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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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a.
Das Licht.
§. 241.

1

Das Licht kommt zuerst nicht als schöner Gegenstand, sondern als
Bedingung der Möglichkeit des sichtbaren Schönen in Betracht. Es zeigt durch
Beleuchtung und Schatten die Gestalt der Körper in ihrem allgemeinen Umriß,
in ihrer vom allgemeinen Raum abgelösten Selbständigkeit, ebenso in der
2Beschaffenheit ihrer bestimmteren Formen auf, es faßt eine Anzahl von Körpern
3wie in Eine durch die Abstufungen des Schattens auseinandertretende, durch
die höchsten Lichter vereinigte Gestalt zusammen.

1. Das Licht in der hier zunächst ausgesprochenen Bedeutung ist also
nicht Subject der Schönheit, es ist rein das Aufzeigende, das Modellirende.
Die Körper sind dabei vorausgesetzt und man kann natürlich ohne dieß
stetige Voraussetzen nicht vorwärts gehen. Finge man mit den Körpern
an, so müßte umgekehrt das Licht als Bedingung ihres Erscheinens vor-
ausgesetzt werden, und wenn man nach einem Entscheidungsgrunde fragt,
welche von beiden Voraussetzungen vorgezogen werden soll, so liegt ein
solcher in dem, was der folg. §. enthalten wird.

Es sind nun hier allerdings Körper vorausgesetzt und zwar schöne,
wer aber zu sehen versteht, der weiß, wie man die Erscheinung erst genießt,
wenn man mit dem Auge prüfend verfolgt, wie das Licht sie von einander
abhebt und die Gestalt in ihrer Bestimmtheit zeichnet und modellirt. Ein
Gegenstand tritt in seiner Selbständigkeit zunächst dadurch hervor, daß
sein Umriß sich scharf vom Hintergrunde abzeichnet. Das Licht strömt
entweder von der Seite her, wo der Zuschauer steht, und je der ihm
nähere Körper hebt sich durch hellere Beleuchtung von dem dunkleren
Grunde des entfernteren in seiner Bestimmtheit ab; oder das Licht strömt
dem Zuschauer entgegen, die ihm zugekehrte Seite der Körper liegt, je
näher, desto mehr im Schatten und schneidet sich dadurch von dem beleuchteten
Grunde ab. Verschiedene Modificationen nehmen diese Verhältnisse bei
seitwärts einfallendem Licht an, je nachdem es näher vornen oder entfernter,
höher oder niedriger steht etc. Es ist zunächst der Reiz der Silhouette, dieß
reine Abgrenzen und Ausschneiden, was hier vorliegt. Diese Abhebung
des Körpers vom Allgemeinen in seiner begrenzten Selbständigkeit vollendet
sich durch den Schlagschatten, den er auf einen helleren Grund wirst,
und der in verschiedenen Verschiebungen sein Bild wiederholt.


a.
Das Licht.
§. 241.

1

Das Licht kommt zuerſt nicht als ſchöner Gegenſtand, ſondern als
Bedingung der Möglichkeit des ſichtbaren Schönen in Betracht. Es zeigt durch
Beleuchtung und Schatten die Geſtalt der Körper in ihrem allgemeinen Umriß,
in ihrer vom allgemeinen Raum abgelösten Selbſtändigkeit, ebenſo in der
2Beſchaffenheit ihrer beſtimmteren Formen auf, es faßt eine Anzahl von Körpern
3wie in Eine durch die Abſtufungen des Schattens auseinandertretende, durch
die höchſten Lichter vereinigte Geſtalt zuſammen.

1. Das Licht in der hier zunächſt ausgeſprochenen Bedeutung iſt alſo
nicht Subject der Schönheit, es iſt rein das Aufzeigende, das Modellirende.
Die Körper ſind dabei vorausgeſetzt und man kann natürlich ohne dieß
ſtetige Vorausſetzen nicht vorwärts gehen. Finge man mit den Körpern
an, ſo müßte umgekehrt das Licht als Bedingung ihres Erſcheinens vor-
ausgeſetzt werden, und wenn man nach einem Entſcheidungsgrunde fragt,
welche von beiden Vorausſetzungen vorgezogen werden ſoll, ſo liegt ein
ſolcher in dem, was der folg. §. enthalten wird.

