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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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2. Nach dem Ausschnitte des Ganzen ist die Bildung des Körpers
selbst zu betrachten, wie das Licht sie zeichnet: was diesem zugewandt ist,
steht in Beleuchtung, das Abgewandte ist dunkel und zwar in scharfem
Abschnitt, wenn es eckigt, in ansteigender Tiefe des Dunkels, wenn es rund
ist. So erkennt das Auge die besondere Bildung der Oberfläche des Gegen-
stands als eines runden, eckigten u. s. w. Ist er nun aber von reicherer
Bestimmtheit der Form, so treten auf der beleuchteten Seite wieder einzelne
Bildungen hervor in ein höheres Licht und stellen dadurch die umgebenden
Theile in Schatten und umgekehrt in den beschatteten Punkten heben sich
Theile dem Licht entgegen und sind daher im Dunkel heller als ihre Um-
gebung; es bilden sich die Halb- und Mittelschatten mit ihren Abstufungen.
Z. B. die Krone gewisser Bäume ist ein ziemlich compactes Rund von wenig
Unterbrechung, bei andern dagegen stellen sich Gruppen von Aesten mit
ihrem Laube zusammen, heben sich in ein helleres Licht und trennen sich
so durch einen umgebenden Schatten von den andern: da hat das Auge
die Befriedigung, den Körper in bestimmte Formen auseinandertreten zu
sehen, es theilt sich der Baum in besondere Massen und bildet so ein
gegliedertes Ganzes. Dieß läßt sich nun natürlich fortsetzen, denn inner-
halb der größeren Massen treten nun wieder kleinere hervor und das Auge
geht vom Allgemeinen (dem Umriß) zum Besonderen (diesen theilenden Massen)
und im Besonderen so lange fort, bis es zu dem Einzelnen (in dem gegebenen
Beispiele dem Baumschlage) heraustritt. Ebenso wie auf der beleuchteten
Seite verhält es sich nun auf der dunkeln; das Hervortretende und von
der Masse des Ganzen sich Abhebende ist weniger dunkel als das Zurück-
tretende und so setzt sich die Modellirung auch im Beschatteten fort.

Es erhellt, daß diese zeichnende und modellirende Wirkung des Lichtes
nicht blos den Gesichtssinn, sondern den in diesem mitgesetzten Tastsinn
(vergl. §. 71 Anm.) befriedigt. Das Auge umspannt wie mit tastenden
Fingerspitzen den Gegenstand in der Bestimmtheit seiner Raumerfüllung.

3. Licht und Schatten treibt also überhaupt auseinander, aber faßt
auch zusammen. Wie nun dadurch zunächst der einzelne Körper in den
mannigfachen Formen seiner Bildung ebensosehr wie in seiner Einheit
erscheint, ebensosehr auch eine Zusammenstellung von Gegenständen, die das
Auge zugleich überschaut: die Vielheit faßt sich in eine Einheit zusammen,
während sie zugleich auseinandertritt. Dabei ist freilich Einheit der Beleuch-
tung oder, wenn doppeltes Licht, doch Unterordnung des einen Lichts unter
das andere, es sind ferner günstige Verhältnisse der Beleuchtung, so daß
kein Körper den andern auf störende Weise das Licht wegnimmt, endlich
sind natürlich abermals schöne Körper oder wenigstens Schönheit des Luft-
lebens u. s. w. vorausgesetzt, wenn eine Einheit ästhetischer Art soll entstehen
können, es ist vom Lichte noch als einer bloßen Bedingung die Rede;

2. Nach dem Ausſchnitte des Ganzen iſt die Bildung des Körpers
ſelbſt zu betrachten, wie das Licht ſie zeichnet: was dieſem zugewandt iſt,
ſteht in Beleuchtung, das Abgewandte iſt dunkel und zwar in ſcharfem
Abſchnitt, wenn es eckigt, in anſteigender Tiefe des Dunkels, wenn es rund
iſt. So erkennt das Auge die beſondere Bildung der Oberfläche des Gegen-
ſtands als eines runden, eckigten u. ſ. w. Iſt er nun aber von reicherer
Beſtimmtheit der Form, ſo treten auf der beleuchteten Seite wieder einzelne
Bildungen hervor in ein höheres Licht und ſtellen dadurch die umgebenden
Theile in Schatten und umgekehrt in den beſchatteten Punkten heben ſich
Theile dem Licht entgegen und ſind daher im Dunkel heller als ihre Um-
gebung; es bilden ſich die Halb- und Mittelſchatten mit ihren Abſtufungen.
Z. B. die Krone gewiſſer Bäume iſt ein ziemlich compactes Rund von wenig
Unterbrechung, bei andern dagegen ſtellen ſich Gruppen von Aeſten mit
ihrem Laube zuſammen, heben ſich in ein helleres Licht und trennen ſich
ſo durch einen umgebenden Schatten von den andern: da hat das Auge
die Befriedigung, den Körper in beſtimmte Formen auseinandertreten zu
ſehen, es theilt ſich der Baum in beſondere Maſſen und bildet ſo ein
gegliedertes Ganzes. Dieß läßt ſich nun natürlich fortſetzen, denn inner-
halb der größeren Maſſen treten nun wieder kleinere hervor und das Auge
geht vom Allgemeinen (dem Umriß) zum Beſonderen (dieſen theilenden Maſſen)
und im Beſonderen ſo lange fort, bis es zu dem Einzelnen (in dem gegebenen
Beiſpiele dem Baumſchlage) heraustritt. Ebenſo wie auf der beleuchteten
Seite verhält es ſich nun auf der dunkeln; das Hervortretende und von
der Maſſe des Ganzen ſich Abhebende iſt weniger dunkel als das Zurück-
tretende und ſo ſetzt ſich die Modellirung auch im Beſchatteten fort.

