Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

red' ich dann ein wenig mit: so viel es die warme Quelle
gestattet., Wir machen die ruhigsten, heitersten Spazirgänge,
und ich bin stolz, wenn sie sich an der Gegend erfreuen: als
hätte ich sie gemacht oder entdeckt, oder hielte sie so zum Ge-
nuß der Freunde in Licht, Schatten, Duft, Grün und Kräu-
terlaub! Es geht mir alles durch die Seele dabei, liebe Grotta,
die Welt, die Vergangenheit, meine; die Möglichkeiten, welt-
liche und geistige; der Menschen Naturen, die ich kenne und
kannte; tausend und tausend Dinge. Und die Liebe, die Ver-
ehrung, die Segenanwünschung für Goethe umgeben dies,
durchdringen es, wie seine einmalige Atmosphäre. Und im
Ganzen kann ich von mir sagen, wie Hamlet von Polonius,
daß er sonst ein geschwätziger, unruhiger Knabe war, und jetzt
ein gesetzter Kerl. Da so todt an der Treppe. Doch ärgere,
boße, freue, agitire ich mich noch: nur nicht so lange als
sonst: und erfahre nichts Neues dadurch. --



An Varnhagen, in Hamburg.


Alexander Lippe ist nicht hier: sein Bruder aber kam statt
seiner, und behandelt mich mit der größten Vorliebe und Ehr-
furcht; und möchte mir alle seine Zeit widmen. Dies spricht
sehr für diese Familie: und stellt sie auf eine andere Stufe,
als wo die unseres gebliebenen Freundes steht. -- Er sprach
auch viel von dir, und mit höchster Achtung, und grüßt dich.
Ich empfahl ihm Thibaut, er las ihn gleich, weil er ihn un-

red’ ich dann ein wenig mit: ſo viel es die warme Quelle
geſtattet., Wir machen die ruhigſten, heiterſten Spazirgänge,
und ich bin ſtolz, wenn ſie ſich an der Gegend erfreuen: als
hätte ich ſie gemacht oder entdeckt, oder hielte ſie ſo zum Ge-
nuß der Freunde in Licht, Schatten, Duft, Grün und Kräu-
terlaub! Es geht mir alles durch die Seele dabei, liebe Grotta,
die Welt, die Vergangenheit, meine; die Möglichkeiten, welt-
liche und geiſtige; der Menſchen Naturen, die ich kenne und
kannte; tauſend und tauſend Dinge. Und die Liebe, die Ver-
ehrung, die Segenanwünſchung für Goethe umgeben dies,
durchdringen es, wie ſeine einmalige Atmoſphäre. Und im
Ganzen kann ich von mir ſagen, wie Hamlet von Polonius,
daß er ſonſt ein geſchwätziger, unruhiger Knabe war, und jetzt
ein geſetzter Kerl. Da ſo todt an der Treppe. Doch ärgere,
boße, freue, agitire ich mich noch: nur nicht ſo lange als
ſonſt: und erfahre nichts Neues dadurch. —



An Varnhagen, in Hamburg.


