Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Hämatopoetische Organe.
Drüsen entsprechen, durch welche die Lymphflüssigkeit strömte.
Diese Thatsachen lassen sich nun wohl nicht anders deuten,
als dass man in der That die Milz und die Lymphdrüsen in
eine nähere Beziehung zur Entwicklung des Blutes bringt.
Dies ist noch wahrscheinlicher geworden, seitdem es gelungen
ist, auch chemische Anhaltspunkte zu gewinnen. Hr. Sche-
rer
hat zweimal leukämisches Blut untersucht, das ich ihm
übergeben hatte, um dasselbe mit den von ihm gefundenen
Milzstoffen zu vergleichen; es ergab sich, dass darin Hypoxan-
thin, Leucin, Harnsäure, Milch- und Ameisensäure vorkamen.
In einem Falle überzog sich eine Leber, die ich einige Tage
liegen liess, ganz mit Tyrosinkörnern; in einem anderen krystal-
lisirte aus dem Darminhalt Leucin und Tyrosin in grossen Mas-
sen aus. Kurz Alles deutet auf eine vermehrte Thätigkeit der
Milz, welche normal diese Stoffe in grösserer Menge enthält.

Es ist eine ziemlich lange Reihe von Jahren (seit 1845)
vergangen, während deren ich mich mit meinen Beobachtungen
ziemlich vereinsamt fand. Erst nach und nach ist man, und
zwar wie ich leider gestehen muss, mehr von physiologischer
als von pathologischer Seite auf diese Gedanken eingegangen,
und erst allmählig hat man sich der Vorstellung zugänglich
erwiesen, dass im gewöhnlichen Gange der Dinge die Lymph-
drüsen und die Milz in der That eine unmittelbare Bedeutung
für die Formelemente des Blutes haben, dass im Besonderen
die körperlichen Bestandtheile des letzteren wirkliche Abkömm-
linge sind von den zelligen Körpern der Lymphdrüsen und
der Milz, welche aus ihrem Innern losgelöst und dem Blut-
strom zugeführt werden. Kommen wir damit auf die Frage
von der Herkunft der Blutkörperchen selbst.

Sie werden sich, meine Herren, wahrscheinlich aus der Zeit
Ihrer Studien erinnern, dass man sich die Lymphdrüsen als Con-
volute von Lymphgefässen dachte. Bekanntlich sieht man schon
vom blossen Auge die zuführenden Lymphgefässe sich in kleinere
Aeste auflösen, innerhalb der Drüse verschwinden und am
Ende wieder aus derselben hervorkommen. Nach den Resul-
taten der Quecksilberinjectionen, welche man schon im vorigen
Jahrhundert mit so grosser Sorgfalt gemacht hat, glaubte man
nun schliessen zu müssen, dass das eingetretene Lymphgefäss

Hämatopoëtische Organe.
Drüsen entsprechen, durch welche die Lymphflüssigkeit strömte.
Diese Thatsachen lassen sich nun wohl nicht anders deuten,
als dass man in der That die Milz und die Lymphdrüsen in
eine nähere Beziehung zur Entwicklung des Blutes bringt.
Dies ist noch wahrscheinlicher geworden, seitdem es gelungen
ist, auch chemische Anhaltspunkte zu gewinnen. Hr. Sche-
rer
hat zweimal leukämisches Blut untersucht, das ich ihm
übergeben hatte, um dasselbe mit den von ihm gefundenen
Milzstoffen zu vergleichen; es ergab sich, dass darin Hypoxan-
thin, Leucin, Harnsäure, Milch- und Ameisensäure vorkamen.
In einem Falle überzog sich eine Leber, die ich einige Tage
liegen liess, ganz mit Tyrosinkörnern; in einem anderen krystal-
lisirte aus dem Darminhalt Leucin und Tyrosin in grossen Mas-
sen aus. Kurz Alles deutet auf eine vermehrte Thätigkeit der
Milz, welche normal diese Stoffe in grösserer Menge enthält.

