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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Fibrinogene Substanz.
Lymphe finden, so konnte ich meine Ansicht dahin erweitern,
dass auch in der Lymphe der Faserstoff nicht fertig enthalten
sei.

Dieselbe Substanz, welche sich von dem gewöhnlichen
Fibrin dadurch unterscheidet, dass sie eines mehr oder weni-
ger langen Contactes mit der atmosphärischen Luft bedarf, um
erst coagulabel zu werden, findet sich unter gewissen Verhält-
nissen auch im Blute der peripherischen Venen vor, so dass
man auch durch eine gewöhnliche Venaesection am Arme Blut be-
kommen kann, welches sich vom gewöhnlichen Blute durch die
Langsamkeit seiner Gerinnung unterscheidet. Polli hat die
gerinnende Substanz Bradyfibrin genannt. Solche Fälle kom-
men besonders vor bei entzündlichen Erkrankungen der Respi-
rationsorgane, und geben am häufigsten Veranlassung zur Bil-
dung einer Speckhaut (Crusta pleuritica, Cr. phlogistica.).
Sie Alle wissen, dass die gewöhnliche Crusta phlogistica bei
pneumonischem oder pleuritischem Blut um so leichter eintritt,
je wässriger die Blutflüssigkeit ist. je mehr die Blutmasse an
festen Bestandtheilen verarmt ist, aber es ist wesentlich da-
für, dass das Fibrin langsam gerinnt. Wenn man mit der
Uhr in der Hand den Vorgang controlirt, so überzeugt man
sich, dass eine sehr viel längere Zeit vergeht, als bei der ge-
wöhnlichen Gerinnung. Von dieser häufigen Erscheinung, wie
sie sich bei der gewöhnlichen Crustenbildung der entzündlichen
Blutmasse findet, zeigen sich nun allmälige Uebergänge zu
einer immer längeren Dauer des Flüssigbleibens.

Das Aeusserste dieser Art, was bis jetzt bekannt ist, ge-
schah in einem Falle, den Polli beobachtete. Bei einem an
Pneumonie leidenden, rüstigen Manne, welcher im Sommer, zu
einer Zeit, welche gerade nicht die äusseren Bedingungen für die
Verlangsamung der Gerinnung darbietet, in die Behandlung kam,
gebrauchte das Blut, welches aus der geöffneten Ader floss, acht
Tage, ehe es anfing zu gerinnen, und erst nach 14 Tagen
war die Coagulation vollständig. Es fand sich dabei auch die
andere von mir am pleuritischen Exsudat beobachtete Er-
scheinung, dass im Verhältniss zu dieser späten Gerinnung eine
ungewöhnlich späte Zersetzung (Fäulniss) des Blutes stattfand.

Da nun Erscheinungen dieser Art überwiegend häufig bei

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Fibrinogene Substanz.
Lymphe finden, so konnte ich meine Ansicht dahin erweitern,
dass auch in der Lymphe der Faserstoff nicht fertig enthalten
sei.

Dieselbe Substanz, welche sich von dem gewöhnlichen
Fibrin dadurch unterscheidet, dass sie eines mehr oder weni-
ger langen Contactes mit der atmosphärischen Luft bedarf, um
erst coagulabel zu werden, findet sich unter gewissen Verhält-
nissen auch im Blute der peripherischen Venen vor, so dass
man auch durch eine gewöhnliche Venaesection am Arme Blut be-
kommen kann, welches sich vom gewöhnlichen Blute durch die
Langsamkeit seiner Gerinnung unterscheidet. Polli hat die
gerinnende Substanz Bradyfibrin genannt. Solche Fälle kom-
men besonders vor bei entzündlichen Erkrankungen der Respi-
rationsorgane, und geben am häufigsten Veranlassung zur Bil-
dung einer Speckhaut (Crusta pleuritica, Cr. phlogistica.).
Sie Alle wissen, dass die gewöhnliche Crusta phlogistica bei
pneumonischem oder pleuritischem Blut um so leichter eintritt,
je wässriger die Blutflüssigkeit ist. je mehr die Blutmasse an
festen Bestandtheilen verarmt ist, aber es ist wesentlich da-
für, dass das Fibrin langsam gerinnt. Wenn man mit der
Uhr in der Hand den Vorgang controlirt, so überzeugt man
sich, dass eine sehr viel längere Zeit vergeht, als bei der ge-
wöhnlichen Gerinnung. Von dieser häufigen Erscheinung, wie
sie sich bei der gewöhnlichen Crustenbildung der entzündlichen
Blutmasse findet, zeigen sich nun allmälige Uebergänge zu
einer immer längeren Dauer des Flüssigbleibens.