Alexander Lippe iſt nicht hier: ſein Bruder aber kam ſtatt
ſeiner, und behandelt mich mit der größten Vorliebe und Ehr-
furcht; und möchte mir alle ſeine Zeit widmen. Dies ſpricht
ſehr für dieſe Familie: und ſtellt ſie auf eine andere Stufe,
als wo die unſeres gebliebenen Freundes ſteht. — Er ſprach
auch viel von dir, und mit höchſter Achtung, und grüßt dich.
Ich empfahl ihm Thibaut, er las ihn gleich, weil er ihn un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0246" n="238"/>
red&#x2019; ich dann ein wenig mit: &#x017F;o viel es die warme Quelle<lb/>
ge&#x017F;tattet., Wir machen die ruhig&#x017F;ten, heiter&#x017F;ten Spazirgänge,<lb/>
und ich bin &#x017F;tolz, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich an der Gegend erfreuen: als<lb/>
hätte ich &#x017F;ie gemacht oder entdeckt, oder hielte &#x017F;ie &#x017F;o zum Ge-<lb/>
nuß der Freunde in Licht, Schatten, Duft, Grün und Kräu-<lb/>
terlaub! Es geht mir alles durch die Seele dabei, liebe Grotta,<lb/>
die Welt, die Vergangenheit, meine; die Möglichkeiten, welt-<lb/>
liche und gei&#x017F;tige; der Men&#x017F;chen Naturen, die ich kenne und<lb/>
kannte; tau&#x017F;end und tau&#x017F;end Dinge. Und die Liebe, die Ver-<lb/>
ehrung, die Segenanwün&#x017F;chung für Goethe umgeben dies,<lb/>
durchdringen es, wie &#x017F;eine einmalige Atmo&#x017F;phäre. Und im<lb/>
Ganzen kann ich von mir &#x017F;agen, wie Hamlet von Polonius,<lb/>
daß er &#x017F;on&#x017F;t ein ge&#x017F;chwätziger, unruhiger Knabe war, und jetzt<lb/>
ein ge&#x017F;etzter Kerl. Da &#x017F;o todt an der Treppe. Doch ärgere,<lb/>
boße, freue, agitire ich mich noch: nur nicht &#x017F;o lange als<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t: und erfahre nichts Neues dadurch. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Hamburg.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Dresden, Mittwoch den 31. Augu&#x017F;t 1814.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Alexander Lippe i&#x017F;t nicht hier: &#x017F;ein Bruder aber kam &#x017F;tatt<lb/>
&#x017F;einer, und behandelt mich mit der größten Vorliebe und Ehr-<lb/>
furcht; und möchte mir alle &#x017F;eine Zeit widmen. Dies &#x017F;pricht<lb/>
&#x017F;ehr für die&#x017F;e Familie: und &#x017F;tellt &#x017F;ie auf eine andere Stufe,<lb/>
als wo die un&#x017F;eres gebliebenen Freundes &#x017F;teht. &#x2014; Er &#x017F;prach<lb/>
auch viel von dir, und mit höch&#x017F;ter Achtung, und grüßt dich.<lb/>
Ich empfahl ihm Thibaut, er las ihn gleich, weil er ihn un-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0246] red’ ich dann ein wenig mit: ſo viel es die warme Quelle geſtattet., Wir machen die ruhigſten, heiterſten Spazirgänge, und ich bin ſtolz, wenn ſie ſich an der Gegend erfreuen: als hätte ich ſie gemacht oder entdeckt, oder hielte ſie ſo zum Ge- nuß der Freunde in Licht, Schatten, Duft, Grün und Kräu- terlaub! Es geht mir alles durch die Seele dabei, liebe Grotta, die Welt, die Vergangenheit, meine; die Möglichkeiten, welt- liche und geiſtige; der Menſchen Naturen, die ich kenne und kannte; tauſend und tauſend Dinge. Und die Liebe, die Ver- ehrung, die Segenanwünſchung für Goethe umgeben dies, durchdringen es, wie ſeine einmalige Atmoſphäre. Und im Ganzen kann ich von mir ſagen, wie Hamlet von Polonius, daß er ſonſt ein geſchwätziger, unruhiger Knabe war, und jetzt ein geſetzter Kerl. Da ſo todt an der Treppe. Doch ärgere, boße, freue, agitire ich mich noch: nur nicht ſo lange als ſonſt: und erfahre nichts Neues dadurch. — An Varnhagen, in Hamburg. Dresden, Mittwoch den 31. Auguſt 1814. Alexander Lippe iſt nicht hier: ſein Bruder aber kam ſtatt ſeiner, und behandelt mich mit der größten Vorliebe und Ehr- furcht; und möchte mir alle ſeine Zeit widmen. Dies ſpricht ſehr für dieſe Familie: und ſtellt ſie auf eine andere Stufe, als wo die unſeres gebliebenen Freundes ſteht. — Er ſprach auch viel von dir, und mit höchſter Achtung, und grüßt dich. Ich empfahl ihm Thibaut, er las ihn gleich, weil er ihn un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/246
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/246>, abgerufen am 29.03.2024.