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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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ebenso geht es in die einfachsten Formen der Komik über; der Mensch
durchläuft alle Formen des Erhabenen und Komischen.

4. Diese Bemerkungen galten dem Gattungstypus; derselbe wird aber
vom Zufall, und zwar jetzt abgesehen von Lebensaltern und Verhältniß-
Stellungen, welche keine Störung enthalten, so durchkreuzt, daß z. B. durch
frühen Untergang das harmlos Schöne tragisch, das Erhabene ohne Ver-
schulden durch äußeren Anstoß komisch, das Komische durch ernstes Uebel,
das sich einstellt, tragisch wird. Daß dabei die Gunst des guten Zufalls
zur Ungunst des störenden hinzutreten müsse, folgt aus §. 234. Es ist
unter den hier gegebenen Beispielen nicht besonders auf die höheren Er-
scheinungen der sittlichen Mächte hingewiesen worden; wie diese sämmtlich
theils durch Schuld in's Tragische, theils durch Mängel, Versehen und
störenden Zufall in's Komische übergehen können, ist durch die vielen
Beispiele, die der erste Theil des Systems beibrachte, sattsam in's Licht
gestellt.

5. Die Voranstellung der Grundformen des Schönen in einem ersten,
metaphysischen Theile wird uns nun namentlich die Frucht tragen, daß sie
uns im Ueberblick der Naturreiche unterstützt, Eintheilungen an die Hand
gibt und den Erscheinungen, die auf den ersten Anblick häßlich sind, ihren
Ort sichert. Doch kann sich die Aesthetik natürlich nicht auf einen Versuch
einlassen, überall das Naturschöne in die Gegensätze des Erhabenen und
Komischen und wieder in deren einzelne Momente zu verfolgen. Es
genügt, jene da hervortreten zu lassen, wo eine bedeutendere Gattung,
Lebensform ihrem wesentlichen Gepräge nach dem einen oder andern
Gegensatze zufällt, im Uebrigen wird das Schöne immer als Ganzes ohne
weitere Unterscheidung seiner streitenden Formen gefaßt werden.



ebenſo geht es in die einfachſten Formen der Komik über; der Menſch
durchläuft alle Formen des Erhabenen und Komiſchen.

4. Dieſe Bemerkungen galten dem Gattungstypus; derſelbe wird aber
vom Zufall, und zwar jetzt abgeſehen von Lebensaltern und Verhältniß-
Stellungen, welche keine Störung enthalten, ſo durchkreuzt, daß z. B. durch
frühen Untergang das harmlos Schöne tragiſch, das Erhabene ohne Ver-
ſchulden durch äußeren Anſtoß komiſch, das Komiſche durch ernſtes Uebel,
das ſich einſtellt, tragiſch wird. Daß dabei die Gunſt des guten Zufalls
zur Ungunſt des ſtörenden hinzutreten müſſe, folgt aus §. 234. Es iſt
unter den hier gegebenen Beiſpielen nicht beſonders auf die höheren Er-
ſcheinungen der ſittlichen Mächte hingewieſen worden; wie dieſe ſämmtlich
theils durch Schuld in’s Tragiſche, theils durch Mängel, Verſehen und
ſtörenden Zufall in’s Komiſche übergehen können, iſt durch die vielen
Beiſpiele, die der erſte Theil des Syſtems beibrachte, ſattſam in’s Licht
geſtellt.

5. Die Voranſtellung der Grundformen des Schönen in einem erſten,
metaphyſiſchen Theile wird uns nun namentlich die Frucht tragen, daß ſie
uns im Ueberblick der Naturreiche unterſtützt, Eintheilungen an die Hand
gibt und den Erſcheinungen, die auf den erſten Anblick häßlich ſind, ihren
Ort ſichert. Doch kann ſich die Aeſthetik natürlich nicht auf einen Verſuch
einlaſſen, überall das Naturſchöne in die Gegenſätze des Erhabenen und
Komiſchen und wieder in deren einzelne Momente zu verfolgen. Es
genügt, jene da hervortreten zu laſſen, wo eine bedeutendere Gattung,
Lebensform ihrem weſentlichen Gepräge nach dem einen oder andern
Gegenſatze zufällt, im Uebrigen wird das Schöne immer als Ganzes ohne
weitere Unterſcheidung ſeiner ſtreitenden Formen gefaßt werden.



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[24/0036] ebenſo geht es in die einfachſten Formen der Komik über; der Menſch durchläuft alle Formen des Erhabenen und Komiſchen. 4. Dieſe Bemerkungen galten dem Gattungstypus; derſelbe wird aber vom Zufall, und zwar jetzt abgeſehen von Lebensaltern und Verhältniß- Stellungen, welche keine Störung enthalten, ſo durchkreuzt, daß z. B. durch frühen Untergang das harmlos Schöne tragiſch, das Erhabene ohne Ver- ſchulden durch äußeren Anſtoß komiſch, das Komiſche durch ernſtes Uebel, das ſich einſtellt, tragiſch wird. Daß dabei die Gunſt des guten Zufalls zur Ungunſt des ſtörenden hinzutreten müſſe, folgt aus §. 234. Es iſt unter den hier gegebenen Beiſpielen nicht beſonders auf die höheren Er- ſcheinungen der ſittlichen Mächte hingewieſen worden; wie dieſe ſämmtlich theils durch Schuld in’s Tragiſche, theils durch Mängel, Verſehen und ſtörenden Zufall in’s Komiſche übergehen können, iſt durch die vielen Beiſpiele, die der erſte Theil des Syſtems beibrachte, ſattſam in’s Licht geſtellt. 5. Die Voranſtellung der Grundformen des Schönen in einem erſten, metaphyſiſchen Theile wird uns nun namentlich die Frucht tragen, daß ſie uns im Ueberblick der Naturreiche unterſtützt, Eintheilungen an die Hand gibt und den Erſcheinungen, die auf den erſten Anblick häßlich ſind, ihren Ort ſichert. Doch kann ſich die Aeſthetik natürlich nicht auf einen Verſuch einlaſſen, überall das Naturſchöne in die Gegenſätze des Erhabenen und Komiſchen und wieder in deren einzelne Momente zu verfolgen. Es genügt, jene da hervortreten zu laſſen, wo eine bedeutendere Gattung, Lebensform ihrem weſentlichen Gepräge nach dem einen oder andern Gegenſatze zufällt, im Uebrigen wird das Schöne immer als Ganzes ohne weitere Unterſcheidung ſeiner ſtreitenden Formen gefaßt werden.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/36>, abgerufen am 28.03.2024.