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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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c.
Die Technik.
a.
Ihre Voraussetzungen.
§. 514.

Soll nun auf diese Vorarbeit die wirkliche Ausführung folgen, so tritt
die Aufgabe, das Material stunlich zu bewältigen und zum Träger des Phan-
tasiebildes umzugestalten (§. 489--491), als eine so neue und schwere hervor,
daß ihre Lösung eine auf anderem Gebiet erworbene Fertigkeit in Ueberwin-
dung eines Theils der Hindernisse voraussetzt. Dieß Gebiet ist das der
mechanischen Thätigkeit für äußere Zwecke oder das Handwerk: die elementare
Voraussetzung der Kunst, der Boden, aus dem sie sich erhebt und den sie,
wenn sie entwickelt ist, umgekehrt wieder zu sich heraufhebt und mit ihrem
Geiste durchdringt.

Welche Kluft trotzdem, daß im innern Bilde auch die Ausführung
mitangelegt ist, zwischen dieser und jenem besteht, ist in und zu §. 491
dargestellt. Der Stoß der reinsten und zartesten Geisteskräfte auf das
spröde Material wäre geradezu vernichtend für die Darstellungslust,
wenn nicht etwas dazwischenträte, was, auf ganz anderem Gebiete ausge-
bildet, die Gewalt desselben vermittelnd schwächt, das Gebälke zur Brücke
über die Kluft liefert. Eine Art von Fertigkeit muß der höheren, geist-
durchdrungenen, welche die Kunst fordert, zu Hilfe kommen, die sich der
Mensch früher erworben hat, weil sie sich leichter erwerben läßt. Dieß
ist die mechanische Fertigkeit des Handwerks. Sie ist nicht schlechthin
leicht, sondern die Frucht eines an sich ebenfalls schweren Kampfs mit
dem Materiale, man nennt sie daher, wenn man das Wort nicht im
eingeschränkt ästhetischen Sinne gebraucht, ebenfalls eine Kunst, denn in
dieser weitern Bedeutung bezeichnet das Wort jedes Ueberwindenkönnen
von Schwierigkeiten sinnlicher Art. Das Sinnliche ist dabei wesentlich,
denn, sagt Kant (Kr. d. ästh. Urthlslr. §. 43) sehr richtig, "das, was
man kann, sobald man nur weiß, was gethan werden soll, wird nicht
Kunst genannt, sondern nur das, was man, wenn man es auch auf das
Vollständigste kennt, dennoch darum zu machen noch nicht sofort die
Geschicklichkeit hat." Wenn man sagt: "das ist eine Kunst", so hat man

c.
Die Technik.
α.
Ihre Vorausſetzungen.
§. 514.

Soll nun auf dieſe Vorarbeit die wirkliche Ausführung folgen, ſo tritt
die Aufgabe, das Material ſtunlich zu bewältigen und zum Träger des Phan-
taſiebildes umzugeſtalten (§. 489—491), als eine ſo neue und ſchwere hervor,
daß ihre Löſung eine auf anderem Gebiet erworbene Fertigkeit in Ueberwin-
dung eines Theils der Hinderniſſe vorausſetzt. Dieß Gebiet iſt das der
mechaniſchen Thätigkeit für äußere Zwecke oder das Handwerk: die elementare
Vorausſetzung der Kunſt, der Boden, aus dem ſie ſich erhebt und den ſie,
wenn ſie entwickelt iſt, umgekehrt wieder zu ſich heraufhebt und mit ihrem
Geiſte durchdringt.

