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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Dritte Vorlesung.
man sich an die Zeit der eigentlichen Entwicklungshöhe, so
lässt sich für alles Pathologische auch ein physiologisches Vor-
bild finden, und es ist eben so gut möglich für die Elemente
des Krebses solche Vorbilder zu entdecken, wie es möglich
ist, dieselben z. B. für den Eiter zu finden, der, wenn man
einmal specifische Gesichtspunkte festhalten will, ebenso im
Rechte ist, als etwas Besonderes betrachtet zu werden, wie
der Krebs. Beide stehen sich darin vollkommen parallel, und
wenn die Alten von Krebseiter gesprochen haben, so haben sie
in gewissem Sinne Recht gehabt, da der Eiter vom Krebssafte
sich nur durch die Entwicklungshöhe der einzelnen Elemente
unterscheidet.

Eine Classification auch der pathologischen Gebilde lässt
sich ganz in der Weise aufstellen, die wir vorher für die
physiologischen Gewebe versucht haben. Zunächst gibt es
auch hier Gebilde, welche wie die epithelialen wesentlich aus
zelligen Theilen zusammengesetzt sind, ohne dass zu diesen
etwas Erhebliches hinzukommt. In zweiter Linie treffen wir
Gewebe, welche sich denen der Bindesubstanz anschliessen, in-
dem regelmässig neben zelligen Theilen eine gewisse Menge
von Zwischensubstanz vorhanden ist. Endlich in dritter
Linie kommen diejenigen Bildungen, welche sich den höher
organisirten Producten, Blut, Muskeln, Nerven u. s. w. an-
schliessen.

Es ist nun von vorn herein hervorzuheben, dass in den pa-
thologischen Bildungen diejenigen Elemente um so häufiger vor-
handen sind, um so entschiedener praevaliren, welche den höheren
Charakter der eigentlich thierischen Entwicklung nicht reprä-
sentiren, dass also im Ganzen diejenigen Elemente am selten-
sten nachgebildet werden, welche den höher organisirten,
namentlich den Muskel- und Nervenapparaten angehören. Allein
ausgeschlossen sind auch diese Bildungen keineswegs; wir
kennen jede Art von pathologischer Neubildung, sie mag auf
ein Gewebe bezüglich sein, auf welches sie will, wenn es nur
überhaupt einen erkennbaren Habitus hat. Es besteht nur in
Beziehung auf die Häufigkeit und die Wichtigkeit eine Ver-
schiedenheit in der Art, dass die grösste Mehrzahl der patho-
logischen Producte überwiegend epitheliale oder Elemente der

Dritte Vorlesung.
man sich an die Zeit der eigentlichen Entwicklungshöhe, so
lässt sich für alles Pathologische auch ein physiologisches Vor-
bild finden, und es ist eben so gut möglich für die Elemente
des Krebses solche Vorbilder zu entdecken, wie es möglich
ist, dieselben z. B. für den Eiter zu finden, der, wenn man
einmal specifische Gesichtspunkte festhalten will, ebenso im
Rechte ist, als etwas Besonderes betrachtet zu werden, wie
der Krebs. Beide stehen sich darin vollkommen parallel, und
wenn die Alten von Krebseiter gesprochen haben, so haben sie
in gewissem Sinne Recht gehabt, da der Eiter vom Krebssafte
sich nur durch die Entwicklungshöhe der einzelnen Elemente
unterscheidet.

Eine Classification auch der pathologischen Gebilde lässt
sich ganz in der Weise aufstellen, die wir vorher für die
physiologischen Gewebe versucht haben. Zunächst gibt es
auch hier Gebilde, welche wie die epithelialen wesentlich aus
zelligen Theilen zusammengesetzt sind, ohne dass zu diesen
etwas Erhebliches hinzukommt. In zweiter Linie treffen wir
Gewebe, welche sich denen der Bindesubstanz anschliessen, in-
dem regelmässig neben zelligen Theilen eine gewisse Menge
von Zwischensubstanz vorhanden ist. Endlich in dritter
Linie kommen diejenigen Bildungen, welche sich den höher
organisirten Producten, Blut, Muskeln, Nerven u. s. w. an-
schliessen.

Es ist nun von vorn herein hervorzuheben, dass in den pa-
thologischen Bildungen diejenigen Elemente um so häufiger vor-
handen sind, um so entschiedener praevaliren, welche den höheren
Charakter der eigentlich thierischen Entwicklung nicht reprä-
sentiren, dass also im Ganzen diejenigen Elemente am selten-
sten nachgebildet werden, welche den höher organisirten,
namentlich den Muskel- und Nervenapparaten angehören. Allein
ausgeschlossen sind auch diese Bildungen keineswegs; wir
kennen jede Art von pathologischer Neubildung, sie mag auf
ein Gewebe bezüglich sein, auf welches sie will, wenn es nur
überhaupt einen erkennbaren Habitus hat. Es besteht nur in
Beziehung auf die Häufigkeit und die Wichtigkeit eine Ver-
schiedenheit in der Art, dass die grösste Mehrzahl der patho-
logischen Producte überwiegend epitheliale oder Elemente der

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[56/0078] Dritte Vorlesung. man sich an die Zeit der eigentlichen Entwicklungshöhe, so lässt sich für alles Pathologische auch ein physiologisches Vor- bild finden, und es ist eben so gut möglich für die Elemente des Krebses solche Vorbilder zu entdecken, wie es möglich ist, dieselben z. B. für den Eiter zu finden, der, wenn man einmal specifische Gesichtspunkte festhalten will, ebenso im Rechte ist, als etwas Besonderes betrachtet zu werden, wie der Krebs. Beide stehen sich darin vollkommen parallel, und wenn die Alten von Krebseiter gesprochen haben, so haben sie in gewissem Sinne Recht gehabt, da der Eiter vom Krebssafte sich nur durch die Entwicklungshöhe der einzelnen Elemente unterscheidet. Eine Classification auch der pathologischen Gebilde lässt sich ganz in der Weise aufstellen, die wir vorher für die physiologischen Gewebe versucht haben. Zunächst gibt es auch hier Gebilde, welche wie die epithelialen wesentlich aus zelligen Theilen zusammengesetzt sind, ohne dass zu diesen etwas Erhebliches hinzukommt. In zweiter Linie treffen wir Gewebe, welche sich denen der Bindesubstanz anschliessen, in- dem regelmässig neben zelligen Theilen eine gewisse Menge von Zwischensubstanz vorhanden ist. Endlich in dritter Linie kommen diejenigen Bildungen, welche sich den höher organisirten Producten, Blut, Muskeln, Nerven u. s. w. an- schliessen. Es ist nun von vorn herein hervorzuheben, dass in den pa- thologischen Bildungen diejenigen Elemente um so häufiger vor- handen sind, um so entschiedener praevaliren, welche den höheren Charakter der eigentlich thierischen Entwicklung nicht reprä- sentiren, dass also im Ganzen diejenigen Elemente am selten- sten nachgebildet werden, welche den höher organisirten, namentlich den Muskel- und Nervenapparaten angehören. Allein ausgeschlossen sind auch diese Bildungen keineswegs; wir kennen jede Art von pathologischer Neubildung, sie mag auf ein Gewebe bezüglich sein, auf welches sie will, wenn es nur überhaupt einen erkennbaren Habitus hat. Es besteht nur in Beziehung auf die Häufigkeit und die Wichtigkeit eine Ver- schiedenheit in der Art, dass die grösste Mehrzahl der patho- logischen Producte überwiegend epitheliale oder Elemente der

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/78>, abgerufen am 29.03.2024.