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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Zweite Vorlesung.
Friction der Oberfläche, durch Waschen, Reiben einzelne Theile
verloren gehen. Zwischen der untersten Schicht des Rete und
der Oberfläche der Cutis aber gibt es keine Zwischenlage
mehr; es findet sich hier keine amorphe Flüssigkeit, kein
Blastem, das in sich die Zellen bilden könnte, sondern die
Zellen sitzen direct auf der Bindegewebspapille der Cutis auf.
Es ist also hier nirgends ein Raum, wie man noch vor Kur-
zem dachte, in welchem aus den Papillen und den in ihnen
enthaltenen Gefässen Flüssigkeit transsudirte, aus der neue
Elemente entständen und hervorwüchsen. Davon ist absolut
nichts wahrnehmbar, sondern durch die ganze Reihe der Zel-
lenlagen des Rete und der Epidermis besteht dasselbe Verhält-
niss, wie man es an der Rinde eines Baumes kennt. Die
Rindenschicht einer Kartoffel (Fig. 7) zeigt in gleicher Weise aussen
korkhaltige epidermoidale Elemente und darunter eine Lage
wie das Rete Malpighii, mit kernhaltigen Zellen, welche die
Matrix des Nachwuchses für die Rinde darstellen.

Sehr ähnlich verhält es sich am Nagel. Betrachtet man
den Durchschnitt von einem Nagel, quer auf die Längsrichtung
des Fingers, so sieht man an sich dieselbe Bildung, wie an
der gewöhnlichen Haut, nur entspricht die einzelne Ausbuchtung
der unteren Fläche nicht einer zapfenförmigen Verlängerung der
Cutis, einer Papille, sondern einer Leiste, welche über die ganze
Länge des Nagelbettes hinläuft. Auf dieser sitzt das mehr cylindrisch
gestaltete jüngste Lager des Rete Malpighii auf; dann schlies-
sen sich immer grössere Elemente an, und endlich folgt die
eigentlich feste Substanz, welche der Epidermis entspricht

Es ist nun, um dies gleich vorweg zu nehmen, da wir
auf den Nagel nicht wieder zu sprechen kommen werden, seine Zu-
sammensetzung in der Art schwierig zu ermitteln gewesen, als
man ihn sich als einfaches Gebilde gedacht hat. Daher ha-
ben sich die Discussionen hauptsächlich um die Frage gedreht,
wo die Matrix des Nagels sei, ob er von der ganzen Fläche
wachse oder von dem kleinen Falz, auf welchem er hinten
aufsitzt. Wenn man den Nagel in seiner eigentlichen festen
Masse betrachtet, das compacte Nagelblatt, so wächst dies
nur von hinten her und schiebt sich über die Fläche des so-
genannten Nagelbettes hinweg, aber das Nagelbett producirt

Zweite Vorlesung.
Friction der Oberfläche, durch Waschen, Reiben einzelne Theile
verloren gehen. Zwischen der untersten Schicht des Rete und
der Oberfläche der Cutis aber gibt es keine Zwischenlage
mehr; es findet sich hier keine amorphe Flüssigkeit, kein
Blastem, das in sich die Zellen bilden könnte, sondern die
Zellen sitzen direct auf der Bindegewebspapille der Cutis auf.
Es ist also hier nirgends ein Raum, wie man noch vor Kur-
zem dachte, in welchem aus den Papillen und den in ihnen
enthaltenen Gefässen Flüssigkeit transsudirte, aus der neue
Elemente entständen und hervorwüchsen. Davon ist absolut
nichts wahrnehmbar, sondern durch die ganze Reihe der Zel-
lenlagen des Rete und der Epidermis besteht dasselbe Verhält-
niss, wie man es an der Rinde eines Baumes kennt. Die
Rindenschicht einer Kartoffel (Fig. 7) zeigt in gleicher Weise aussen
korkhaltige epidermoidale Elemente und darunter eine Lage
wie das Rete Malpighii, mit kernhaltigen Zellen, welche die
Matrix des Nachwuchses für die Rinde darstellen.