Welche Kluft trotzdem, daß im innern Bilde auch die Ausführung
mitangelegt iſt, zwiſchen dieſer und jenem beſteht, iſt in und zu §. 491
dargeſtellt. Der Stoß der reinſten und zarteſten Geiſteskräfte auf das
ſpröde Material wäre geradezu vernichtend für die Darſtellungsluſt,
wenn nicht etwas dazwiſchenträte, was, auf ganz anderem Gebiete ausge-
bildet, die Gewalt desſelben vermittelnd ſchwächt, das Gebälke zur Brücke
über die Kluft liefert. Eine Art von Fertigkeit muß der höheren, geiſt-
durchdrungenen, welche die Kunſt fordert, zu Hilfe kommen, die ſich der
Menſch früher erworben hat, weil ſie ſich leichter erwerben läßt. Dieß
iſt die mechaniſche Fertigkeit des Handwerks. Sie iſt nicht ſchlechthin
leicht, ſondern die Frucht eines an ſich ebenfalls ſchweren Kampfs mit
dem Materiale, man nennt ſie daher, wenn man das Wort nicht im
eingeſchränkt äſthetiſchen Sinne gebraucht, ebenfalls eine Kunſt, denn in
dieſer weitern Bedeutung bezeichnet das Wort jedes Ueberwindenkönnen
von Schwierigkeiten ſinnlicher Art. Das Sinnliche iſt dabei weſentlich,
denn, ſagt Kant (Kr. d. äſth. Urthlslr. §. 43) ſehr richtig, „das, was
man kann, ſobald man nur weiß, was gethan werden ſoll, wird nicht
Kunſt genannt, ſondern nur das, was man, wenn man es auch auf das
Vollſtändigſte kennt, dennoch darum zu machen noch nicht ſofort die
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[87/0099] c. Die Technik. α. Ihre Vorausſetzungen. §. 514. Soll nun auf dieſe Vorarbeit die wirkliche Ausführung folgen, ſo tritt die Aufgabe, das Material ſtunlich zu bewältigen und zum Träger des Phan- taſiebildes umzugeſtalten (§. 489—491), als eine ſo neue und ſchwere hervor, daß ihre Löſung eine auf anderem Gebiet erworbene Fertigkeit in Ueberwin- dung eines Theils der Hinderniſſe vorausſetzt. Dieß Gebiet iſt das der mechaniſchen Thätigkeit für äußere Zwecke oder das Handwerk: die elementare Vorausſetzung der Kunſt, der Boden, aus dem ſie ſich erhebt und den ſie, wenn ſie entwickelt iſt, umgekehrt wieder zu ſich heraufhebt und mit ihrem Geiſte durchdringt. Welche Kluft trotzdem, daß im innern Bilde auch die Ausführung mitangelegt iſt, zwiſchen dieſer und jenem beſteht, iſt in und zu §. 491 dargeſtellt. Der Stoß der reinſten und zarteſten Geiſteskräfte auf das ſpröde Material wäre geradezu vernichtend für die Darſtellungsluſt, wenn nicht etwas dazwiſchenträte, was, auf ganz anderem Gebiete ausge- bildet, die Gewalt desſelben vermittelnd ſchwächt, das Gebälke zur Brücke über die Kluft liefert. Eine Art von Fertigkeit muß der höheren, geiſt- durchdrungenen, welche die Kunſt fordert, zu Hilfe kommen, die ſich der Menſch früher erworben hat, weil ſie ſich leichter erwerben läßt. Dieß iſt die mechaniſche Fertigkeit des Handwerks. Sie iſt nicht ſchlechthin leicht, ſondern die Frucht eines an ſich ebenfalls ſchweren Kampfs mit dem Materiale, man nennt ſie daher, wenn man das Wort nicht im eingeſchränkt äſthetiſchen Sinne gebraucht, ebenfalls eine Kunſt, denn in dieſer weitern Bedeutung bezeichnet das Wort jedes Ueberwindenkönnen von Schwierigkeiten ſinnlicher Art. Das Sinnliche iſt dabei weſentlich, denn, ſagt Kant (Kr. d. äſth. Urthlslr. §. 43) ſehr richtig, „das, was man kann, ſobald man nur weiß, was gethan werden ſoll, wird nicht Kunſt genannt, ſondern nur das, was man, wenn man es auch auf das Vollſtändigſte kennt, dennoch darum zu machen noch nicht ſofort die Geſchicklichkeit hat.“ Wenn man ſagt: „das iſt eine Kunſt“, ſo hat man

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/99>, abgerufen am 28.03.2024.