Es erhellt, daß dieſe zeichnende und modellirende Wirkung des Lichtes
nicht blos den Geſichtsſinn, ſondern den in dieſem mitgeſetzten Taſtſinn
(vergl. §. 71 Anm.) befriedigt. Das Auge umſpannt wie mit taſtenden
Fingerſpitzen den Gegenſtand in der Beſtimmtheit ſeiner Raumerfüllung.

3. Licht und Schatten treibt alſo überhaupt auseinander, aber faßt
auch zuſammen. Wie nun dadurch zunächſt der einzelne Körper in den
mannigfachen Formen ſeiner Bildung ebenſoſehr wie in ſeiner Einheit
erſcheint, ebenſoſehr auch eine Zuſammenſtellung von Gegenſtänden, die das
Auge zugleich überſchaut: die Vielheit faßt ſich in eine Einheit zuſammen,
während ſie zugleich auseinandertritt. Dabei iſt freilich Einheit der Beleuch-
tung oder, wenn doppeltes Licht, doch Unterordnung des einen Lichts unter
das andere, es ſind ferner günſtige Verhältniſſe der Beleuchtung, ſo daß
kein Körper den andern auf ſtörende Weiſe das Licht wegnimmt, endlich
ſind natürlich abermals ſchöne Körper oder wenigſtens Schönheit des Luft-
lebens u. ſ. w. vorausgeſetzt, wenn eine Einheit äſthetiſcher Art ſoll entſtehen
können, es iſt vom Lichte noch als einer bloßen Bedingung die Rede;

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[29/0041] 2. Nach dem Ausſchnitte des Ganzen iſt die Bildung des Körpers ſelbſt zu betrachten, wie das Licht ſie zeichnet: was dieſem zugewandt iſt, ſteht in Beleuchtung, das Abgewandte iſt dunkel und zwar in ſcharfem Abſchnitt, wenn es eckigt, in anſteigender Tiefe des Dunkels, wenn es rund iſt. So erkennt das Auge die beſondere Bildung der Oberfläche des Gegen- ſtands als eines runden, eckigten u. ſ. w. Iſt er nun aber von reicherer Beſtimmtheit der Form, ſo treten auf der beleuchteten Seite wieder einzelne Bildungen hervor in ein höheres Licht und ſtellen dadurch die umgebenden Theile in Schatten und umgekehrt in den beſchatteten Punkten heben ſich Theile dem Licht entgegen und ſind daher im Dunkel heller als ihre Um- gebung; es bilden ſich die Halb- und Mittelſchatten mit ihren Abſtufungen. Z. B. die Krone gewiſſer Bäume iſt ein ziemlich compactes Rund von wenig Unterbrechung, bei andern dagegen ſtellen ſich Gruppen von Aeſten mit ihrem Laube zuſammen, heben ſich in ein helleres Licht und trennen ſich ſo durch einen umgebenden Schatten von den andern: da hat das Auge die Befriedigung, den Körper in beſtimmte Formen auseinandertreten zu ſehen, es theilt ſich der Baum in beſondere Maſſen und bildet ſo ein gegliedertes Ganzes. Dieß läßt ſich nun natürlich fortſetzen, denn inner- halb der größeren Maſſen treten nun wieder kleinere hervor und das Auge geht vom Allgemeinen (dem Umriß) zum Beſonderen (dieſen theilenden Maſſen) und im Beſonderen ſo lange fort, bis es zu dem Einzelnen (in dem gegebenen Beiſpiele dem Baumſchlage) heraustritt. Ebenſo wie auf der beleuchteten Seite verhält es ſich nun auf der dunkeln; das Hervortretende und von der Maſſe des Ganzen ſich Abhebende iſt weniger dunkel als das Zurück- tretende und ſo ſetzt ſich die Modellirung auch im Beſchatteten fort. Es erhellt, daß dieſe zeichnende und modellirende Wirkung des Lichtes nicht blos den Geſichtsſinn, ſondern den in dieſem mitgeſetzten Taſtſinn (vergl. §. 71 Anm.) befriedigt. Das Auge umſpannt wie mit taſtenden Fingerſpitzen den Gegenſtand in der Beſtimmtheit ſeiner Raumerfüllung. 3. Licht und Schatten treibt alſo überhaupt auseinander, aber faßt auch zuſammen. Wie nun dadurch zunächſt der einzelne Körper in den mannigfachen Formen ſeiner Bildung ebenſoſehr wie in ſeiner Einheit erſcheint, ebenſoſehr auch eine Zuſammenſtellung von Gegenſtänden, die das Auge zugleich überſchaut: die Vielheit faßt ſich in eine Einheit zuſammen, während ſie zugleich auseinandertritt. Dabei iſt freilich Einheit der Beleuch- tung oder, wenn doppeltes Licht, doch Unterordnung des einen Lichts unter das andere, es ſind ferner günſtige Verhältniſſe der Beleuchtung, ſo daß kein Körper den andern auf ſtörende Weiſe das Licht wegnimmt, endlich ſind natürlich abermals ſchöne Körper oder wenigſtens Schönheit des Luft- lebens u. ſ. w. vorausgeſetzt, wenn eine Einheit äſthetiſcher Art ſoll entſtehen können, es iſt vom Lichte noch als einer bloßen Bedingung die Rede;

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/41>, abgerufen am 19.04.2024.