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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Zehnte Vorlesung.
günstigt ihre Kleinheit und Mürbigkeit das Eindringen in die
k'einsten Gefässe in hohem Maasse. Daher findet man nicht
ganz selten in kleinen mikroskopischen Gefässen, welche
mit blossem Auge gar nicht mehr zu verfolgen sind, die
Verstopfungsmasse, gewöhnlich bis zu einer Theilungsstelle
und noch etwas darüber hinaus. Diese Masse zeigt regelmäs-
sig eine feinkörnige Beschaffenheit, nicht den groben Detritus,
wie von der Vene, sondern eine ganz feine, aber zugleich dichte
Masse; chemisch hat sie die für die Untersuchung so bequeme
Eigenschaft, dass sie gegen die gewöhnlichen Reagentien aus-
serordentlich widerstandsfähig ist und sich dadurch von ande-
ren Dingen äusserst leicht unterscheidet. Dies gibt die eigent-
liche Capillarembolie, eine der wichtigsten Formen der Me-
tastase, welche häufig kleine Heerde in der Niere, in der
Milz und im Herzfleische selbst mit sich bringt, unter Umstän-
den plötzliche Verschliessungen von Gefässen im Auge oder
Gehirn bedingt und je nach Umständen zu metastatischen Heer-
den oder zu schnellen Functionsstörungen (Amaurose, Apo-
plexie) Veranlassung gibt. Auch hier kann man sich deutlich
überzeugen, dass in frischen Fällen die Gefässwand an der
Stelle ganz intakt ist; ja es würde hier die Lehre von der
Phlebitis nicht mehr zureichen, indem dies keine Gefässe sind,
welche Vasa vasorum besitzen und von welchen man anneh-
men könnte, dass von der Wand her eine Secretion nach Innen
ginge. Hier bleibt nichts übrig, als die Verstopfungsmasse als
eine primär innen befindliche zu betrachten, die von den Zu-
ständen der Wand in keiner Weise abhängig ist.

Vielleicht hat diese Darstellung Sie überzeugt, meine
Herren, dass in der Doctrin von der Pyämie zwei wesentliche
Irrthümer bestanden haben; der eine, dass man Eiterkörper-
chen im Blute zu finden glaubte, wo man nur die farblosen
Elemente vor sich hatte; der andere, dass man Eiter in Ge-
fässen zu finden glaubte, wo nichts weiter als Erweichungs-
producte des Fibrins vorhanden waren. Wir haben aber ge-
funden, dass allerdings diese letztere Reihe die wichtigste Quelle
für eigentliche Metastasen abgibt. Nun beschränkt sich aber,
wie ich glaube, die Geschichte des Prozesses, den man Pyämie
genannt hat, nicht auf diese Zustände. Verläuft der Pro-

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günstigt ihre Kleinheit und Mürbigkeit das Eindringen in die
k’einsten Gefässe in hohem Maasse. Daher findet man nicht
ganz selten in kleinen mikroskopischen Gefässen, welche
mit blossem Auge gar nicht mehr zu verfolgen sind, die
Verstopfungsmasse, gewöhnlich bis zu einer Theilungsstelle
und noch etwas darüber hinaus. Diese Masse zeigt regelmäs-
sig eine feinkörnige Beschaffenheit, nicht den groben Detritus,
wie von der Vene, sondern eine ganz feine, aber zugleich dichte
Masse; chemisch hat sie die für die Untersuchung so bequeme
Eigenschaft, dass sie gegen die gewöhnlichen Reagentien aus-
serordentlich widerstandsfähig ist und sich dadurch von ande-
ren Dingen äusserst leicht unterscheidet. Dies gibt die eigent-
liche Capillarembolie, eine der wichtigsten Formen der Me-
tastase, welche häufig kleine Heerde in der Niere, in der
Milz und im Herzfleische selbst mit sich bringt, unter Umstän-
den plötzliche Verschliessungen von Gefässen im Auge oder
Gehirn bedingt und je nach Umständen zu metastatischen Heer-
den oder zu schnellen Functionsstörungen (Amaurose, Apo-
plexie) Veranlassung gibt. Auch hier kann man sich deutlich
überzeugen, dass in frischen Fällen die Gefässwand an der
Stelle ganz intakt ist; ja es würde hier die Lehre von der
Phlebitis nicht mehr zureichen, indem dies keine Gefässe sind,
welche Vasa vasorum besitzen und von welchen man anneh-
men könnte, dass von der Wand her eine Secretion nach Innen
ginge. Hier bleibt nichts übrig, als die Verstopfungsmasse als
eine primär innen befindliche zu betrachten, die von den Zu-
ständen der Wand in keiner Weise abhängig ist.

