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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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dem Allgemeinen hinzuzukommen, das Inhalt der Metaphysik war, und
dieser Schein des Hinzukommens ist das berühmte Kreuz der Philosophie.
Ich habe, sagt man, wenn in der Sphäre des reinen Begriffs auch die
Begriffe Art und Gattung metaphysisch oder logisch untersucht sind, noch
kein Thier, keinen Fuchs, Hasen u. s. w. demonstrirt; ebenso ist freilich
z. B. noch kein Unterschied der Künste und Zweige der einzelnen Künste
abgeleitet, wenn die allgemeinen Begriffsmomente des Schönen entwickelt
sind. Allein in der Metaphysik muß auch dieß bewiesen sein, daß der
Begriff in jeder seiner allgemeinen Formen ein thätig sich Bewegendes ist,
das, um sich bewegen zu können, ein Anderes voraussetzt, sich voraus-
schickt und gegenüberstellt, an welchem, mit welchem, gegen welches er
thätig ist; dadurch und durch nichts Anderes sind die wirklichen Reiche
des Seins bedingt, welche nur durch die Namen, die wir ihnen über-
lieferter Weise beilegen, so als etwas ganz Besonderes, in der Vernunft
nicht Begründetes erscheinen. Sie sind aus keinem Stoffe gemacht, der
zu dem Denken als ein Fremdes hinzukäme; so weit du die sinnlichen
Dinge durchschneidest, du findest nichts, als das Eine, was tausend
Formen annimmt, was Erde, Pflanze, Thier, Geist ist, und dieß Eine
nimmt diese Formen an, eben um durch Gegensatz zu leben. So ist
auch in allen wirklichen Formen des Schönen nichts Anderes zu finden,
als das Schöne, das, um sich zu realisiren, Formen einander gegenüber-
stellt, deren eine gegen die andere spannt, über die andere erhebt; nur
daß hier, weil eine besondere Sphäre des Einen und Allgemeinen vorliegt,
Neues und anfänglich Fremdes aus anderen Sphären hinzutritt, was
aber ganz in das Schöne verarbeitet wird (vergl. §. 9, 2.).

Die erste Form der Existenz nun, in welche der Begriff aus seiner
reinen Allgemeinheit eintritt, muß das Unmittelbare sein: die Natur, in
der Aesthetik das Naturschöne. Das Vermittelte, was auf der Seite der
Metaphysik dem Unmittelbaren entgegensteht, wurde im §. abstract
logische Vermittlung genannt, denn vermittelte Form nimmt auch die
wirkliche Existenz des Begriffs an, diese aber ist real vermitteltes Sein,
wogegen die Vermittlung, welche zum Ende und zur Ruhe gelangt sein
muß, wenn zu dem realen Sein überhaupt soll übergegangen werden
können, die rein dialektische ist, die im allgemeinen Elemente des Gedankens
geschieht. Während nun die besondere Wissenschaft der Aesthetik nicht die
Pflicht hat, den Uebergang aus der Metaphysik überhaupt in die Natur-
philosophie zu demonstriren, so kann sie der wahren Führung dieser
Demonstration doch von ihrer Sphäre aus dadurch negativ zu Hilfe
kommen, daß sie zeigt, welche Verkehrung der richtigen Ordnung es zur
Folge hat, wenn man einen fremden hypostatischen Begriff zwischen das
Allgemeine der Metaphysik und die reale Welt einschiebt. Dieser Begriff

dem Allgemeinen hinzuzukommen, das Inhalt der Metaphyſik war, und
dieſer Schein des Hinzukommens iſt das berühmte Kreuz der Philoſophie.
Ich habe, ſagt man, wenn in der Sphäre des reinen Begriffs auch die
Begriffe Art und Gattung metaphyſiſch oder logiſch unterſucht ſind, noch
kein Thier, keinen Fuchs, Haſen u. ſ. w. demonſtrirt; ebenſo iſt freilich
z. B. noch kein Unterſchied der Künſte und Zweige der einzelnen Künſte
abgeleitet, wenn die allgemeinen Begriffsmomente des Schönen entwickelt
ſind. Allein in der Metaphyſik muß auch dieß bewieſen ſein, daß der
Begriff in jeder ſeiner allgemeinen Formen ein thätig ſich Bewegendes iſt,
das, um ſich bewegen zu können, ein Anderes vorausſetzt, ſich voraus-
ſchickt und gegenüberſtellt, an welchem, mit welchem, gegen welches er
thätig iſt; dadurch und durch nichts Anderes ſind die wirklichen Reiche
des Seins bedingt, welche nur durch die Namen, die wir ihnen über-
lieferter Weiſe beilegen, ſo als etwas ganz Beſonderes, in der Vernunft
nicht Begründetes erſcheinen. Sie ſind aus keinem Stoffe gemacht, der
zu dem Denken als ein Fremdes hinzukäme; ſo weit du die ſinnlichen
Dinge durchſchneideſt, du findeſt nichts, als das Eine, was tauſend
Formen annimmt, was Erde, Pflanze, Thier, Geiſt iſt, und dieß Eine
nimmt dieſe Formen an, eben um durch Gegenſatz zu leben. So iſt
auch in allen wirklichen Formen des Schönen nichts Anderes zu finden,
als das Schöne, das, um ſich zu realiſiren, Formen einander gegenüber-
ſtellt, deren eine gegen die andere ſpannt, über die andere erhebt; nur
daß hier, weil eine beſondere Sphäre des Einen und Allgemeinen vorliegt,
Neues und anfänglich Fremdes aus anderen Sphären hinzutritt, was
aber ganz in das Schöne verarbeitet wird (vergl. §. 9, 2.).

