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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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ten, ob die Menschen-Rudel, die sie da sahen, wohl Gesell-
schaft seien; d. h. Grafe, Barone. Nun sieht man auch so-
genannte Gebildete: die sind wieder so bieder -- daß man's
schon den Männern an den neuen russisch-kriegspreußischen
Mützen ansieht, und den Frauen an dem naiv-kinderhaften,
häuslich-bürgerlichen altdeutsch-puffenreichen Anzug; den sie
keineswegs vermischen, wohl aber zugleich an sich tragen; mit
einer Haltung, die dies gerne in Ordnung halten möchte, das
Strickzeug und die tugendhafte Treue besorgt, und doch dem
Geist so viel Spielraum läßt, die Gegend und Neues über-
haupt in so weit in die Seele zu lassen, als eine geistreiche
Erzählung für die Zuhausgebliebenen erfordert, und natürliche
gute Neugierde sucht. Die machten mich sehr herunter; und
meine Erwartung für Berlin auch. Ich kenne nicht Einen,
nicht Eine davon persönlich; ich habe sie nur so schwindlen
und sitzen sehen. Varnhagen hat aber schon mit ihnen gespeist
und geschnackt. Eine Breslauer Elegante ist hier, die ich von
Berlin kenne, die mich sehr liebt: und die sehr schöne Eigen-
schaften hat. Auch eine Equipage: mit der leb' ich im Freien.
Auch sehe ich des Major Selby Frau und Schwägerin, der
hier in Garnison ist, und die ich von hier und Prag kenne;
er ist ein Däne, gebildet. Sie sind artige hübsche Blumen;
die Frau derb, voller Unschuld: schön gegen Mann und Kind:
dann sprech' ich noch flüchtig mit Offizieren, sonst weiß ich von
keiner lebendigen Seele. Ich wohne sehr gut. Zwei Zimmer
nach einem Platz; Varnh. zwei hintere nach dem Garten: der
voller Rosen, ganz aufgeräumt ist, und nach einem Berge
führt, und nach den Schloß- und andern Gärten hinsieht.

ten, ob die Menſchen-Rudel, die ſie da ſahen, wohl Geſell-
ſchaft ſeien; d. h. Grafe, Barone. Nun ſieht man auch ſo-
genannte Gebildete: die ſind wieder ſo bieder — daß man’s
ſchon den Männern an den neuen ruſſiſch-kriegspreußiſchen
Mützen anſieht, und den Frauen an dem naiv-kinderhaften,
häuslich-bürgerlichen altdeutſch-puffenreichen Anzug; den ſie
keineswegs vermiſchen, wohl aber zugleich an ſich tragen; mit
einer Haltung, die dies gerne in Ordnung halten möchte, das
Strickzeug und die tugendhafte Treue beſorgt, und doch dem
Geiſt ſo viel Spielraum läßt, die Gegend und Neues über-
haupt in ſo weit in die Seele zu laſſen, als eine geiſtreiche
Erzählung für die Zuhausgebliebenen erfordert, und natürliche
gute Neugierde ſucht. Die machten mich ſehr herunter; und
meine Erwartung für Berlin auch. Ich kenne nicht Einen,
nicht Eine davon perſönlich; ich habe ſie nur ſo ſchwindlen
und ſitzen ſehen. Varnhagen hat aber ſchon mit ihnen geſpeiſt
und geſchnackt. Eine Breslauer Elegante iſt hier, die ich von
Berlin kenne, die mich ſehr liebt: und die ſehr ſchöne Eigen-
ſchaften hat. Auch eine Equipage: mit der leb’ ich im Freien.
Auch ſehe ich des Major Selby Frau und Schwägerin, der
hier in Garniſon iſt, und die ich von hier und Prag kenne;
er iſt ein Däne, gebildet. Sie ſind artige hübſche Blumen;
die Frau derb, voller Unſchuld: ſchön gegen Mann und Kind:
dann ſprech’ ich noch flüchtig mit Offizieren, ſonſt weiß ich von
keiner lebendigen Seele. Ich wohne ſehr gut. Zwei Zimmer
nach einem Platz; Varnh. zwei hintere nach dem Garten: der
voller Roſen, ganz aufgeräumt iſt, und nach einem Berge
führt, und nach den Schloß- und andern Gärten hinſieht.

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[232/0240] ten, ob die Menſchen-Rudel, die ſie da ſahen, wohl Geſell- ſchaft ſeien; d. h. Grafe, Barone. Nun ſieht man auch ſo- genannte Gebildete: die ſind wieder ſo bieder — daß man’s ſchon den Männern an den neuen ruſſiſch-kriegspreußiſchen Mützen anſieht, und den Frauen an dem naiv-kinderhaften, häuslich-bürgerlichen altdeutſch-puffenreichen Anzug; den ſie keineswegs vermiſchen, wohl aber zugleich an ſich tragen; mit einer Haltung, die dies gerne in Ordnung halten möchte, das Strickzeug und die tugendhafte Treue beſorgt, und doch dem Geiſt ſo viel Spielraum läßt, die Gegend und Neues über- haupt in ſo weit in die Seele zu laſſen, als eine geiſtreiche Erzählung für die Zuhausgebliebenen erfordert, und natürliche gute Neugierde ſucht. Die machten mich ſehr herunter; und meine Erwartung für Berlin auch. Ich kenne nicht Einen, nicht Eine davon perſönlich; ich habe ſie nur ſo ſchwindlen und ſitzen ſehen. Varnhagen hat aber ſchon mit ihnen geſpeiſt und geſchnackt. Eine Breslauer Elegante iſt hier, die ich von Berlin kenne, die mich ſehr liebt: und die ſehr ſchöne Eigen- ſchaften hat. Auch eine Equipage: mit der leb’ ich im Freien. Auch ſehe ich des Major Selby Frau und Schwägerin, der hier in Garniſon iſt, und die ich von hier und Prag kenne; er iſt ein Däne, gebildet. Sie ſind artige hübſche Blumen; die Frau derb, voller Unſchuld: ſchön gegen Mann und Kind: dann ſprech’ ich noch flüchtig mit Offizieren, ſonſt weiß ich von keiner lebendigen Seele. Ich wohne ſehr gut. Zwei Zimmer nach einem Platz; Varnh. zwei hintere nach dem Garten: der voller Roſen, ganz aufgeräumt iſt, und nach einem Berge führt, und nach den Schloß- und andern Gärten hinſieht.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/240>, abgerufen am 28.03.2024.