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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Eilfte Vorlesung.
Sinne und den bloss leukocytotischen Zuständen. Die Chlo-
rose unterscheidet sich dadurch von der Leukämie, dass die
Zahl der Körperchen überhaupt geringer ist. Während in der
Leukämie gewissermaassen an die Stelle der rothen Körper-
chen farblose treten und eine eigentliche Verminderung der
zelligen Elemente im Blute nicht zu Stande kommt, so vermin-
dern sich bei der Chlorose die Elemente beider Gattungen,
ohne dass das gegenseitige Verhältniss der farbigen zu den
farblosen in einer bestimmten Weise gestört würde. Es setzt
dies eine verminderte Bildung überhaupt voraus, und wenn man
schliessen darf, wie ich allerdings glaube, dass man im Augen-
blick kaum anders kann, dass auch die rothen Körperchen von
den Lymphdrüsen aus dem Blute zugeführt werden, so
würde dies Alles darauf hindeuten, dass in der Chlorose eine
verminderte Bildung an diesen Theilen stattfinde. Die Leukä-
mie erklärt sich natürlich viel einfacher, insofern wir hier Re-
präsentanten der zelligen Elemente überhaupt finden und wir
uns denken können, dass ein Theil der Elemente, anstatt in
rothe umgewandelt zu werden, seine Entwickelung ganz als
farblose fortsetzt. In der Geschichte der Chlorose dagegen
waltet noch viel Dunkel, da wir ein primäres Leiden der Lymph-
drüsen mit Bestimmtheit nicht nachweisen können, die anato-
mischen Erfahrungen vielmehr darauf hindeuten, dass die
chlorotische Störung schon sehr frühzeitig angelegt wird.
Denn man findet häufig das Herz, die Arterien und die grösse-
ren Gefässe, den Sexualapparat mangelhaft entwickelt, was
auf eine congenitale Disposition schliessen lässt.

Eine dritte Reihe von Zuständen könnte hier noch er-
wähnt werden, welche aber nicht mehr in das morphologische
Gebiet fällt, diejenige nämlich, wo die innere Beschaffenheit
der Blutkörperchen Veränderungen erfahren hat, ohne dass da-
durch ein bestimmter morphologischer Effect hervorgebracht
würde. Hier handelt es sich wesentlich um Funktionsstörun-
gen, welche wahrscheinlich mit feineren Veränderungen der
Mischung zusammenhängen, Veränderungen der eigentlichen
respiratorischen Substanz. So gut nämlich, wie wir bei
den Muskeln die eigentliche Substanz des Primitivbündels, die
compacte Masse des Syntonins als contractile Substanz bezeich-

Eilfte Vorlesung.
Sinne und den bloss leukocytotischen Zuständen. Die Chlo-
rose unterscheidet sich dadurch von der Leukämie, dass die
Zahl der Körperchen überhaupt geringer ist. Während in der
Leukämie gewissermaassen an die Stelle der rothen Körper-
chen farblose treten und eine eigentliche Verminderung der
zelligen Elemente im Blute nicht zu Stande kommt, so vermin-
dern sich bei der Chlorose die Elemente beider Gattungen,
ohne dass das gegenseitige Verhältniss der farbigen zu den
farblosen in einer bestimmten Weise gestört würde. Es setzt
dies eine verminderte Bildung überhaupt voraus, und wenn man
schliessen darf, wie ich allerdings glaube, dass man im Augen-
blick kaum anders kann, dass auch die rothen Körperchen von
den Lymphdrüsen aus dem Blute zugeführt werden, so
würde dies Alles darauf hindeuten, dass in der Chlorose eine
verminderte Bildung an diesen Theilen stattfinde. Die Leukä-
mie erklärt sich natürlich viel einfacher, insofern wir hier Re-
präsentanten der zelligen Elemente überhaupt finden und wir
uns denken können, dass ein Theil der Elemente, anstatt in
rothe umgewandelt zu werden, seine Entwickelung ganz als
farblose fortsetzt. In der Geschichte der Chlorose dagegen
waltet noch viel Dunkel, da wir ein primäres Leiden der Lymph-
drüsen mit Bestimmtheit nicht nachweisen können, die anato-
mischen Erfahrungen vielmehr darauf hindeuten, dass die
chlorotische Störung schon sehr frühzeitig angelegt wird.
Denn man findet häufig das Herz, die Arterien und die grösse-
ren Gefässe, den Sexualapparat mangelhaft entwickelt, was
auf eine congenitale Disposition schliessen lässt.

