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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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d. Aesth. S. 106. 107). Was ihnen vorschwebt, ist eine Kunst, welche
Larven statt Schönheit gibt, die verzerrte Romantik. Allein wo irgend
die Kunst diesen Abgrund ausbeutet, da thut sie es in der Meinung,
wahrhaft erhaben (und -- wodurch der folgende Uebergang freilich schon
ausgesprochen ist -- komisch) zu seyn. Keine Richtung der Kunst wird
den Satz: le laid est le beau, den eine geistreiche Caricatur als Loosung
der französischen Romantiker aufgestellt hat, in einem anderen Sinne
zum leitenden erheben, als weil sie durch das Häßliche tragisch (oder
komisch) zu erschüttern meint. Man könnte zwar sagen, es bleibe eine
solche Richtung doch im rein Häßlichen stehen, weil ihr das Moment
der Versöhnung fehle, das auch im Furchtbaren liegen soll. Allein nicht alle
Versöhnung fehlt, sondern diejenige, welche je die vorliegende Form fordert;
z. B. wo sittliche Versöhnung eintreten sollte, bleibt es bei dem allge-
meinen Lustgefühle, welches die blose Kraft mit sich führt. Dies ist
aber eine Verirrung, welche nur in der Lehre von der Phantasie, ihren
geschichtlichen Idealen, und von der Kunst zu erwähnen ist. Weil nun
jene Aesthetiker übersehen, daß der größte Theil der Häßlichkeit, die sie
darstellen, in das Erhabene fällt, wird die Lehre von diesem rein ver-
schwindenden Begriffe, der für sich gar keine wirkliche Welt des Schönen
begründen kann, zu selbständig und nimmt eine besondere abgegrenzte
Stellung ein, statt einen fließenden Uebergang darzustellen.

2. Der Uebergang, der zur reinen Häßlichkeit führt, liegt nach
§. 147 in einer Forderung, die nothwendig und blos aus dem Schönen
folgt. Er ist rein ästhetisch. Anders bei Weiße (a. a. O. §. 24).
Nach seiner Darstellung trieb, wie schon oben angeführt, das Erhabene
über das Schöne hinaus, dieses erschien nur als Anklang und Vorbild
eines höher liegenden Göttlichen (a. a. O. S. 165). Das Schöne
nun, das schön seyn will, ohne auf dieses Höhere hinauszuweisen, ist
nach ihm die Häßlichkeit. Demnach wäre Alles, was schön ist, aber
nicht auf die Weise des Erhabenen, häßlich, oder nach Weißes Er-
klärung des Erhabenen alles Schöne, das sich dagegen sträubt, sich
(wahrscheinlich als frostige Allegorie?) in die Theologie und theologische
Moral aufzulösen. Das Häßliche sträubt sich aber nicht gegen etwas
außer ihm, nicht gegen eine "Allgemeinheit, die zuvor als etwas außer
dem Gegenstande Vorhandenes betrachtet werden mußte" (S. 177),
sondern es sträubt sich gegen die Allgemeinheit, welche das Gebilde als
dessen eigenstes, innerstes Leben, als sein Gattungsgesetz so durchdringen
soll, daß es sie in sich selbst darstellt. Aus dieser Ableitung ergibt sich

d. Aeſth. S. 106. 107). Was ihnen vorſchwebt, iſt eine Kunſt, welche
Larven ſtatt Schönheit gibt, die verzerrte Romantik. Allein wo irgend
die Kunſt dieſen Abgrund ausbeutet, da thut ſie es in der Meinung,
wahrhaft erhaben (und — wodurch der folgende Uebergang freilich ſchon
ausgeſprochen iſt — komiſch) zu ſeyn. Keine Richtung der Kunſt wird
den Satz: le laid est le beau, den eine geiſtreiche Caricatur als Looſung
der franzöſiſchen Romantiker aufgeſtellt hat, in einem anderen Sinne
zum leitenden erheben, als weil ſie durch das Häßliche tragiſch (oder
komiſch) zu erſchüttern meint. Man könnte zwar ſagen, es bleibe eine
ſolche Richtung doch im rein Häßlichen ſtehen, weil ihr das Moment
der Verſöhnung fehle, das auch im Furchtbaren liegen ſoll. Allein nicht alle
Verſöhnung fehlt, ſondern diejenige, welche je die vorliegende Form fordert;
z. B. wo ſittliche Verſöhnung eintreten ſollte, bleibt es bei dem allge-
meinen Luſtgefühle, welches die bloſe Kraft mit ſich führt. Dies iſt
aber eine Verirrung, welche nur in der Lehre von der Phantaſie, ihren
geſchichtlichen Idealen, und von der Kunſt zu erwähnen iſt. Weil nun
jene Aeſthetiker überſehen, daß der größte Theil der Häßlichkeit, die ſie
darſtellen, in das Erhabene fällt, wird die Lehre von dieſem rein ver-
ſchwindenden Begriffe, der für ſich gar keine wirkliche Welt des Schönen
begründen kann, zu ſelbſtändig und nimmt eine beſondere abgegrenzte
Stellung ein, ſtatt einen fließenden Uebergang darzuſtellen.