Es ist eine ziemlich lange Reihe von Jahren (seit 1845)
vergangen, während deren ich mich mit meinen Beobachtungen
ziemlich vereinsamt fand. Erst nach und nach ist man, und
zwar wie ich leider gestehen muss, mehr von physiologischer
als von pathologischer Seite auf diese Gedanken eingegangen,
und erst allmählig hat man sich der Vorstellung zugänglich
erwiesen, dass im gewöhnlichen Gange der Dinge die Lymph-
drüsen und die Milz in der That eine unmittelbare Bedeutung
für die Formelemente des Blutes haben, dass im Besonderen
die körperlichen Bestandtheile des letzteren wirkliche Abkömm-
linge sind von den zelligen Körpern der Lymphdrüsen und
der Milz, welche aus ihrem Innern losgelöst und dem Blut-
strom zugeführt werden. Kommen wir damit auf die Frage
von der Herkunft der Blutkörperchen selbst.

Sie werden sich, meine Herren, wahrscheinlich aus der Zeit
Ihrer Studien erinnern, dass man sich die Lymphdrüsen als Con-
volute von Lymphgefässen dachte. Bekanntlich sieht man schon
vom blossen Auge die zuführenden Lymphgefässe sich in kleinere
Aeste auflösen, innerhalb der Drüse verschwinden und am
Ende wieder aus derselben hervorkommen. Nach den Resul-
taten der Quecksilberinjectionen, welche man schon im vorigen
Jahrhundert mit so grosser Sorgfalt gemacht hat, glaubte man
nun schliessen zu müssen, dass das eingetretene Lymphgefäss

