Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Dyscrasien und localer Ursprung derselben.
manente Alkoholdyscrasie besitzt, sondern man denkt sich,
dass, wenn immer neue Mengen von Alkohol eingeführt wer-
den, auch immer neue Veränderungen des Blutes eintreten,
so dass die Veränderung am Blute so lange bestehen muss,
als die Zufuhr von neuen schädlichen Stoffen geschieht, oder
als in Folge früherer Zufuhr einzelne Organe in einem krank-
haften Zustande sich befinden. Wird kein Alkohol mehr zu-
geführt, werden die Organe, welche durch den früheren Alko-
holgenuss beschädigt waren, zu einem normalen Verhalten zu-
rückgeführt, so bezweifelt Niemand, dass damit die Säufer-
dyscrasie zu Ende sein wird. Dies einfache Beispiel, ange-
wendet auf die Geschichte der übrigen Dyscrasien, ergibt ganz
einfach den Schluss, dass jede Dyscrasie abhängig ist
von einer dauerhaften Zufuhr schädlicher Bestand-
theile von gewissen Punkten her
. Wie eine fortwährende
Zufuhr von schädlichen Nahrungsstoffen eine dauerhafte Ent-
mischung des Blutes setzen kann, eben so vermag die dauer-
hafte Erkrankung eines bestimmten Organes dem Blute fort
und fort kranke Stoffe zuzuführen.

Es handelt sich dann also wesentlich darum, für die ein-
zelnen Dyscrasien Lokalisationen zu suchen, die be-
stimmten Gewebe zu finden, von denen aus das Blut diese
Störung erfährt. Ich will nun gern gestehen, dass es in vie-
len Fällen bis jetzt nicht möglich gewesen ist, diese Organe
aufzufinden. In vielen Fällen ist es aber gelungen, wenn man
auch nicht in jedem sagen kann, in welcher Weise das Blut
dabei verändert wird. So sehen wir jenen merkwürdigen Zu-
stand eintreten, welchen man sehr wohl auf eine Dyscrasie
beziehen kann, den scorbutischen Zustand, die Purpura, die
Petechial-Dyscrasie. Vergeblich werden Sie sich nach ent-
scheidenden Erfahrungen darüber umsehen, welcher Art diese
Dyscrasie, wie das Blut verändert sei, wenn Scorbut oder Pur-
pura sich zeigt. Das, was der Eine gefunden hat, hat der
Andere widerlegt, und es hat sich ergeben, dass zuweilen in
der Mischung der gröberen Bestandtheile des Blutes keine
Veränderung eingetreten ist; es bleibt hier ein Quid ignotum,
und Sie werden es verzeihlich finden, wenn wir nicht sagen
können, woher eine Dyscrasie kommt, deren Wesen wir über-

Dyscrasien und localer Ursprung derselben.
manente Alkoholdyscrasie besitzt, sondern man denkt sich,
dass, wenn immer neue Mengen von Alkohol eingeführt wer-
den, auch immer neue Veränderungen des Blutes eintreten,
so dass die Veränderung am Blute so lange bestehen muss,
als die Zufuhr von neuen schädlichen Stoffen geschieht, oder
als in Folge früherer Zufuhr einzelne Organe in einem krank-
haften Zustande sich befinden. Wird kein Alkohol mehr zu-
geführt, werden die Organe, welche durch den früheren Alko-
holgenuss beschädigt waren, zu einem normalen Verhalten zu-
rückgeführt, so bezweifelt Niemand, dass damit die Säufer-
dyscrasie zu Ende sein wird. Dies einfache Beispiel, ange-
wendet auf die Geschichte der übrigen Dyscrasien, ergibt ganz
einfach den Schluss, dass jede Dyscrasie abhängig ist
von einer dauerhaften Zufuhr schädlicher Bestand-
theile von gewissen Punkten her
. Wie eine fortwährende
Zufuhr von schädlichen Nahrungsstoffen eine dauerhafte Ent-
mischung des Blutes setzen kann, eben so vermag die dauer-
hafte Erkrankung eines bestimmten Organes dem Blute fort
und fort kranke Stoffe zuzuführen.