Es ſind nun hier allerdings Körper vorausgeſetzt und zwar ſchöne,
wer aber zu ſehen verſteht, der weiß, wie man die Erſcheinung erſt genießt,
wenn man mit dem Auge prüfend verfolgt, wie das Licht ſie von einander
abhebt und die Geſtalt in ihrer Beſtimmtheit zeichnet und modellirt. Ein
Gegenſtand tritt in ſeiner Selbſtändigkeit zunächſt dadurch hervor, daß
ſein Umriß ſich ſcharf vom Hintergrunde abzeichnet. Das Licht ſtrömt
entweder von der Seite her, wo der Zuſchauer ſteht, und je der ihm
nähere Körper hebt ſich durch hellere Beleuchtung von dem dunkleren
Grunde des entfernteren in ſeiner Beſtimmtheit ab; oder das Licht ſtrömt
dem Zuſchauer entgegen, die ihm zugekehrte Seite der Körper liegt, je
näher, deſto mehr im Schatten und ſchneidet ſich dadurch von dem beleuchteten
Grunde ab. Verſchiedene Modificationen nehmen dieſe Verhältniſſe bei
ſeitwärts einfallendem Licht an, je nachdem es näher vornen oder entfernter,
höher oder niedriger ſteht ꝛc. Es iſt zunächſt der Reiz der Silhouette, dieß
reine Abgrenzen und Ausſchneiden, was hier vorliegt. Dieſe Abhebung
des Körpers vom Allgemeinen in ſeiner begrenzten Selbſtändigkeit vollendet
ſich durch den Schlagſchatten, den er auf einen helleren Grund wirſt,
und der in verſchiedenen Verſchiebungen ſein Bild wiederholt.


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[28/0040] a. Das Licht. §. 241. Das Licht kommt zuerſt nicht als ſchöner Gegenſtand, ſondern als Bedingung der Möglichkeit des ſichtbaren Schönen in Betracht. Es zeigt durch Beleuchtung und Schatten die Geſtalt der Körper in ihrem allgemeinen Umriß, in ihrer vom allgemeinen Raum abgelösten Selbſtändigkeit, ebenſo in der Beſchaffenheit ihrer beſtimmteren Formen auf, es faßt eine Anzahl von Körpern wie in Eine durch die Abſtufungen des Schattens auseinandertretende, durch die höchſten Lichter vereinigte Geſtalt zuſammen. 1. Das Licht in der hier zunächſt ausgeſprochenen Bedeutung iſt alſo nicht Subject der Schönheit, es iſt rein das Aufzeigende, das Modellirende. Die Körper ſind dabei vorausgeſetzt und man kann natürlich ohne dieß ſtetige Vorausſetzen nicht vorwärts gehen. Finge man mit den Körpern an, ſo müßte umgekehrt das Licht als Bedingung ihres Erſcheinens vor- ausgeſetzt werden, und wenn man nach einem Entſcheidungsgrunde fragt, welche von beiden Vorausſetzungen vorgezogen werden ſoll, ſo liegt ein ſolcher in dem, was der folg. §. enthalten wird. Es ſind nun hier allerdings Körper vorausgeſetzt und zwar ſchöne, wer aber zu ſehen verſteht, der weiß, wie man die Erſcheinung erſt genießt, wenn man mit dem Auge prüfend verfolgt, wie das Licht ſie von einander abhebt und die Geſtalt in ihrer Beſtimmtheit zeichnet und modellirt. Ein Gegenſtand tritt in ſeiner Selbſtändigkeit zunächſt dadurch hervor, daß ſein Umriß ſich ſcharf vom Hintergrunde abzeichnet. Das Licht ſtrömt entweder von der Seite her, wo der Zuſchauer ſteht, und je der ihm nähere Körper hebt ſich durch hellere Beleuchtung von dem dunkleren Grunde des entfernteren in ſeiner Beſtimmtheit ab; oder das Licht ſtrömt dem Zuſchauer entgegen, die ihm zugekehrte Seite der Körper liegt, je näher, deſto mehr im Schatten und ſchneidet ſich dadurch von dem beleuchteten Grunde ab. Verſchiedene Modificationen nehmen dieſe Verhältniſſe bei ſeitwärts einfallendem Licht an, je nachdem es näher vornen oder entfernter, höher oder niedriger ſteht ꝛc. Es iſt zunächſt der Reiz der Silhouette, dieß reine Abgrenzen und Ausſchneiden, was hier vorliegt. Dieſe Abhebung des Körpers vom Allgemeinen in ſeiner begrenzten Selbſtändigkeit vollendet ſich durch den Schlagſchatten, den er auf einen helleren Grund wirſt, und der in verſchiedenen Verſchiebungen ſein Bild wiederholt.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/40>, abgerufen am 19.04.2024.