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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Zusammensetzung des Nervenapparates.
es sich nicht verhehlen, dass es mit dieser Einheit sehr miss-
lich bestellt ist, und dass schon das Scalpell den Nervenappa-
rat als ein aus ausserordentlich vielen, relativ gleichwerthigen
Theilen zusammengeordnetes System ohne erkennbaren Mittel-
punkt darlegt. Je genauer wir histologisch untersuchen, um
so mehr vervielfältigen sich die Elemente, und die letzte Zu-
sammensetzung des Nervensystems zeigt sich nach einem ganz
analogen Plane angelegt, wie die aller übrigen Theile des Körpers.
Eine unendliche Menge zelliger Elemente von mehr oder we-
niger grosser Selbständigkeit treten neben und grossentheils
unabhängig von einander in die Erscheinung.

Wenn wir zunächst die gangliöse Substanz ausschliessen
und uns einfach an die faserige Masse halten, so haben wir
einerseits die eigentlichen (peripherischen) Nerven im engeren
Sinne des Wortes, andererseits die grossen Anhäufungen weis-
ser Markmasse
, wie sie den grössten Theil des kleinen und
grossen Gehirns und der Stränge des Rückenmarks zusam-
mensetzt. Die Fasern dieser verschiedenen Abschnitte sind im
Grossen allerdings ähnlich gebaut, zeigen aber im Feineren
vielfache und zum Theil so erhebliche Verschiedenheiten, dass
es Punkte gibt, wo man noch in diesem Augenblick nicht mit
Sicherheit sagen kann, ob die Elemente, welche man vor sich
hat, wirklich Nerven sind oder einer ganz anderen Art von
Fasern angehören. Am sichersten ist man über die Zusam-
mensetzung der gewöhnlichen peripherischen Nerven; hier un-
terscheidet man im Allgemeinen mit ziemlicher Leichtigkeit
Folgendes:

Alle mit blossem Auge zu verfolgenden Nerven enthalten
eine gewisse Summe von Unterabtheilungen, Fascikeln, welche
sich nachher als Aeste oder Zweige auseinanderlösen. Ver-
folgen wir diese einzelnen, sich weiter und weiter vertheilen-
den Zweige, so behält der Nerv doch fast unter allen Verhältnis-
sen bis nahe zu seinen letzten Theilungen eine fascikuläre
Einrichtung, so dass jedes Bündel wieder eine kleinere oder grös-
sere Zahl von sogenannten Primitivfasern umschliesst. Der Aus-
druck Primitivfaser, welchen man hier gebraucht, ist ursprüng-
lich gewählt worden, weil man den Nervenfascikel für ein Ana-
logon der Primitivbündel des Muskels hielt. Späterhin ist diese

Zusammensetzung des Nervenapparates.
es sich nicht verhehlen, dass es mit dieser Einheit sehr miss-
lich bestellt ist, und dass schon das Scalpell den Nervenappa-
rat als ein aus ausserordentlich vielen, relativ gleichwerthigen
Theilen zusammengeordnetes System ohne erkennbaren Mittel-
punkt darlegt. Je genauer wir histologisch untersuchen, um
so mehr vervielfältigen sich die Elemente, und die letzte Zu-
sammensetzung des Nervensystems zeigt sich nach einem ganz
analogen Plane angelegt, wie die aller übrigen Theile des Körpers.
Eine unendliche Menge zelliger Elemente von mehr oder we-
niger grosser Selbständigkeit treten neben und grossentheils
unabhängig von einander in die Erscheinung.