Eine dritte Reihe von Zuständen könnte hier noch er-
wähnt werden, welche aber nicht mehr in das morphologische
Gebiet fällt, diejenige nämlich, wo die innere Beschaffenheit
der Blutkörperchen Veränderungen erfahren hat, ohne dass da-
durch ein bestimmter morphologischer Effect hervorgebracht
würde. Hier handelt es sich wesentlich um Funktionsstörun-
gen, welche wahrscheinlich mit feineren Veränderungen der
Mischung zusammenhängen, Veränderungen der eigentlichen
respiratorischen Substanz. So gut nämlich, wie wir bei
den Muskeln die eigentliche Substanz des Primitivbündels, die
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[202/0224] Eilfte Vorlesung. Sinne und den bloss leukocytotischen Zuständen. Die Chlo- rose unterscheidet sich dadurch von der Leukämie, dass die Zahl der Körperchen überhaupt geringer ist. Während in der Leukämie gewissermaassen an die Stelle der rothen Körper- chen farblose treten und eine eigentliche Verminderung der zelligen Elemente im Blute nicht zu Stande kommt, so vermin- dern sich bei der Chlorose die Elemente beider Gattungen, ohne dass das gegenseitige Verhältniss der farbigen zu den farblosen in einer bestimmten Weise gestört würde. Es setzt dies eine verminderte Bildung überhaupt voraus, und wenn man schliessen darf, wie ich allerdings glaube, dass man im Augen- blick kaum anders kann, dass auch die rothen Körperchen von den Lymphdrüsen aus dem Blute zugeführt werden, so würde dies Alles darauf hindeuten, dass in der Chlorose eine verminderte Bildung an diesen Theilen stattfinde. Die Leukä- mie erklärt sich natürlich viel einfacher, insofern wir hier Re- präsentanten der zelligen Elemente überhaupt finden und wir uns denken können, dass ein Theil der Elemente, anstatt in rothe umgewandelt zu werden, seine Entwickelung ganz als farblose fortsetzt. In der Geschichte der Chlorose dagegen waltet noch viel Dunkel, da wir ein primäres Leiden der Lymph- drüsen mit Bestimmtheit nicht nachweisen können, die anato- mischen Erfahrungen vielmehr darauf hindeuten, dass die chlorotische Störung schon sehr frühzeitig angelegt wird. Denn man findet häufig das Herz, die Arterien und die grösse- ren Gefässe, den Sexualapparat mangelhaft entwickelt, was auf eine congenitale Disposition schliessen lässt. Eine dritte Reihe von Zuständen könnte hier noch er- wähnt werden, welche aber nicht mehr in das morphologische Gebiet fällt, diejenige nämlich, wo die innere Beschaffenheit der Blutkörperchen Veränderungen erfahren hat, ohne dass da- durch ein bestimmter morphologischer Effect hervorgebracht würde. Hier handelt es sich wesentlich um Funktionsstörun- gen, welche wahrscheinlich mit feineren Veränderungen der Mischung zusammenhängen, Veränderungen der eigentlichen respiratorischen Substanz. So gut nämlich, wie wir bei den Muskeln die eigentliche Substanz des Primitivbündels, die compacte Masse des Syntonins als contractile Substanz bezeich-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/224>, abgerufen am 19.04.2024.