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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Achte Vorlesung.
Dauerhaftigkeit eines Theiles als solchen setzt entweder vor-
aus, dass er in seinen einzelnen Theilchen dauerhaft ist, oder
dass die einzelnen Theilchen innerhalb des Theiles immerfort
neue erzeugen, welche alle Eigenthümlichkeiten der alten mit-
bringen. Für das Blut müsste man also annehmen, seine Bestand-
theile wären wirklich durch Jahre fortbestehend, und sie könn-
ten Jahre lang dieselben Veränderungen darbieten, oder man
müsste sich denken, dass das Blut von einem Theile auf den
andern etwas übertrüge, dass von einem mütterlichen Theile auf
einen töchterlichen etwas Hereditäres fortgepflanzt würde. Von
diesen Möglichkeiten ist die erstere gegenwärtig wohl ziemlich all-
gemein zurükgewiesen. Es denkt im Augenblick wohl Niemand
daran, dass die einzelnen Bestandtheile des Blutes eine Jahre lange
Dauer haben. Dagegen lässt sich allerdings die Möglichkeit nicht von
vorn herein zurückweisen, dass innerhalb des Blutes die Ele-
mente eine Fortpflanzung erfahren, und dass sich von Element
zu Element gewisse Eigenthümlichkeiten übertragen, welche zu
einer gewissen Zeit im Blute eingeleitet sind. Allein mit
einer gewissen Zuverlässigkeit kennen wir solche Erscheinun-
gen der Fortpflanzung des Blutes nur aus einer früheren Zeit
des embryonalen Lebens. Hier scheint es nach Beobachtungen,
die erst in der neuesten Zeit von Remak wiederum bestätigt
sind, dass die vorhandenen Blutkörperchen sich direct theilen,
in der Art nämlich, dass in einem Körperchen, welches in der
ersten Zeit der Entwicklung sich als kernhaltige Zelle darstellt,
zuerst eine Theilung des Kernes eintritt (Fig. 51, c.), dass dann die
ganze Zelle sich einkerbt und nach und nach wirkliche Ueber-
gänge zu einer vollständigen Theilung erkennen lässt. In dieser
frühen Zeit ist es also allerdings zulässig, das Blutkörperchen
als den Träger von Eigenschaften zu betrachten, welche sich
von der ersten Reihe von Zellen auf die zweite, von dieser auf
die dritte u. s. f. fortpflanzen.

In dem Blute des entwickelten Menschen, selbst schon im
Blute des Fötus der späteren Schwangerschaftsmonate sind
solche Theilungserscheinungen nicht mehr bekannt, und keine
einzige von den Thatsachen, welche man aus der Entwicklungs-
geschichte beizubringen vermag, spricht dafür, dass in dem
entwickelten Blute eine Vermehrung der zelligen Elemente durch

Achte Vorlesung.
Dauerhaftigkeit eines Theiles als solchen setzt entweder vor-
aus, dass er in seinen einzelnen Theilchen dauerhaft ist, oder
dass die einzelnen Theilchen innerhalb des Theiles immerfort
neue erzeugen, welche alle Eigenthümlichkeiten der alten mit-
bringen. Für das Blut müsste man also annehmen, seine Bestand-
theile wären wirklich durch Jahre fortbestehend, und sie könn-
ten Jahre lang dieselben Veränderungen darbieten, oder man
müsste sich denken, dass das Blut von einem Theile auf den
andern etwas übertrüge, dass von einem mütterlichen Theile auf
einen töchterlichen etwas Hereditäres fortgepflanzt würde. Von
diesen Möglichkeiten ist die erstere gegenwärtig wohl ziemlich all-
gemein zurükgewiesen. Es denkt im Augenblick wohl Niemand
daran, dass die einzelnen Bestandtheile des Blutes eine Jahre lange
Dauer haben. Dagegen lässt sich allerdings die Möglichkeit nicht von
vorn herein zurückweisen, dass innerhalb des Blutes die Ele-
mente eine Fortpflanzung erfahren, und dass sich von Element
zu Element gewisse Eigenthümlichkeiten übertragen, welche zu
einer gewissen Zeit im Blute eingeleitet sind. Allein mit
einer gewissen Zuverlässigkeit kennen wir solche Erscheinun-
gen der Fortpflanzung des Blutes nur aus einer früheren Zeit
des embryonalen Lebens. Hier scheint es nach Beobachtungen,
die erst in der neuesten Zeit von Remak wiederum bestätigt
sind, dass die vorhandenen Blutkörperchen sich direct theilen,
in der Art nämlich, dass in einem Körperchen, welches in der
ersten Zeit der Entwicklung sich als kernhaltige Zelle darstellt,
zuerst eine Theilung des Kernes eintritt (Fig. 51, c.), dass dann die
ganze Zelle sich einkerbt und nach und nach wirkliche Ueber-
gänge zu einer vollständigen Theilung erkennen lässt. In dieser
frühen Zeit ist es also allerdings zulässig, das Blutkörperchen
als den Träger von Eigenschaften zu betrachten, welche sich
von der ersten Reihe von Zellen auf die zweite, von dieser auf
die dritte u. s. f. fortpflanzen.