Wenn wir zunächst die gangliöse Substanz ausschliessen
und uns einfach an die faserige Masse halten, so haben wir
einerseits die eigentlichen (peripherischen) Nerven im engeren
Sinne des Wortes, andererseits die grossen Anhäufungen weis-
ser Markmasse
, wie sie den grössten Theil des kleinen und
grossen Gehirns und der Stränge des Rückenmarks zusam-
mensetzt. Die Fasern dieser verschiedenen Abschnitte sind im
Grossen allerdings ähnlich gebaut, zeigen aber im Feineren
vielfache und zum Theil so erhebliche Verschiedenheiten, dass
es Punkte gibt, wo man noch in diesem Augenblick nicht mit
Sicherheit sagen kann, ob die Elemente, welche man vor sich
hat, wirklich Nerven sind oder einer ganz anderen Art von
Fasern angehören. Am sichersten ist man über die Zusam-
mensetzung der gewöhnlichen peripherischen Nerven; hier un-
terscheidet man im Allgemeinen mit ziemlicher Leichtigkeit
Folgendes:

Alle mit blossem Auge zu verfolgenden Nerven enthalten
eine gewisse Summe von Unterabtheilungen, Fascikeln, welche
sich nachher als Aeste oder Zweige auseinanderlösen. Ver-
folgen wir diese einzelnen, sich weiter und weiter vertheilen-
den Zweige, so behält der Nerv doch fast unter allen Verhältnis-
sen bis nahe zu seinen letzten Theilungen eine fascikuläre
Einrichtung, so dass jedes Bündel wieder eine kleinere oder grös-
sere Zahl von sogenannten Primitivfasern umschliesst. Der Aus-
druck Primitivfaser, welchen man hier gebraucht, ist ursprüng-
lich gewählt worden, weil man den Nervenfascikel für ein Ana-
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[205/0227] Zusammensetzung des Nervenapparates. es sich nicht verhehlen, dass es mit dieser Einheit sehr miss- lich bestellt ist, und dass schon das Scalpell den Nervenappa- rat als ein aus ausserordentlich vielen, relativ gleichwerthigen Theilen zusammengeordnetes System ohne erkennbaren Mittel- punkt darlegt. Je genauer wir histologisch untersuchen, um so mehr vervielfältigen sich die Elemente, und die letzte Zu- sammensetzung des Nervensystems zeigt sich nach einem ganz analogen Plane angelegt, wie die aller übrigen Theile des Körpers. Eine unendliche Menge zelliger Elemente von mehr oder we- niger grosser Selbständigkeit treten neben und grossentheils unabhängig von einander in die Erscheinung. Wenn wir zunächst die gangliöse Substanz ausschliessen und uns einfach an die faserige Masse halten, so haben wir einerseits die eigentlichen (peripherischen) Nerven im engeren Sinne des Wortes, andererseits die grossen Anhäufungen weis- ser Markmasse, wie sie den grössten Theil des kleinen und grossen Gehirns und der Stränge des Rückenmarks zusam- mensetzt. Die Fasern dieser verschiedenen Abschnitte sind im Grossen allerdings ähnlich gebaut, zeigen aber im Feineren vielfache und zum Theil so erhebliche Verschiedenheiten, dass es Punkte gibt, wo man noch in diesem Augenblick nicht mit Sicherheit sagen kann, ob die Elemente, welche man vor sich hat, wirklich Nerven sind oder einer ganz anderen Art von Fasern angehören. Am sichersten ist man über die Zusam- mensetzung der gewöhnlichen peripherischen Nerven; hier un- terscheidet man im Allgemeinen mit ziemlicher Leichtigkeit Folgendes: Alle mit blossem Auge zu verfolgenden Nerven enthalten eine gewisse Summe von Unterabtheilungen, Fascikeln, welche sich nachher als Aeste oder Zweige auseinanderlösen. Ver- folgen wir diese einzelnen, sich weiter und weiter vertheilen- den Zweige, so behält der Nerv doch fast unter allen Verhältnis- sen bis nahe zu seinen letzten Theilungen eine fascikuläre Einrichtung, so dass jedes Bündel wieder eine kleinere oder grös- sere Zahl von sogenannten Primitivfasern umschliesst. Der Aus- druck Primitivfaser, welchen man hier gebraucht, ist ursprüng- lich gewählt worden, weil man den Nervenfascikel für ein Ana- logon der Primitivbündel des Muskels hielt. Späterhin ist diese

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/227>, abgerufen am 19.04.2024.