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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Sechste Vorlesung.
stimmten Geweben und bestimmten Stoffen existiren, Bezie-
hungen, welche auf chemische Eigenthümlichkeiten zurückgeführt
werden müssen, in Folge deren gewisse Theile mehr befähigt
sind, aus dem benachbarten Blute gewisse Substanzen anzu-
ziehen, als andere.

Betrachten wir die Möglichkeit solcher Anziehungen etwas
sorgfältiger, so ist es von einem besonderen Interesse zu
sehen, wie sich Theile verhalten, die sich in einer gewissen
Entfernung vom Gefässe befinden. Gesetzt, wir wären im
Stande, auf einen Theil direct einen bestimmten Reiz einwirken
zu lassen, z. B. eine chemische Substanz, ich will annehmen,
eine kleine Quantität eines Alkali, so sehen wir, dass in ganz
kurzer Zeit der Theil mehr Material aufnimmt, dass er schon
in einigen Stunden um ein Beträchtliches grösser wird, und
dass, während wir vorher im Innern desselben kaum etwas
wahrnehmen konnten, wir nun eine reichliche, verhältniss-
mässig trübe Substanz in ihm finden, die nicht etwa aus ein-
gedrungenem Alkali besteht, sondern ihrem wesentlichen Theil
nach Substanzen enthält, welche den Eiweisskörpern analog
sind. Die Beobachtung ergibt, dass der Prozess in allen ge-
fässhaltigen Theilen mit einer Hyperämie beginnt, so dass die
Vorstellung nahe liegt, die Hyperämie sei das Wesentliche und
Bestimmende. Wenn wir aber die feineren Verhältnisse stu-
diren, so ist es schwer zu verstehen, wie das Blut, welches in
den hyperämischen Gefässen ist, es machen soll, um grade
auf den gereizten Theil einzuwirken, während andere Theile,
welche in der nächsten Nähe liegen, nicht in derselben Weise
getroffen werden. In allen Fällen, wo die Gefässe der nächste
Ausgangspunkt von Störungen sind, welche im Gewebe statt-
finden, finden sich auch die Störungen am ausgesprochensten
in der nächsten Umgebung der Gefässe und in dem Gebiete,
welches sie versorgen (Gefässterritorium). Wenn wir z. B.
einen reizenden Körper in ein Blutgefäss stecken, wie dies von
mir durch die Geschichte der Embolie in grösserer Ausdehnung
festgestellt ist, so sehen wir nicht etwa, dass die vom Ge-
fässe entfernten Theile der Hauptsitz der activen Veränderung
werden, sondern diese zeigt sich zunächst an der Wand
des Gefässes selbst und dann an den anstossenden Gewebs-

Sechste Vorlesung.
stimmten Geweben und bestimmten Stoffen existiren, Bezie-
hungen, welche auf chemische Eigenthümlichkeiten zurückgeführt
werden müssen, in Folge deren gewisse Theile mehr befähigt
sind, aus dem benachbarten Blute gewisse Substanzen anzu-
ziehen, als andere.

