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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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zu verändern, sondern nur, schlechtweg sich zu manifestiren. Der Kampf
mit dem Materiale, den diese Thätigkeit allerdings zu bestehen hat, bis
sie ihm das innere Bild aufdrückt, ist mit dem Kampfe des Handelns
durchaus nicht zu verwechseln. Diesen Unterschied kennt Solger wohl;
er weiß, daß die Idee des Guten ein Sollen ist, wodurch Wirklichkeit
und Idee noch immer von einander geschieden sind, wogegen die Idee
der Schönheit die Verschmelzung beider als eine vollendete enthält
(a. a. O. S. 64. 65.). Dennoch meint er das Schöne praktisch nennen
zu müssen um der Verwandlung der Wirklichkeit willen, welche es voraus-
setzt (a. a. O. S. 70. 71.). Den Unterschied zwischen der ethischen
und der ästhetischen Thätigkeit erkennt aber auch Schleiermacher (Vor-
lesungen über die Aesthetik. Herausgeg. von Lommatzsch. S. 112 ff.
u. a. O.). Er setzt denselben zunächst darein, daß man das Wesen der
Kunst als einer immanenten Thätigkeit, d. h. einer solchen, bei welcher
das innere Bild das Wesentliche, das äußere aber nur ein später Hin-
zukommendes ist (S. 58), fassen könne, wenn man auch auf die äußere
Darstellung keine Rücksicht nehme, wogegen im eigentlich Praktischen das
Werk den Werth des Mannes bestimme, nicht die innere Vorbildung
desselben (S. 112 ff.). "Es kann sich Einer die schönsten Thaten innerlich
construiren, wenn er sie aber nicht wirklich macht, ist er eine Null, denn
das Werk ist hier das in die Wirklichkeit Heraustreten." Dies bedarf
jedoch einer wesentlichen Berichtigung. Schleiermacher behandelt hier
die künstlerische Ausführung viel zu gering, er scheidet viel zu scharf
zwischen dem inneren Bilde und der Technik. Bei dem wahren Künstler
sind diese beiden so wenig zu trennen, daß seine Technik bis hinaus in
die Einzelnheiten der Manipulation u. s. w. von der Eigenthümlichkeit
seines inneren Schauens geheimnißvoll durchdrungen ist und umgekehrt
sein inneres Schauen schon an sich ein inneres Zeichnen, Malen u. s. w.,
nicht jedoch, als genüge ihm dies, sondern so, daß dasselbe mit einem
Drange der Nothwendigkeit auch zu einem äußern wird. Auch der
Künstler ist nur so viel, als er wirklich macht, und es ist falsch, was
der Maler in Emilia Galotti sagt: "Meinen Sie, daß Raphael
nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, wenn er unglücklicher
Weise ohne Hände wäre geboren worden?" Umgekehrt ist im eigentlich
ethischen Gebiete das innere Bild der That und der geistige Zusammen-
hang, dem es angehört, d. h. die Gesinnung, so wesentlich, daß sie weit
unbezweifelter als Ergänzung für die mangelhafte That genommen werden,
als das Phantasiebild für die geringe Ausführung im Kunstwerke; man

zu verändern, ſondern nur, ſchlechtweg ſich zu manifeſtiren. Der Kampf
mit dem Materiale, den dieſe Thätigkeit allerdings zu beſtehen hat, bis
ſie ihm das innere Bild aufdrückt, iſt mit dem Kampfe des Handelns
durchaus nicht zu verwechſeln. Dieſen Unterſchied kennt Solger wohl;
er weiß, daß die Idee des Guten ein Sollen iſt, wodurch Wirklichkeit
und Idee noch immer von einander geſchieden ſind, wogegen die Idee
der Schönheit die Verſchmelzung beider als eine vollendete enthält
(a. a. O. S. 64. 65.). Dennoch meint er das Schöne praktiſch nennen
zu müſſen um der Verwandlung der Wirklichkeit willen, welche es voraus-
ſetzt (a. a. O. S. 70. 71.). Den Unterſchied zwiſchen der ethiſchen
und der äſthetiſchen Thätigkeit erkennt aber auch Schleiermacher (Vor-
leſungen über die Aeſthetik. Herausgeg. von Lommatzſch. S. 112 ff.
