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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Hegel sagt (Aesth. Th. 1, S. 88): "das Komische muß darauf beschränkt
seyn, daß Alles, was sich vernichtet, ein an sich selbst Nichtiges, eine
falsche und widersprechende Erscheinung, eine Grille z. B., ein Eigensinn,
eine besondere Caprice, gegen eine mächtige Leidenschaft, oder auch ein
vermeintlich haltbarer Grundsatz und feste Maxime sey." Mit dem letzten
Theile dieses Satzes scheint er wieder liberaler zu sprechen, aber er meint
offenbar nur eine schiefe Maxime. Sein Eifer gegen die romantische Ironie
hat ihn unfrei gegen die Komik gestimmt und er widerspricht sich selbst,
wenn er (a. a. O. Th. 2, S. 117) sagt: "es ist nicht eben eine poetische
Lustigkeit, welche sich damit begnügt, was schlecht ist, lächerlich zu machen."
Allerdings ist auszusprechen, daß auch der gute Wille, eben insofern sich
auch in ihn die Trübung einschleicht, nicht wahrhaft erhaben sey; allein
der Vorwurf des blosen Scheins trifft nur den Anspruch auf absolute
Vollkommenheit, nicht die wirkliche Güte des Kerns, und nur in jenem
Sinne ist der Satz aufzustellen, daß das Komische allerdings darauf
ausgeht, nichts wahrhaft Erhabenes gelten zu lassen. Nur völliger Un-
verstand könnte dieser Behauptung Frivolität vorrücken, denn es wird
sich zeigen, wie durch das wahre Lachen der verlachte Gegenstand in das
lachende Subject gerettet, nicht das Erhabene "in den Staub gezogen
wird." Das Komische hat im Stoffe keine Grenzen, nur in der Form.
Es braucht kaum darauf aufmerksam gemacht zu werden, wie alle ächten
Humoristen die edelsten Gefühle, Stimmungen, Charaktere durch Anheftung
unschuldiger Schwächen in's Komische zu ziehen wußten, ohne frivol zu
werden. Je reiner freilich ein also dargestellter Charakter, desto gewisser
muß er, weil ihm Besinnung auf sich nothwendig zukommt, das Lachen
auch selbst übernehmen: von dieser Erscheinung, dem subjectiven Humor,
muß an seinem Orte die Rede seyn. Das negativ Pathetische wird aller-
dings schwerer komisch, als das positiv Pathetische. Wenn nämlich Jemand
den Märtyrer zu spielen blos vorgibt oder zur Durchführung gar nicht
die Kraft hat, so gehört dies nicht hieher, sondern dann ist es die Leiden-
schaft oder der unstete Wille und der denkende Geist in seiner Selbst-
täuschung, was komisch wird. Doch auch die wirkliche Kraft der Selbst-
überwindung kann einen Fall vor sich zu haben glauben, wo sie nöthig
sey, aber wirklich nicht nöthig ist, kann in der Durchführung des Kampfes
versagen u. s. w.


Hegel ſagt (Aeſth. Th. 1, S. 88): „das Komiſche muß darauf beſchränkt
ſeyn, daß Alles, was ſich vernichtet, ein an ſich ſelbſt Nichtiges, eine
falſche und widerſprechende Erſcheinung, eine Grille z. B., ein Eigenſinn,
eine beſondere Caprice, gegen eine mächtige Leidenſchaft, oder auch ein
vermeintlich haltbarer Grundſatz und feſte Maxime ſey.“ Mit dem letzten
Theile dieſes Satzes ſcheint er wieder liberaler zu ſprechen, aber er meint
offenbar nur eine ſchiefe Maxime. Sein Eifer gegen die romantiſche Ironie
hat ihn unfrei gegen die Komik geſtimmt und er widerſpricht ſich ſelbſt,
wenn er (a. a. O. Th. 2, S. 117) ſagt: „es iſt nicht eben eine poetiſche
Luſtigkeit, welche ſich damit begnügt, was ſchlecht iſt, lächerlich zu machen.“
Allerdings iſt auszuſprechen, daß auch der gute Wille, eben inſofern ſich
auch in ihn die Trübung einſchleicht, nicht wahrhaft erhaben ſey; allein
der Vorwurf des bloſen Scheins trifft nur den Anſpruch auf abſolute
Vollkommenheit, nicht die wirkliche Güte des Kerns, und nur in jenem
Sinne iſt der Satz aufzuſtellen, daß das Komiſche allerdings darauf
ausgeht, nichts wahrhaft Erhabenes gelten zu laſſen. Nur völliger Un-
verſtand könnte dieſer Behauptung Frivolität vorrücken, denn es wird
ſich zeigen, wie durch das wahre Lachen der verlachte Gegenſtand in das
lachende Subject gerettet, nicht das Erhabene „in den Staub gezogen
wird.“ Das Komiſche hat im Stoffe keine Grenzen, nur in der Form.