Betrachten wir die Möglichkeit solcher Anziehungen etwas
sorgfältiger, so ist es von einem besonderen Interesse zu
sehen, wie sich Theile verhalten, die sich in einer gewissen
Entfernung vom Gefässe befinden. Gesetzt, wir wären im
Stande, auf einen Theil direct einen bestimmten Reiz einwirken
zu lassen, z. B. eine chemische Substanz, ich will annehmen,
eine kleine Quantität eines Alkali, so sehen wir, dass in ganz
kurzer Zeit der Theil mehr Material aufnimmt, dass er schon
in einigen Stunden um ein Beträchtliches grösser wird, und
dass, während wir vorher im Innern desselben kaum etwas
wahrnehmen konnten, wir nun eine reichliche, verhältniss-
mässig trübe Substanz in ihm finden, die nicht etwa aus ein-
gedrungenem Alkali besteht, sondern ihrem wesentlichen Theil
nach Substanzen enthält, welche den Eiweisskörpern analog
sind. Die Beobachtung ergibt, dass der Prozess in allen ge-
fässhaltigen Theilen mit einer Hyperämie beginnt, so dass die
Vorstellung nahe liegt, die Hyperämie sei das Wesentliche und
Bestimmende. Wenn wir aber die feineren Verhältnisse stu-
diren, so ist es schwer zu verstehen, wie das Blut, welches in
den hyperämischen Gefässen ist, es machen soll, um grade
auf den gereizten Theil einzuwirken, während andere Theile,
welche in der nächsten Nähe liegen, nicht in derselben Weise
getroffen werden. In allen Fällen, wo die Gefässe der nächste
Ausgangspunkt von Störungen sind, welche im Gewebe statt-
finden, finden sich auch die Störungen am ausgesprochensten
in der nächsten Umgebung der Gefässe und in dem Gebiete,
welches sie versorgen (Gefässterritorium). Wenn wir z. B.
einen reizenden Körper in ein Blutgefäss stecken, wie dies von
mir durch die Geschichte der Embolie in grösserer Ausdehnung
festgestellt ist, so sehen wir nicht etwa, dass die vom Ge-
fässe entfernten Theile der Hauptsitz der activen Veränderung
werden, sondern diese zeigt sich zunächst an der Wand
des Gefässes selbst und dann an den anstossenden Gewebs-

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[112/0134] Sechste Vorlesung. stimmten Geweben und bestimmten Stoffen existiren, Bezie- hungen, welche auf chemische Eigenthümlichkeiten zurückgeführt werden müssen, in Folge deren gewisse Theile mehr befähigt sind, aus dem benachbarten Blute gewisse Substanzen anzu- ziehen, als andere. Betrachten wir die Möglichkeit solcher Anziehungen etwas sorgfältiger, so ist es von einem besonderen Interesse zu sehen, wie sich Theile verhalten, die sich in einer gewissen Entfernung vom Gefässe befinden. Gesetzt, wir wären im Stande, auf einen Theil direct einen bestimmten Reiz einwirken zu lassen, z. B. eine chemische Substanz, ich will annehmen, eine kleine Quantität eines Alkali, so sehen wir, dass in ganz kurzer Zeit der Theil mehr Material aufnimmt, dass er schon in einigen Stunden um ein Beträchtliches grösser wird, und dass, während wir vorher im Innern desselben kaum etwas wahrnehmen konnten, wir nun eine reichliche, verhältniss- mässig trübe Substanz in ihm finden, die nicht etwa aus ein- gedrungenem Alkali besteht, sondern ihrem wesentlichen Theil nach Substanzen enthält, welche den Eiweisskörpern analog sind. Die Beobachtung ergibt, dass der Prozess in allen ge- fässhaltigen Theilen mit einer Hyperämie beginnt, so dass die Vorstellung nahe liegt, die Hyperämie sei das Wesentliche und Bestimmende. Wenn wir aber die feineren Verhältnisse stu- diren, so ist es schwer zu verstehen, wie das Blut, welches in den hyperämischen Gefässen ist, es machen soll, um grade auf den gereizten Theil einzuwirken, während andere Theile, welche in der nächsten Nähe liegen, nicht in derselben Weise getroffen werden. In allen Fällen, wo die Gefässe der nächste Ausgangspunkt von Störungen sind, welche im Gewebe statt- finden, finden sich auch die Störungen am ausgesprochensten in der nächsten Umgebung der Gefässe und in dem Gebiete, welches sie versorgen (Gefässterritorium). Wenn wir z. B. einen reizenden Körper in ein Blutgefäss stecken, wie dies von mir durch die Geschichte der Embolie in grösserer Ausdehnung festgestellt ist, so sehen wir nicht etwa, dass die vom Ge- fässe entfernten Theile der Hauptsitz der activen Veränderung werden, sondern diese zeigt sich zunächst an der Wand des Gefässes selbst und dann an den anstossenden Gewebs-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/134>, abgerufen am 29.03.2024.