2. Der Uebergang, der zur reinen Häßlichkeit führt, liegt nach
§. 147 in einer Forderung, die nothwendig und blos aus dem Schönen
folgt. Er iſt rein äſthetiſch. Anders bei Weiße (a. a. O. §. 24).
Nach ſeiner Darſtellung trieb, wie ſchon oben angeführt, das Erhabene
über das Schöne hinaus, dieſes erſchien nur als Anklang und Vorbild
eines höher liegenden Göttlichen (a. a. O. S. 165). Das Schöne
nun, das ſchön ſeyn will, ohne auf dieſes Höhere hinauszuweiſen, iſt
nach ihm die Häßlichkeit. Demnach wäre Alles, was ſchön iſt, aber
nicht auf die Weiſe des Erhabenen, häßlich, oder nach Weißes Er-
klärung des Erhabenen alles Schöne, das ſich dagegen ſträubt, ſich
(wahrſcheinlich als froſtige Allegorie?) in die Theologie und theologiſche
Moral aufzulöſen. Das Häßliche ſträubt ſich aber nicht gegen etwas
außer ihm, nicht gegen eine „Allgemeinheit, die zuvor als etwas außer
dem Gegenſtande Vorhandenes betrachtet werden mußte“ (S. 177),
ſondern es ſträubt ſich gegen die Allgemeinheit, welche das Gebilde als
deſſen eigenſtes, innerſtes Leben, als ſein Gattungsgeſetz ſo durchdringen
ſoll, daß es ſie in ſich ſelbſt darſtellt. Aus dieſer Ableitung ergibt ſich

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[338/0352] d. Aeſth. S. 106. 107). Was ihnen vorſchwebt, iſt eine Kunſt, welche Larven ſtatt Schönheit gibt, die verzerrte Romantik. Allein wo irgend die Kunſt dieſen Abgrund ausbeutet, da thut ſie es in der Meinung, wahrhaft erhaben (und — wodurch der folgende Uebergang freilich ſchon ausgeſprochen iſt — komiſch) zu ſeyn. Keine Richtung der Kunſt wird den Satz: le laid est le beau, den eine geiſtreiche Caricatur als Looſung der franzöſiſchen Romantiker aufgeſtellt hat, in einem anderen Sinne zum leitenden erheben, als weil ſie durch das Häßliche tragiſch (oder komiſch) zu erſchüttern meint. Man könnte zwar ſagen, es bleibe eine ſolche Richtung doch im rein Häßlichen ſtehen, weil ihr das Moment der Verſöhnung fehle, das auch im Furchtbaren liegen ſoll. Allein nicht alle Verſöhnung fehlt, ſondern diejenige, welche je die vorliegende Form fordert; z. B. wo ſittliche Verſöhnung eintreten ſollte, bleibt es bei dem allge- meinen Luſtgefühle, welches die bloſe Kraft mit ſich führt. Dies iſt aber eine Verirrung, welche nur in der Lehre von der Phantaſie, ihren geſchichtlichen Idealen, und von der Kunſt zu erwähnen iſt. Weil nun jene Aeſthetiker überſehen, daß der größte Theil der Häßlichkeit, die ſie darſtellen, in das Erhabene fällt, wird die Lehre von dieſem rein ver- ſchwindenden Begriffe, der für ſich gar keine wirkliche Welt des Schönen begründen kann, zu ſelbſtändig und nimmt eine beſondere abgegrenzte Stellung ein, ſtatt einen fließenden Uebergang darzuſtellen. 2. Der Uebergang, der zur reinen Häßlichkeit führt, liegt nach §. 147 in einer Forderung, die nothwendig und blos aus dem Schönen folgt. Er iſt rein äſthetiſch. Anders bei Weiße (a. a. O. §. 24). Nach ſeiner Darſtellung trieb, wie ſchon oben angeführt, das Erhabene über das Schöne hinaus, dieſes erſchien nur als Anklang und Vorbild eines höher liegenden Göttlichen (a. a. O. S. 165). Das Schöne nun, das ſchön ſeyn will, ohne auf dieſes Höhere hinauszuweiſen, iſt nach ihm die Häßlichkeit. Demnach wäre Alles, was ſchön iſt, aber nicht auf die Weiſe des Erhabenen, häßlich, oder nach Weißes Er- klärung des Erhabenen alles Schöne, das ſich dagegen ſträubt, ſich (wahrſcheinlich als froſtige Allegorie?) in die Theologie und theologiſche Moral aufzulöſen. Das Häßliche ſträubt ſich aber nicht gegen etwas außer ihm, nicht gegen eine „Allgemeinheit, die zuvor als etwas außer dem Gegenſtande Vorhandenes betrachtet werden mußte“ (S. 177), ſondern es ſträubt ſich gegen die Allgemeinheit, welche das Gebilde als deſſen eigenſtes, innerſtes Leben, als ſein Gattungsgeſetz ſo durchdringen ſoll, daß es ſie in ſich ſelbſt darſtellt. Aus dieſer Ableitung ergibt ſich

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/352>, abgerufen am 18.04.2024.