Es braucht kaum darauf aufmerkſam gemacht zu werden, wie alle ächten
Humoriſten die edelſten Gefühle, Stimmungen, Charaktere durch Anheftung
unſchuldiger Schwächen in’s Komiſche zu ziehen wußten, ohne frivol zu
werden. Je reiner freilich ein alſo dargeſtellter Charakter, deſto gewiſſer
muß er, weil ihm Beſinnung auf ſich nothwendig zukommt, das Lachen
auch ſelbſt übernehmen: von dieſer Erſcheinung, dem ſubjectiven Humor,
muß an ſeinem Orte die Rede ſeyn. Das negativ Pathetiſche wird aller-
dings ſchwerer komiſch, als das poſitiv Pathetiſche. Wenn nämlich Jemand
den Märtyrer zu ſpielen blos vorgibt oder zur Durchführung gar nicht
die Kraft hat, ſo gehört dies nicht hieher, ſondern dann iſt es die Leiden-
ſchaft oder der unſtete Wille und der denkende Geiſt in ſeiner Selbſt-
täuſchung, was komiſch wird. Doch auch die wirkliche Kraft der Selbſt-
überwindung kann einen Fall vor ſich zu haben glauben, wo ſie nöthig
ſey, aber wirklich nicht nöthig iſt, kann in der Durchführung des Kampfes
verſagen u. ſ. w.


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[368/0382] Hegel ſagt (Aeſth. Th. 1, S. 88): „das Komiſche muß darauf beſchränkt ſeyn, daß Alles, was ſich vernichtet, ein an ſich ſelbſt Nichtiges, eine falſche und widerſprechende Erſcheinung, eine Grille z. B., ein Eigenſinn, eine beſondere Caprice, gegen eine mächtige Leidenſchaft, oder auch ein vermeintlich haltbarer Grundſatz und feſte Maxime ſey.“ Mit dem letzten Theile dieſes Satzes ſcheint er wieder liberaler zu ſprechen, aber er meint offenbar nur eine ſchiefe Maxime. Sein Eifer gegen die romantiſche Ironie hat ihn unfrei gegen die Komik geſtimmt und er widerſpricht ſich ſelbſt, wenn er (a. a. O. Th. 2, S. 117) ſagt: „es iſt nicht eben eine poetiſche Luſtigkeit, welche ſich damit begnügt, was ſchlecht iſt, lächerlich zu machen.“ Allerdings iſt auszuſprechen, daß auch der gute Wille, eben inſofern ſich auch in ihn die Trübung einſchleicht, nicht wahrhaft erhaben ſey; allein der Vorwurf des bloſen Scheins trifft nur den Anſpruch auf abſolute Vollkommenheit, nicht die wirkliche Güte des Kerns, und nur in jenem Sinne iſt der Satz aufzuſtellen, daß das Komiſche allerdings darauf ausgeht, nichts wahrhaft Erhabenes gelten zu laſſen. Nur völliger Un- verſtand könnte dieſer Behauptung Frivolität vorrücken, denn es wird ſich zeigen, wie durch das wahre Lachen der verlachte Gegenſtand in das lachende Subject gerettet, nicht das Erhabene „in den Staub gezogen wird.“ Das Komiſche hat im Stoffe keine Grenzen, nur in der Form. Es braucht kaum darauf aufmerkſam gemacht zu werden, wie alle ächten Humoriſten die edelſten Gefühle, Stimmungen, Charaktere durch Anheftung unſchuldiger Schwächen in’s Komiſche zu ziehen wußten, ohne frivol zu werden. Je reiner freilich ein alſo dargeſtellter Charakter, deſto gewiſſer muß er, weil ihm Beſinnung auf ſich nothwendig zukommt, das Lachen auch ſelbſt übernehmen: von dieſer Erſcheinung, dem ſubjectiven Humor, muß an ſeinem Orte die Rede ſeyn. Das negativ Pathetiſche wird aller- dings ſchwerer komiſch, als das poſitiv Pathetiſche. Wenn nämlich Jemand den Märtyrer zu ſpielen blos vorgibt oder zur Durchführung gar nicht die Kraft hat, ſo gehört dies nicht hieher, ſondern dann iſt es die Leiden- ſchaft oder der unſtete Wille und der denkende Geiſt in ſeiner Selbſt- täuſchung, was komiſch wird. Doch auch die wirkliche Kraft der Selbſt- überwindung kann einen Fall vor ſich zu haben glauben, wo ſie nöthig ſey, aber wirklich nicht nöthig iſt, kann in der Durchführung des Kampfes verſagen u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/382>, abgerufen am 20.04.2024.