Vielleicht hat diese Darstellung Sie überzeugt, meine
Herren, dass in der Doctrin von der Pyämie zwei wesentliche
Irrthümer bestanden haben; der eine, dass man Eiterkörper-
chen im Blute zu finden glaubte, wo man nur die farblosen
Elemente vor sich hatte; der andere, dass man Eiter in Ge-
fässen zu finden glaubte, wo nichts weiter als Erweichungs-
producte des Fibrins vorhanden waren. Wir haben aber ge-
funden, dass allerdings diese letztere Reihe die wichtigste Quelle
für eigentliche Metastasen abgibt. Nun beschränkt sich aber,
wie ich glaube, die Geschichte des Prozesses, den man Pyämie
genannt hat, nicht auf diese Zustände. Verläuft der Pro-

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[188/0210] Zehnte Vorlesung. günstigt ihre Kleinheit und Mürbigkeit das Eindringen in die k’einsten Gefässe in hohem Maasse. Daher findet man nicht ganz selten in kleinen mikroskopischen Gefässen, welche mit blossem Auge gar nicht mehr zu verfolgen sind, die Verstopfungsmasse, gewöhnlich bis zu einer Theilungsstelle und noch etwas darüber hinaus. Diese Masse zeigt regelmäs- sig eine feinkörnige Beschaffenheit, nicht den groben Detritus, wie von der Vene, sondern eine ganz feine, aber zugleich dichte Masse; chemisch hat sie die für die Untersuchung so bequeme Eigenschaft, dass sie gegen die gewöhnlichen Reagentien aus- serordentlich widerstandsfähig ist und sich dadurch von ande- ren Dingen äusserst leicht unterscheidet. Dies gibt die eigent- liche Capillarembolie, eine der wichtigsten Formen der Me- tastase, welche häufig kleine Heerde in der Niere, in der Milz und im Herzfleische selbst mit sich bringt, unter Umstän- den plötzliche Verschliessungen von Gefässen im Auge oder Gehirn bedingt und je nach Umständen zu metastatischen Heer- den oder zu schnellen Functionsstörungen (Amaurose, Apo- plexie) Veranlassung gibt. Auch hier kann man sich deutlich überzeugen, dass in frischen Fällen die Gefässwand an der Stelle ganz intakt ist; ja es würde hier die Lehre von der Phlebitis nicht mehr zureichen, indem dies keine Gefässe sind, welche Vasa vasorum besitzen und von welchen man anneh- men könnte, dass von der Wand her eine Secretion nach Innen ginge. Hier bleibt nichts übrig, als die Verstopfungsmasse als eine primär innen befindliche zu betrachten, die von den Zu- ständen der Wand in keiner Weise abhängig ist. Vielleicht hat diese Darstellung Sie überzeugt, meine Herren, dass in der Doctrin von der Pyämie zwei wesentliche Irrthümer bestanden haben; der eine, dass man Eiterkörper- chen im Blute zu finden glaubte, wo man nur die farblosen Elemente vor sich hatte; der andere, dass man Eiter in Ge- fässen zu finden glaubte, wo nichts weiter als Erweichungs- producte des Fibrins vorhanden waren. Wir haben aber ge- funden, dass allerdings diese letztere Reihe die wichtigste Quelle für eigentliche Metastasen abgibt. Nun beschränkt sich aber, wie ich glaube, die Geschichte des Prozesses, den man Pyämie genannt hat, nicht auf diese Zustände. Verläuft der Pro-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/210>, abgerufen am 28.03.2024.