u. a. O.). Er ſetzt denſelben zunächſt darein, daß man das Weſen der
Kunſt als einer immanenten Thätigkeit, d. h. einer ſolchen, bei welcher
das innere Bild das Weſentliche, das äußere aber nur ein ſpäter Hin-
zukommendes iſt (S. 58), faſſen könne, wenn man auch auf die äußere
Darſtellung keine Rückſicht nehme, wogegen im eigentlich Praktiſchen das
Werk den Werth des Mannes beſtimme, nicht die innere Vorbildung
desſelben (S. 112 ff.). „Es kann ſich Einer die ſchönſten Thaten innerlich
conſtruiren, wenn er ſie aber nicht wirklich macht, iſt er eine Null, denn
das Werk iſt hier das in die Wirklichkeit Heraustreten.“ Dies bedarf
jedoch einer weſentlichen Berichtigung. Schleiermacher behandelt hier
die künſtleriſche Ausführung viel zu gering, er ſcheidet viel zu ſcharf
zwiſchen dem inneren Bilde und der Technik. Bei dem wahren Künſtler
ſind dieſe beiden ſo wenig zu trennen, daß ſeine Technik bis hinaus in
die Einzelnheiten der Manipulation u. ſ. w. von der Eigenthümlichkeit
ſeines inneren Schauens geheimnißvoll durchdrungen iſt und umgekehrt
ſein inneres Schauen ſchon an ſich ein inneres Zeichnen, Malen u. ſ. w.,
nicht jedoch, als genüge ihm dies, ſondern ſo, daß dasſelbe mit einem
Drange der Nothwendigkeit auch zu einem äußern wird. Auch der
Künſtler iſt nur ſo viel, als er wirklich macht, und es iſt falſch, was
der Maler in Emilia Galotti ſagt: „Meinen Sie, daß Raphael
nicht das größte maleriſche Genie geweſen wäre, wenn er unglücklicher
Weiſe ohne Hände wäre geboren worden?“ Umgekehrt iſt im eigentlich
ethiſchen Gebiete das innere Bild der That und der geiſtige Zuſammen-
hang, dem es angehört, d. h. die Geſinnung, ſo weſentlich, daß ſie weit
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[10/0024] zu verändern, ſondern nur, ſchlechtweg ſich zu manifeſtiren. Der Kampf mit dem Materiale, den dieſe Thätigkeit allerdings zu beſtehen hat, bis ſie ihm das innere Bild aufdrückt, iſt mit dem Kampfe des Handelns durchaus nicht zu verwechſeln. Dieſen Unterſchied kennt Solger wohl; er weiß, daß die Idee des Guten ein Sollen iſt, wodurch Wirklichkeit und Idee noch immer von einander geſchieden ſind, wogegen die Idee der Schönheit die Verſchmelzung beider als eine vollendete enthält (a. a. O. S. 64. 65.). Dennoch meint er das Schöne praktiſch nennen zu müſſen um der Verwandlung der Wirklichkeit willen, welche es voraus- ſetzt (a. a. O. S. 70. 71.). Den Unterſchied zwiſchen der ethiſchen und der äſthetiſchen Thätigkeit erkennt aber auch Schleiermacher (Vor- leſungen über die Aeſthetik. Herausgeg. von Lommatzſch. S. 112 ff. u. a. O.). Er ſetzt denſelben zunächſt darein, daß man das Weſen der Kunſt als einer immanenten Thätigkeit, d. h. einer ſolchen, bei welcher das innere Bild das Weſentliche, das äußere aber nur ein ſpäter Hin- zukommendes iſt (S. 58), faſſen könne, wenn man auch auf die äußere Darſtellung keine Rückſicht nehme, wogegen im eigentlich Praktiſchen das Werk den Werth des Mannes beſtimme, nicht die innere Vorbildung desſelben (S. 112 ff.). „Es kann ſich Einer die ſchönſten Thaten innerlich conſtruiren, wenn er ſie aber nicht wirklich macht, iſt er eine Null, denn das Werk iſt hier das in die Wirklichkeit Heraustreten.“ Dies bedarf jedoch einer weſentlichen Berichtigung. Schleiermacher behandelt hier die künſtleriſche Ausführung viel zu gering, er ſcheidet viel zu ſcharf zwiſchen dem inneren Bilde und der Technik. Bei dem wahren Künſtler ſind dieſe beiden ſo wenig zu trennen, daß ſeine Technik bis hinaus in die Einzelnheiten der Manipulation u. ſ. w. von der Eigenthümlichkeit ſeines inneren Schauens geheimnißvoll durchdrungen iſt und umgekehrt ſein inneres Schauen ſchon an ſich ein inneres Zeichnen, Malen u. ſ. w., nicht jedoch, als genüge ihm dies, ſondern ſo, daß dasſelbe mit einem Drange der Nothwendigkeit auch zu einem äußern wird. Auch der Künſtler iſt nur ſo viel, als er wirklich macht, und es iſt falſch, was der Maler in Emilia Galotti ſagt: „Meinen Sie, daß Raphael nicht das größte maleriſche Genie geweſen wäre, wenn er unglücklicher Weiſe ohne Hände wäre geboren worden?“ Umgekehrt iſt im eigentlich ethiſchen Gebiete das innere Bild der That und der geiſtige Zuſammen- hang, dem es angehört, d. h. die Geſinnung, ſo weſentlich, daß ſie weit unbezweifelter als Ergänzung für die mangelhafte That genommen werden, als das Phantaſiebild für die geringe Ausführung im Kunſtwerke; man

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/24>, abgerufen am 28.03.2024.