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0177" n="155"/><fw place="top" type="header">Hämatopoëtische Organe.</fw><lb/>
Drüsen entsprechen, durch welche die Lymphflüssigkeit strömte.<lb/>
Diese Thatsachen lassen sich nun wohl nicht anders deuten,<lb/>
als dass man in der That die Milz und die Lymphdrüsen in<lb/>
eine nähere Beziehung zur Entwicklung des Blutes bringt.<lb/>
Dies ist noch wahrscheinlicher geworden, seitdem es gelungen<lb/>
ist, auch chemische Anhaltspunkte zu gewinnen. Hr. <hi rendition="#g">Sche-<lb/>
rer</hi> hat zweimal leukämisches Blut untersucht, das ich ihm<lb/>
übergeben hatte, um dasselbe mit den von ihm gefundenen<lb/>
Milzstoffen zu vergleichen; es ergab sich, dass darin Hypoxan-<lb/>
thin, Leucin, Harnsäure, Milch- und Ameisensäure vorkamen.<lb/>
In einem Falle überzog sich eine Leber, die ich einige Tage<lb/>
liegen liess, ganz mit Tyrosinkörnern; in einem anderen krystal-<lb/>
lisirte aus dem Darminhalt Leucin und Tyrosin in grossen Mas-<lb/>
sen aus. Kurz Alles deutet auf eine vermehrte Thätigkeit der<lb/>
Milz, welche normal diese Stoffe in grösserer Menge enthält.</p><lb/>
        <p>Es ist eine ziemlich lange Reihe von Jahren (seit 1845)<lb/>
vergangen, während deren ich mich mit meinen Beobachtungen<lb/>
ziemlich vereinsamt fand. Erst nach und nach ist man, und<lb/>
zwar wie ich leider gestehen muss, mehr von physiologischer<lb/>
als von pathologischer Seite auf diese Gedanken eingegangen,<lb/>
und erst allmählig hat man sich der Vorstellung zugänglich<lb/>
erwiesen, dass im gewöhnlichen Gange der Dinge die Lymph-<lb/>
drüsen und die Milz in der That eine unmittelbare Bedeutung<lb/>
für die Formelemente des Blutes haben, dass im Besonderen<lb/>
die körperlichen Bestandtheile des letzteren wirkliche Abkömm-<lb/>
linge sind von den zelligen Körpern der Lymphdrüsen und<lb/>
der Milz, welche aus ihrem Innern losgelöst und dem Blut-<lb/>
strom zugeführt werden. Kommen wir damit auf die Frage<lb/>
von der Herkunft der Blutkörperchen selbst.</p><lb/>
        <p>Sie werden sich, meine Herren, wahrscheinlich aus der Zeit<lb/>
Ihrer Studien erinnern, dass man sich die Lymphdrüsen als Con-<lb/>
volute von Lymphgefässen dachte. Bekanntlich sieht man schon<lb/>
vom blossen Auge die zuführenden Lymphgefässe sich in kleinere<lb/>
Aeste auflösen, innerhalb der Drüse verschwinden und am<lb/>
Ende wieder aus derselben hervorkommen. Nach den Resul-<lb/>
taten der Quecksilberinjectionen, welche man schon im vorigen<lb/>
Jahrhundert mit so grosser Sorgfalt gemacht hat, glaubte man<lb/>
nun schliessen zu müssen, dass das eingetretene Lymphgefäss<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0177] Hämatopoëtische Organe. Drüsen entsprechen, durch welche die Lymphflüssigkeit strömte. Diese Thatsachen lassen sich nun wohl nicht anders deuten, als dass man in der That die Milz und die Lymphdrüsen in eine nähere Beziehung zur Entwicklung des Blutes bringt. Dies ist noch wahrscheinlicher geworden, seitdem es gelungen ist, auch chemische Anhaltspunkte zu gewinnen. Hr. Sche- rer hat zweimal leukämisches Blut untersucht, das ich ihm übergeben hatte, um dasselbe mit den von ihm gefundenen Milzstoffen zu vergleichen; es ergab sich, dass darin Hypoxan- thin, Leucin, Harnsäure, Milch- und Ameisensäure vorkamen. In einem Falle überzog sich eine Leber, die ich einige Tage liegen liess, ganz mit Tyrosinkörnern; in einem anderen krystal- lisirte aus dem Darminhalt Leucin und Tyrosin in grossen Mas- sen aus. Kurz Alles deutet auf eine vermehrte Thätigkeit der Milz, welche normal diese Stoffe in grösserer Menge enthält. Es ist eine ziemlich lange Reihe von Jahren (seit 1845) vergangen, während deren ich mich mit meinen Beobachtungen ziemlich vereinsamt fand. Erst nach und nach ist man, und zwar wie ich leider gestehen muss, mehr von physiologischer als von pathologischer Seite auf diese Gedanken eingegangen, und erst allmählig hat man sich der Vorstellung zugänglich erwiesen, dass im gewöhnlichen Gange der Dinge die Lymph- drüsen und die Milz in der That eine unmittelbare Bedeutung für die Formelemente des Blutes haben, dass im Besonderen die körperlichen Bestandtheile des letzteren wirkliche Abkömm- linge sind von den zelligen Körpern der Lymphdrüsen und der Milz, welche aus ihrem Innern losgelöst und dem Blut- strom zugeführt werden. Kommen wir damit auf die Frage von der Herkunft der Blutkörperchen selbst. Sie werden sich, meine Herren, wahrscheinlich aus der Zeit Ihrer Studien erinnern, dass man sich die Lymphdrüsen als Con- volute von Lymphgefässen dachte. Bekanntlich sieht man schon vom blossen Auge die zuführenden Lymphgefässe sich in kleinere Aeste auflösen, innerhalb der Drüse verschwinden und am Ende wieder aus derselben hervorkommen. Nach den Resul- taten der Quecksilberinjectionen, welche man schon im vorigen Jahrhundert mit so grosser Sorgfalt gemacht hat, glaubte man nun schliessen zu müssen, dass das eingetretene Lymphgefäss

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/177
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/177>, abgerufen am 25.04.2024.