Die erſte Form der Exiſtenz nun, in welche der Begriff aus ſeiner
reinen Allgemeinheit eintritt, muß das Unmittelbare ſein: die Natur, in
der Aeſthetik das Naturſchöne. Das Vermittelte, was auf der Seite der
Metaphyſik dem Unmittelbaren entgegenſteht, wurde im §. abſtract
logiſche Vermittlung genannt, denn vermittelte Form nimmt auch die
wirkliche Exiſtenz des Begriffs an, dieſe aber iſt real vermitteltes Sein,
wogegen die Vermittlung, welche zum Ende und zur Ruhe gelangt ſein
muß, wenn zu dem realen Sein überhaupt ſoll übergegangen werden
können, die rein dialektiſche iſt, die im allgemeinen Elemente des Gedankens
geſchieht. Während nun die beſondere Wiſſenſchaft der Aeſthetik nicht die
Pflicht hat, den Uebergang aus der Metaphyſik überhaupt in die Natur-
philoſophie zu demonſtriren, ſo kann ſie der wahren Führung dieſer
Demonſtration doch von ihrer Sphäre aus dadurch negativ zu Hilfe
kommen, daß ſie zeigt, welche Verkehrung der richtigen Ordnung es zur
Folge hat, wenn man einen fremden hypoſtatiſchen Begriff zwiſchen das
Allgemeine der Metaphyſik und die reale Welt einſchiebt. Dieſer Begriff

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[5/0017] dem Allgemeinen hinzuzukommen, das Inhalt der Metaphyſik war, und dieſer Schein des Hinzukommens iſt das berühmte Kreuz der Philoſophie. Ich habe, ſagt man, wenn in der Sphäre des reinen Begriffs auch die Begriffe Art und Gattung metaphyſiſch oder logiſch unterſucht ſind, noch kein Thier, keinen Fuchs, Haſen u. ſ. w. demonſtrirt; ebenſo iſt freilich z. B. noch kein Unterſchied der Künſte und Zweige der einzelnen Künſte abgeleitet, wenn die allgemeinen Begriffsmomente des Schönen entwickelt ſind. Allein in der Metaphyſik muß auch dieß bewieſen ſein, daß der Begriff in jeder ſeiner allgemeinen Formen ein thätig ſich Bewegendes iſt, das, um ſich bewegen zu können, ein Anderes vorausſetzt, ſich voraus- ſchickt und gegenüberſtellt, an welchem, mit welchem, gegen welches er thätig iſt; dadurch und durch nichts Anderes ſind die wirklichen Reiche des Seins bedingt, welche nur durch die Namen, die wir ihnen über- lieferter Weiſe beilegen, ſo als etwas ganz Beſonderes, in der Vernunft nicht Begründetes erſcheinen. Sie ſind aus keinem Stoffe gemacht, der zu dem Denken als ein Fremdes hinzukäme; ſo weit du die ſinnlichen Dinge durchſchneideſt, du findeſt nichts, als das Eine, was tauſend Formen annimmt, was Erde, Pflanze, Thier, Geiſt iſt, und dieß Eine nimmt dieſe Formen an, eben um durch Gegenſatz zu leben. So iſt auch in allen wirklichen Formen des Schönen nichts Anderes zu finden, als das Schöne, das, um ſich zu realiſiren, Formen einander gegenüber- ſtellt, deren eine gegen die andere ſpannt, über die andere erhebt; nur daß hier, weil eine beſondere Sphäre des Einen und Allgemeinen vorliegt, Neues und anfänglich Fremdes aus anderen Sphären hinzutritt, was aber ganz in das Schöne verarbeitet wird (vergl. §. 9, 2.). Die erſte Form der Exiſtenz nun, in welche der Begriff aus ſeiner reinen Allgemeinheit eintritt, muß das Unmittelbare ſein: die Natur, in der Aeſthetik das Naturſchöne. Das Vermittelte, was auf der Seite der Metaphyſik dem Unmittelbaren entgegenſteht, wurde im §. abſtract logiſche Vermittlung genannt, denn vermittelte Form nimmt auch die wirkliche Exiſtenz des Begriffs an, dieſe aber iſt real vermitteltes Sein, wogegen die Vermittlung, welche zum Ende und zur Ruhe gelangt ſein muß, wenn zu dem realen Sein überhaupt ſoll übergegangen werden können, die rein dialektiſche iſt, die im allgemeinen Elemente des Gedankens geſchieht. Während nun die beſondere Wiſſenſchaft der Aeſthetik nicht die Pflicht hat, den Uebergang aus der Metaphyſik überhaupt in die Natur- philoſophie zu demonſtriren, ſo kann ſie der wahren Führung dieſer Demonſtration doch von ihrer Sphäre aus dadurch negativ zu Hilfe kommen, daß ſie zeigt, welche Verkehrung der richtigen Ordnung es zur Folge hat, wenn man einen fremden hypoſtatiſchen Begriff zwiſchen das Allgemeine der Metaphyſik und die reale Welt einſchiebt. Dieſer Begriff

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/17>, abgerufen am 20.04.2024.