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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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in die Beziehung des Interesse's, verhält sich also pathologisch. In dem
Grade zwar, in welchem der Gegenstand sich über das Umgebende erhebt,
wird auch die Stimmung verhältnißmäßig frei sein, aber keineswegs ganz:
es ist hier die Sphäre der halb ästhetischen, halb stoffartigen, persönlichen,
leidenschaftlichen Beziehungen, wie z. B. bei dem Anblick weiblicher Schön-
heit, welcher dem lebendigen Weibe gegenüber nie ganz frei von sinnlichem
oder überhaupt individuellem Wunsche ist, oder bei einem Schauspiel sitt-
licher Handlung, wo die Unruhe der Privatleidenschaft, der Tendenz, der
Standpunkt des Sollens, der Wunsch, Theil zu nehmen und zu verändern,
sich stets in die reine Beschauung einmischt, statt daß wir den Gegenstand
uns frei gegenüberstellen. Stoffartig ist ja auch das sittliche Interesse
vergl. §. 76. Insbesondere ist es das Komische, was in diesem Stadium
sich breit ausdehnt und stoffartige Einmischungen festhält, aus welchen
eine ganze Reihe von Formen anhängender Schönheit hervorgeht, welche
dann gemischte Kunstzweige begründen. Zu §. 227 wurde dieser Punkt
vorläufig berührt. Es handelt sich hier um den großen Unterschied von
Lachen und Verlachen oder Auslachen (vergl. auch Lessing Hamb. Dram.
Nr. 28). Das Verlachen ist ein Lachen, wobei der Zuschauer nicht sich
selbst in den Widerspruch als einen allgemeinen miteinschließt, sondern
sein Ich zurückbehält, sei es egoistisch aus und mit Schadenfreude, sei es
moralisch mit dem Stachel des Hasses gegen das Verkehrte, wobei aber
ein Zug von Egoismus ebenfalls im Hintergrunde sitzt. Welche Form
des Witzes in der Darstellung dieser Stimmung angewandt werden mag,
es wird durch dieses stoffartige Verhalten jede zum Spott, der sich bis
zum Hohn steigern kann. Als feine Zerreibung (Durchhechlung) einer
einzelnen Persönlichkeit heißt der Spott Persiflage: eine Form, die wir
daher nicht wie Ruge unter denen der eigentlichen Komik aufführen konnten.
In der Kunst werden wir diese stoffartige Komik als Karikatur und
Satyre auftreten und ihren relativen Werth behaupten sehen.

2. Der Umwandlungsprozeß, der das Object aus dem trübenden
Zusammenhang heraushebt und als absolutes Individuum, in welchem
alle Kräfte der Gattung gesammelt sind, hinstellt, kann also nicht mehr
bloßer Reflex des Gegenstandes sein, denn er ist activ und macht aus die-
sem etwas, was es an sich nicht ist. Er kann eben daher nicht blos Stimmung,
sondern muß ein Bilden sein und zwar ein inneres, das sich in den äußern
Gegenstand legt und ihn umschafft, ohne noch das Geschaffene und das
Empfangene zu scheiden. Dieses Thun ist schlechthin mehr, als Reflex
des Gegenstandes, aber es setzt diesen voraus; wir müssen hier aber-
mals diesen Anfang streng festhalten, wollen wir nicht in die Willkühr
eines objectlosen Thuns gerathen. Die freieste Schöpfung kann aus einem
bedeutungslosen Object nichts machen; das Object wird darum, weil es

in die Beziehung des Intereſſe’s, verhält ſich alſo pathologiſch. In dem
Grade zwar, in welchem der Gegenſtand ſich über das Umgebende erhebt,
wird auch die Stimmung verhältnißmäßig frei ſein, aber keineswegs ganz:
es iſt hier die Sphäre der halb äſthetiſchen, halb ſtoffartigen, perſönlichen,
leidenſchaftlichen Beziehungen, wie z. B. bei dem Anblick weiblicher Schön-
heit, welcher dem lebendigen Weibe gegenüber nie ganz frei von ſinnlichem
oder überhaupt individuellem Wunſche iſt, oder bei einem Schauſpiel ſitt-
licher Handlung, wo die Unruhe der Privatleidenſchaft, der Tendenz, der
Standpunkt des Sollens, der Wunſch, Theil zu nehmen und zu verändern,
ſich ſtets in die reine Beſchauung einmiſcht, ſtatt daß wir den Gegenſtand
uns frei gegenüberſtellen. Stoffartig iſt ja auch das ſittliche Intereſſe
vergl. §. 76. Insbeſondere iſt es das Komiſche, was in dieſem Stadium
ſich breit ausdehnt und ſtoffartige Einmiſchungen feſthält, aus welchen
eine ganze Reihe von Formen anhängender Schönheit hervorgeht, welche
dann gemiſchte Kunſtzweige begründen. Zu §. 227 wurde dieſer Punkt
vorläufig berührt. Es handelt ſich hier um den großen Unterſchied von
Lachen und Verlachen oder Auslachen (vergl. auch Leſſing Hamb. Dram.
Nr. 28). Das Verlachen iſt ein Lachen, wobei der Zuſchauer nicht ſich
ſelbſt in den Widerſpruch als einen allgemeinen miteinſchließt, ſondern
ſein Ich zurückbehält, ſei es egoiſtiſch aus und mit Schadenfreude, ſei es
moraliſch mit dem Stachel des Haſſes gegen das Verkehrte, wobei aber
ein Zug von Egoiſmus ebenfalls im Hintergrunde ſitzt. Welche Form
des Witzes in der Darſtellung dieſer Stimmung angewandt werden mag,
es wird durch dieſes ſtoffartige Verhalten jede zum Spott, der ſich bis
zum Hohn ſteigern kann. Als feine Zerreibung (Durchhechlung) einer
einzelnen Perſönlichkeit heißt der Spott Perſiflage: eine Form, die wir
daher nicht wie Ruge unter denen der eigentlichen Komik aufführen konnten.
In der Kunſt werden wir dieſe ſtoffartige Komik als Karikatur und
Satyre auftreten und ihren relativen Werth behaupten ſehen.