In dem Blute des entwickelten Menschen, selbst schon im
Blute des Fötus der späteren Schwangerschaftsmonate sind
solche Theilungserscheinungen nicht mehr bekannt, und keine
einzige von den Thatsachen, welche man aus der Entwicklungs-
geschichte beizubringen vermag, spricht dafür, dass in dem
entwickelten Blute eine Vermehrung der zelligen Elemente durch

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[142/0164] Achte Vorlesung. Dauerhaftigkeit eines Theiles als solchen setzt entweder vor- aus, dass er in seinen einzelnen Theilchen dauerhaft ist, oder dass die einzelnen Theilchen innerhalb des Theiles immerfort neue erzeugen, welche alle Eigenthümlichkeiten der alten mit- bringen. Für das Blut müsste man also annehmen, seine Bestand- theile wären wirklich durch Jahre fortbestehend, und sie könn- ten Jahre lang dieselben Veränderungen darbieten, oder man müsste sich denken, dass das Blut von einem Theile auf den andern etwas übertrüge, dass von einem mütterlichen Theile auf einen töchterlichen etwas Hereditäres fortgepflanzt würde. Von diesen Möglichkeiten ist die erstere gegenwärtig wohl ziemlich all- gemein zurükgewiesen. Es denkt im Augenblick wohl Niemand daran, dass die einzelnen Bestandtheile des Blutes eine Jahre lange Dauer haben. Dagegen lässt sich allerdings die Möglichkeit nicht von vorn herein zurückweisen, dass innerhalb des Blutes die Ele- mente eine Fortpflanzung erfahren, und dass sich von Element zu Element gewisse Eigenthümlichkeiten übertragen, welche zu einer gewissen Zeit im Blute eingeleitet sind. Allein mit einer gewissen Zuverlässigkeit kennen wir solche Erscheinun- gen der Fortpflanzung des Blutes nur aus einer früheren Zeit des embryonalen Lebens. Hier scheint es nach Beobachtungen, die erst in der neuesten Zeit von Remak wiederum bestätigt sind, dass die vorhandenen Blutkörperchen sich direct theilen, in der Art nämlich, dass in einem Körperchen, welches in der ersten Zeit der Entwicklung sich als kernhaltige Zelle darstellt, zuerst eine Theilung des Kernes eintritt (Fig. 51, c.), dass dann die ganze Zelle sich einkerbt und nach und nach wirkliche Ueber- gänge zu einer vollständigen Theilung erkennen lässt. In dieser frühen Zeit ist es also allerdings zulässig, das Blutkörperchen als den Träger von Eigenschaften zu betrachten, welche sich von der ersten Reihe von Zellen auf die zweite, von dieser auf die dritte u. s. f. fortpflanzen. In dem Blute des entwickelten Menschen, selbst schon im Blute des Fötus der späteren Schwangerschaftsmonate sind solche Theilungserscheinungen nicht mehr bekannt, und keine einzige von den Thatsachen, welche man aus der Entwicklungs- geschichte beizubringen vermag, spricht dafür, dass in dem entwickelten Blute eine Vermehrung der zelligen Elemente durch

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/164>, abgerufen am 16.04.2024.