Es handelt sich dann also wesentlich darum, für die ein-
zelnen Dyscrasien Lokalisationen zu suchen, die be-
stimmten Gewebe zu finden, von denen aus das Blut diese
Störung erfährt. Ich will nun gern gestehen, dass es in vie-
len Fällen bis jetzt nicht möglich gewesen ist, diese Organe
aufzufinden. In vielen Fällen ist es aber gelungen, wenn man
auch nicht in jedem sagen kann, in welcher Weise das Blut
dabei verändert wird. So sehen wir jenen merkwürdigen Zu-
stand eintreten, welchen man sehr wohl auf eine Dyscrasie
beziehen kann, den scorbutischen Zustand, die Purpura, die
Petechial-Dyscrasie. Vergeblich werden Sie sich nach ent-
scheidenden Erfahrungen darüber umsehen, welcher Art diese
Dyscrasie, wie das Blut verändert sei, wenn Scorbut oder Pur-
pura sich zeigt. Das, was der Eine gefunden hat, hat der
Andere widerlegt, und es hat sich ergeben, dass zuweilen in
der Mischung der gröberen Bestandtheile des Blutes keine
Veränderung eingetreten ist; es bleibt hier ein Quid ignotum,
und Sie werden es verzeihlich finden, wenn wir nicht sagen
können, woher eine Dyscrasie kommt, deren Wesen wir über-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0141" n="119"/><fw place="top" type="header">Dyscrasien und localer Ursprung derselben.</fw><lb/>
manente Alkoholdyscrasie besitzt, sondern man denkt sich,<lb/>
dass, wenn immer neue Mengen von Alkohol eingeführt wer-<lb/>
den, auch immer neue Veränderungen des Blutes eintreten,<lb/>
so dass die Veränderung am Blute so lange bestehen muss,<lb/>
als die Zufuhr von neuen schädlichen Stoffen geschieht, oder<lb/>
als in Folge früherer Zufuhr einzelne Organe in einem krank-<lb/>
haften Zustande sich befinden. Wird kein Alkohol mehr zu-<lb/>
geführt, werden die Organe, welche durch den früheren Alko-<lb/>
holgenuss beschädigt waren, zu einem normalen Verhalten zu-<lb/>
rückgeführt, so bezweifelt Niemand, dass damit die Säufer-<lb/>
dyscrasie zu Ende sein wird. Dies einfache Beispiel, ange-<lb/>
wendet auf die Geschichte der übrigen Dyscrasien, ergibt ganz<lb/>
einfach den Schluss, dass <hi rendition="#g">jede Dyscrasie abhängig ist<lb/>
von einer dauerhaften Zufuhr schädlicher Bestand-<lb/>
theile von gewissen Punkten her</hi>. Wie eine fortwährende<lb/>
Zufuhr von schädlichen Nahrungsstoffen eine dauerhafte Ent-<lb/>
mischung des Blutes setzen kann, eben so vermag die dauer-<lb/>
hafte Erkrankung eines bestimmten Organes dem Blute fort<lb/>
und fort kranke Stoffe zuzuführen.</p><lb/>
        <p>Es handelt sich dann also wesentlich darum, für die ein-<lb/>
zelnen Dyscrasien <hi rendition="#g">Lokalisationen</hi> zu suchen, die be-<lb/>
stimmten Gewebe zu finden, von denen aus das Blut diese<lb/>
Störung erfährt. Ich will nun gern gestehen, dass es in vie-<lb/>
len Fällen bis jetzt nicht möglich gewesen ist, diese Organe<lb/>
aufzufinden. In vielen Fällen ist es aber gelungen, wenn man<lb/>
auch nicht in jedem sagen kann, in welcher Weise das Blut<lb/>
dabei verändert wird. So sehen wir jenen merkwürdigen Zu-<lb/>
stand eintreten, welchen man sehr wohl auf eine Dyscrasie<lb/>
beziehen kann, den scorbutischen Zustand, die Purpura, die<lb/>
Petechial-Dyscrasie. Vergeblich werden Sie sich nach ent-<lb/>
scheidenden Erfahrungen darüber umsehen, welcher Art diese<lb/>
Dyscrasie, wie das Blut verändert sei, wenn Scorbut oder Pur-<lb/>
pura sich zeigt. Das, was der Eine gefunden hat, hat der<lb/>
Andere widerlegt, und es hat sich ergeben, dass zuweilen in<lb/>
der Mischung der gröberen Bestandtheile des Blutes keine<lb/>
Veränderung eingetreten ist; es bleibt hier ein Quid ignotum,<lb/>
und Sie werden es verzeihlich finden, wenn wir nicht sagen<lb/>
können, woher eine Dyscrasie kommt, deren Wesen wir über-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0141] Dyscrasien und localer Ursprung derselben. manente Alkoholdyscrasie besitzt, sondern man denkt sich, dass, wenn immer neue Mengen von Alkohol eingeführt wer- den, auch immer neue Veränderungen des Blutes eintreten, so dass die Veränderung am Blute so lange bestehen muss, als die Zufuhr von neuen schädlichen Stoffen geschieht, oder als in Folge früherer Zufuhr einzelne Organe in einem krank- haften Zustande sich befinden. Wird kein Alkohol mehr zu- geführt, werden die Organe, welche durch den früheren Alko- holgenuss beschädigt waren, zu einem normalen Verhalten zu- rückgeführt, so bezweifelt Niemand, dass damit die Säufer- dyscrasie zu Ende sein wird. Dies einfache Beispiel, ange- wendet auf die Geschichte der übrigen Dyscrasien, ergibt ganz einfach den Schluss, dass jede Dyscrasie abhängig ist von einer dauerhaften Zufuhr schädlicher Bestand- theile von gewissen Punkten her. Wie eine fortwährende Zufuhr von schädlichen Nahrungsstoffen eine dauerhafte Ent- mischung des Blutes setzen kann, eben so vermag die dauer- hafte Erkrankung eines bestimmten Organes dem Blute fort und fort kranke Stoffe zuzuführen. Es handelt sich dann also wesentlich darum, für die ein- zelnen Dyscrasien Lokalisationen zu suchen, die be- stimmten Gewebe zu finden, von denen aus das Blut diese Störung erfährt. Ich will nun gern gestehen, dass es in vie- len Fällen bis jetzt nicht möglich gewesen ist, diese Organe aufzufinden. In vielen Fällen ist es aber gelungen, wenn man auch nicht in jedem sagen kann, in welcher Weise das Blut dabei verändert wird. So sehen wir jenen merkwürdigen Zu- stand eintreten, welchen man sehr wohl auf eine Dyscrasie beziehen kann, den scorbutischen Zustand, die Purpura, die Petechial-Dyscrasie. Vergeblich werden Sie sich nach ent- scheidenden Erfahrungen darüber umsehen, welcher Art diese Dyscrasie, wie das Blut verändert sei, wenn Scorbut oder Pur- pura sich zeigt. Das, was der Eine gefunden hat, hat der Andere widerlegt, und es hat sich ergeben, dass zuweilen in der Mischung der gröberen Bestandtheile des Blutes keine Veränderung eingetreten ist; es bleibt hier ein Quid ignotum, und Sie werden es verzeihlich finden, wenn wir nicht sagen können, woher eine Dyscrasie kommt, deren Wesen wir über-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/141
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/141>, abgerufen am 20.04.2024.