2. Der Umwandlungsprozeß, der das Object aus dem trübenden
Zuſammenhang heraushebt und als abſolutes Individuum, in welchem
alle Kräfte der Gattung geſammelt ſind, hinſtellt, kann alſo nicht mehr
bloßer Reflex des Gegenſtandes ſein, denn er iſt activ und macht aus die-
ſem etwas, was es an ſich nicht iſt. Er kann eben daher nicht blos Stimmung,
ſondern muß ein Bilden ſein und zwar ein inneres, das ſich in den äußern
Gegenſtand legt und ihn umſchafft, ohne noch das Geſchaffene und das
Empfangene zu ſcheiden. Dieſes Thun iſt ſchlechthin mehr, als Reflex
des Gegenſtandes, aber es ſetzt dieſen voraus; wir müſſen hier aber-
mals dieſen Anfang ſtreng feſthalten, wollen wir nicht in die Willkühr
eines objectloſen Thuns gerathen. Die freieſte Schöpfung kann aus einem
bedeutungsloſen Object nichts machen; das Object wird darum, weil es

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[310/0024] in die Beziehung des Intereſſe’s, verhält ſich alſo pathologiſch. In dem Grade zwar, in welchem der Gegenſtand ſich über das Umgebende erhebt, wird auch die Stimmung verhältnißmäßig frei ſein, aber keineswegs ganz: es iſt hier die Sphäre der halb äſthetiſchen, halb ſtoffartigen, perſönlichen, leidenſchaftlichen Beziehungen, wie z. B. bei dem Anblick weiblicher Schön- heit, welcher dem lebendigen Weibe gegenüber nie ganz frei von ſinnlichem oder überhaupt individuellem Wunſche iſt, oder bei einem Schauſpiel ſitt- licher Handlung, wo die Unruhe der Privatleidenſchaft, der Tendenz, der Standpunkt des Sollens, der Wunſch, Theil zu nehmen und zu verändern, ſich ſtets in die reine Beſchauung einmiſcht, ſtatt daß wir den Gegenſtand uns frei gegenüberſtellen. Stoffartig iſt ja auch das ſittliche Intereſſe vergl. §. 76. Insbeſondere iſt es das Komiſche, was in dieſem Stadium ſich breit ausdehnt und ſtoffartige Einmiſchungen feſthält, aus welchen eine ganze Reihe von Formen anhängender Schönheit hervorgeht, welche dann gemiſchte Kunſtzweige begründen. Zu §. 227 wurde dieſer Punkt vorläufig berührt. Es handelt ſich hier um den großen Unterſchied von Lachen und Verlachen oder Auslachen (vergl. auch Leſſing Hamb. Dram. Nr. 28). Das Verlachen iſt ein Lachen, wobei der Zuſchauer nicht ſich ſelbſt in den Widerſpruch als einen allgemeinen miteinſchließt, ſondern ſein Ich zurückbehält, ſei es egoiſtiſch aus und mit Schadenfreude, ſei es moraliſch mit dem Stachel des Haſſes gegen das Verkehrte, wobei aber ein Zug von Egoiſmus ebenfalls im Hintergrunde ſitzt. Welche Form des Witzes in der Darſtellung dieſer Stimmung angewandt werden mag, es wird durch dieſes ſtoffartige Verhalten jede zum Spott, der ſich bis zum Hohn ſteigern kann. Als feine Zerreibung (Durchhechlung) einer einzelnen Perſönlichkeit heißt der Spott Perſiflage: eine Form, die wir daher nicht wie Ruge unter denen der eigentlichen Komik aufführen konnten. In der Kunſt werden wir dieſe ſtoffartige Komik als Karikatur und Satyre auftreten und ihren relativen Werth behaupten ſehen. 2. Der Umwandlungsprozeß, der das Object aus dem trübenden Zuſammenhang heraushebt und als abſolutes Individuum, in welchem alle Kräfte der Gattung geſammelt ſind, hinſtellt, kann alſo nicht mehr bloßer Reflex des Gegenſtandes ſein, denn er iſt activ und macht aus die- ſem etwas, was es an ſich nicht iſt. Er kann eben daher nicht blos Stimmung, ſondern muß ein Bilden ſein und zwar ein inneres, das ſich in den äußern Gegenſtand legt und ihn umſchafft, ohne noch das Geſchaffene und das Empfangene zu ſcheiden. Dieſes Thun iſt ſchlechthin mehr, als Reflex des Gegenſtandes, aber es ſetzt dieſen voraus; wir müſſen hier aber- mals dieſen Anfang ſtreng feſthalten, wollen wir nicht in die Willkühr eines objectloſen Thuns gerathen. Die freieſte Schöpfung kann aus einem bedeutungsloſen Object nichts machen; das Object wird darum, weil es

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/24>, abgerufen am 25.04.2024.