Sehr ähnlich verhält es sich am Nagel. Betrachtet man
den Durchschnitt von einem Nagel, quer auf die Längsrichtung
des Fingers, so sieht man an sich dieselbe Bildung, wie an
der gewöhnlichen Haut, nur entspricht die einzelne Ausbuchtung
der unteren Fläche nicht einer zapfenförmigen Verlängerung der
Cutis, einer Papille, sondern einer Leiste, welche über die ganze
Länge des Nagelbettes hinläuft. Auf dieser sitzt das mehr cylindrisch
gestaltete jüngste Lager des Rete Malpighii auf; dann schlies-
sen sich immer grössere Elemente an, und endlich folgt die
eigentlich feste Substanz, welche der Epidermis entspricht

Es ist nun, um dies gleich vorweg zu nehmen, da wir
auf den Nagel nicht wieder zu sprechen kommen werden, seine Zu-
sammensetzung in der Art schwierig zu ermitteln gewesen, als
man ihn sich als einfaches Gebilde gedacht hat. Daher ha-
ben sich die Discussionen hauptsächlich um die Frage gedreht,
wo die Matrix des Nagels sei, ob er von der ganzen Fläche
wachse oder von dem kleinen Falz, auf welchem er hinten
aufsitzt. Wenn man den Nagel in seiner eigentlichen festen
Masse betrachtet, das compacte Nagelblatt, so wächst dies
nur von hinten her und schiebt sich über die Fläche des so-
genannten Nagelbettes hinweg, aber das Nagelbett producirt

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[32/0054] Zweite Vorlesung. Friction der Oberfläche, durch Waschen, Reiben einzelne Theile verloren gehen. Zwischen der untersten Schicht des Rete und der Oberfläche der Cutis aber gibt es keine Zwischenlage mehr; es findet sich hier keine amorphe Flüssigkeit, kein Blastem, das in sich die Zellen bilden könnte, sondern die Zellen sitzen direct auf der Bindegewebspapille der Cutis auf. Es ist also hier nirgends ein Raum, wie man noch vor Kur- zem dachte, in welchem aus den Papillen und den in ihnen enthaltenen Gefässen Flüssigkeit transsudirte, aus der neue Elemente entständen und hervorwüchsen. Davon ist absolut nichts wahrnehmbar, sondern durch die ganze Reihe der Zel- lenlagen des Rete und der Epidermis besteht dasselbe Verhält- niss, wie man es an der Rinde eines Baumes kennt. Die Rindenschicht einer Kartoffel (Fig. 7) zeigt in gleicher Weise aussen korkhaltige epidermoidale Elemente und darunter eine Lage wie das Rete Malpighii, mit kernhaltigen Zellen, welche die Matrix des Nachwuchses für die Rinde darstellen. Sehr ähnlich verhält es sich am Nagel. Betrachtet man den Durchschnitt von einem Nagel, quer auf die Längsrichtung des Fingers, so sieht man an sich dieselbe Bildung, wie an der gewöhnlichen Haut, nur entspricht die einzelne Ausbuchtung der unteren Fläche nicht einer zapfenförmigen Verlängerung der Cutis, einer Papille, sondern einer Leiste, welche über die ganze Länge des Nagelbettes hinläuft. Auf dieser sitzt das mehr cylindrisch gestaltete jüngste Lager des Rete Malpighii auf; dann schlies- sen sich immer grössere Elemente an, und endlich folgt die eigentlich feste Substanz, welche der Epidermis entspricht Es ist nun, um dies gleich vorweg zu nehmen, da wir auf den Nagel nicht wieder zu sprechen kommen werden, seine Zu- sammensetzung in der Art schwierig zu ermitteln gewesen, als man ihn sich als einfaches Gebilde gedacht hat. Daher ha- ben sich die Discussionen hauptsächlich um die Frage gedreht, wo die Matrix des Nagels sei, ob er von der ganzen Fläche wachse oder von dem kleinen Falz, auf welchem er hinten aufsitzt. Wenn man den Nagel in seiner eigentlichen festen Masse betrachtet, das compacte Nagelblatt, so wächst dies nur von hinten her und schiebt sich über die Fläche des so- genannten Nagelbettes hinweg, aber das Nagelbett producirt

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/54>, abgerufen am 25.04.2024.