Das Aeusserste dieser Art, was bis jetzt bekannt ist, ge-
schah in einem Falle, den Polli beobachtete. Bei einem an
Pneumonie leidenden, rüstigen Manne, welcher im Sommer, zu
einer Zeit, welche gerade nicht die äusseren Bedingungen für die
Verlangsamung der Gerinnung darbietet, in die Behandlung kam,
gebrauchte das Blut, welches aus der geöffneten Ader floss, acht
Tage, ehe es anfing zu gerinnen, und erst nach 14 Tagen
war die Coagulation vollständig. Es fand sich dabei auch die
andere von mir am pleuritischen Exsudat beobachtete Er-
scheinung, dass im Verhältniss zu dieser späten Gerinnung eine
ungewöhnlich späte Zersetzung (Fäulniss) des Blutes stattfand.

Da nun Erscheinungen dieser Art überwiegend häufig bei

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[145/0167] Fibrinogene Substanz. Lymphe finden, so konnte ich meine Ansicht dahin erweitern, dass auch in der Lymphe der Faserstoff nicht fertig enthalten sei. Dieselbe Substanz, welche sich von dem gewöhnlichen Fibrin dadurch unterscheidet, dass sie eines mehr oder weni- ger langen Contactes mit der atmosphärischen Luft bedarf, um erst coagulabel zu werden, findet sich unter gewissen Verhält- nissen auch im Blute der peripherischen Venen vor, so dass man auch durch eine gewöhnliche Venaesection am Arme Blut be- kommen kann, welches sich vom gewöhnlichen Blute durch die Langsamkeit seiner Gerinnung unterscheidet. Polli hat die gerinnende Substanz Bradyfibrin genannt. Solche Fälle kom- men besonders vor bei entzündlichen Erkrankungen der Respi- rationsorgane, und geben am häufigsten Veranlassung zur Bil- dung einer Speckhaut (Crusta pleuritica, Cr. phlogistica.). Sie Alle wissen, dass die gewöhnliche Crusta phlogistica bei pneumonischem oder pleuritischem Blut um so leichter eintritt, je wässriger die Blutflüssigkeit ist. je mehr die Blutmasse an festen Bestandtheilen verarmt ist, aber es ist wesentlich da- für, dass das Fibrin langsam gerinnt. Wenn man mit der Uhr in der Hand den Vorgang controlirt, so überzeugt man sich, dass eine sehr viel längere Zeit vergeht, als bei der ge- wöhnlichen Gerinnung. Von dieser häufigen Erscheinung, wie sie sich bei der gewöhnlichen Crustenbildung der entzündlichen Blutmasse findet, zeigen sich nun allmälige Uebergänge zu einer immer längeren Dauer des Flüssigbleibens. Das Aeusserste dieser Art, was bis jetzt bekannt ist, ge- schah in einem Falle, den Polli beobachtete. Bei einem an Pneumonie leidenden, rüstigen Manne, welcher im Sommer, zu einer Zeit, welche gerade nicht die äusseren Bedingungen für die Verlangsamung der Gerinnung darbietet, in die Behandlung kam, gebrauchte das Blut, welches aus der geöffneten Ader floss, acht Tage, ehe es anfing zu gerinnen, und erst nach 14 Tagen war die Coagulation vollständig. Es fand sich dabei auch die andere von mir am pleuritischen Exsudat beobachtete Er- scheinung, dass im Verhältniss zu dieser späten Gerinnung eine ungewöhnlich späte Zersetzung (Fäulniss) des Blutes stattfand. Da nun Erscheinungen dieser Art überwiegend häufig bei 10

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/167>, abgerufen am 23.04.2024.