zu Tage liegen. Wenn man nun aber erwägt, daß die verſchließenden Maſſen im monumentalen Bau ein Ganzes von einheitlich gefügten Theilen bilden müſſen, wofern ſie jenen Fluß der Linie und jene gediegenen Fluchten darſtellen ſollen, die unſer Auge ver- langt, ſo ſtellt ſich die Sache ganz anders. Die Verſchlüſſe aus langen Balken zu bilden iſt nur in rohen Blockhäuſern thunlich, die Baukunſt verlangt kleinere Stücke in Würfel- und jeder andern beliebigen Form, um die Hände ganz frei zu haben. Solche laſſen ſich nun aus dem Holz zwar ſchneiden, aber es entſtehen dann zu viele Stellen, wo die Richtung ſeiner Faſern quer durchſchnitten iſt und daher die Auflöſung eindringt: ein neuer Beweis, daß todter Stoff (§. 490) überall das Beſte iſt. Dieſes Uebel zu vermeiden, werden dann die Verſchlüſſe aus Stein, Backſtein gemacht, das Holz bildet alſo nur das Gerippe, und es ent- ſteht der ſogenannte Riegelbau, welcher, der übrigen Nachtheile nicht zu gedenken, ein für allemal den Charakter der Zweiheit, Getheiltheit trägt. Das Holz iſt aber überhaupt ein Material von ungleich geringerer Dauer, als mineraliſcher Stoff; Bedeckung mit Anwurf ſchützt es auf lange Zeit, iſt ihm aber auch wieder ſchädlich, und der Schein eines Gebäudes aus Einem Material, der durch den Verputz hervorgebracht werden ſoll, bleibt immer etwas Unſolides. So ergibt ſich denn, daß ſich das Holz mit der Entwicklung des monumentalen Bau’s mehr und mehr in das Innere, namentlich das Dachgerüſte zurückziehen mußte. Nichtsdeſtoweniger behält der Holzbau ſeinen, ſelbſt äſthetiſchen, Werth. Wenn er nicht durch Verputz es verbergen will, daß er nur ein Gerippe-Bau iſt, wenn er das Holzgerüſte durch einen beſondern Anſtrich, der allerdings dem Holze

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/50>, abgerufen am 29.03.2024.