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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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empor; schöner, reicher, üppiger, stiller, als sonst;i m goldig-
sten Wetter; welches auf dies Götterthal, um ihm abwechselnd
die nicht zu fassenden Gestalten und Scheine zu verleihen, her-
unter strömt. In Prag hatte ich doch keinen Herrn und kei-
nen Bedienten? hier hab' ich beides. Varnhagen (hier ruft
man mich mit Gewalt in's Bad.) (Nun bin ich aus dem
Bade; und war schon wieder gestört, als ich zu schreiben an-
gesetzt hatte), der zwei Tage nach mir hier ankam, hat einen
Bedienten mitgebracht, und da der Herr so gütig gegen mich
ist, so ist der Diener entweder davon verführt, oder er verstellt
sich aus Furcht und Respekt, und bedient mich. Es ist ein
Pariser, und seines Handwerks ein Schneider, ein Bursch von
zwanzig oder so viel Jahren. O! wie stellt der mir wieder
die gute Sitte des ganzen Volks dar! den Besitz, den es von
seiner Sprache genommen hat, den Ersten des Landes gleich;
kurz, das Gute von Frankreich, so wie es geht und steht.
Eben so hab' ich hier Geheimraths-Familien von uns gesehen
und andere Adliche unseres Landes (welches so sehr mit mei-
nem Herzen verwachsen ist, daß der Anblick des Letzten dessel-
ben mir Thränen in die Augen pumpt), die mich recht mit
Schreck erfüllten und stutzig machten; so sehr, und so leicht
entwöhnt man sich deren stupiden, trocknen, steifen, steinernen,
und doch ganz hohlen Stolz, auf die nichtigste Einbildung:
bei der sie selbst sich in keiner Art etwas Reelles denken, ge-
gründet. Einen neuen Krieg sah ich vollkommen fertig aus
denen grade hervorbrechen. Ein Johanniter besonders mit
zwei brummenden Damen, gingen ganz wüthig gestern in dem
Hauptgang des Gartens umher, bloß weil sie noch nicht wuß-

empor; ſchöner, reicher, üppiger, ſtiller, als ſonſt;i m goldig-
ſten Wetter; welches auf dies Götterthal, um ihm abwechſelnd
die nicht zu faſſenden Geſtalten und Scheine zu verleihen, her-
unter ſtrömt. In Prag hatte ich doch keinen Herrn und kei-
nen Bedienten? hier hab’ ich beides. Varnhagen (hier ruft
man mich mit Gewalt in’s Bad.) (Nun bin ich aus dem
Bade; und war ſchon wieder geſtört, als ich zu ſchreiben an-
geſetzt hatte), der zwei Tage nach mir hier ankam, hat einen
Bedienten mitgebracht, und da der Herr ſo gütig gegen mich
iſt, ſo iſt der Diener entweder davon verführt, oder er verſtellt
ſich aus Furcht und Reſpekt, und bedient mich. Es iſt ein
Pariſer, und ſeines Handwerks ein Schneider, ein Burſch von
zwanzig oder ſo viel Jahren. O! wie ſtellt der mir wieder
die gute Sitte des ganzen Volks dar! den Beſitz, den es von
ſeiner Sprache genommen hat, den Erſten des Landes gleich;
kurz, das Gute von Frankreich, ſo wie es geht und ſteht.
Eben ſo hab’ ich hier Geheimraths-Familien von uns geſehen
und andere Adliche unſeres Landes (welches ſo ſehr mit mei-
nem Herzen verwachſen iſt, daß der Anblick des Letzten deſſel-
ben mir Thränen in die Augen pumpt), die mich recht mit
Schreck erfüllten und ſtutzig machten; ſo ſehr, und ſo leicht
entwöhnt man ſich deren ſtupiden, trocknen, ſteifen, ſteinernen,
und doch ganz hohlen Stolz, auf die nichtigſte Einbildung:
bei der ſie ſelbſt ſich in keiner Art etwas Reelles denken, ge-
gründet. Einen neuen Krieg ſah ich vollkommen fertig aus
denen grade hervorbrechen. Ein Johanniter beſonders mit
zwei brummenden Damen, gingen ganz wüthig geſtern in dem
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[231/0239] empor; ſchöner, reicher, üppiger, ſtiller, als ſonſt;i m goldig- ſten Wetter; welches auf dies Götterthal, um ihm abwechſelnd die nicht zu faſſenden Geſtalten und Scheine zu verleihen, her- unter ſtrömt. In Prag hatte ich doch keinen Herrn und kei- nen Bedienten? hier hab’ ich beides. Varnhagen (hier ruft man mich mit Gewalt in’s Bad.) (Nun bin ich aus dem Bade; und war ſchon wieder geſtört, als ich zu ſchreiben an- geſetzt hatte), der zwei Tage nach mir hier ankam, hat einen Bedienten mitgebracht, und da der Herr ſo gütig gegen mich iſt, ſo iſt der Diener entweder davon verführt, oder er verſtellt ſich aus Furcht und Reſpekt, und bedient mich. Es iſt ein Pariſer, und ſeines Handwerks ein Schneider, ein Burſch von zwanzig oder ſo viel Jahren. O! wie ſtellt der mir wieder die gute Sitte des ganzen Volks dar! den Beſitz, den es von ſeiner Sprache genommen hat, den Erſten des Landes gleich; kurz, das Gute von Frankreich, ſo wie es geht und ſteht. Eben ſo hab’ ich hier Geheimraths-Familien von uns geſehen und andere Adliche unſeres Landes (welches ſo ſehr mit mei- nem Herzen verwachſen iſt, daß der Anblick des Letzten deſſel- ben mir Thränen in die Augen pumpt), die mich recht mit Schreck erfüllten und ſtutzig machten; ſo ſehr, und ſo leicht entwöhnt man ſich deren ſtupiden, trocknen, ſteifen, ſteinernen, und doch ganz hohlen Stolz, auf die nichtigſte Einbildung: bei der ſie ſelbſt ſich in keiner Art etwas Reelles denken, ge- gründet. Einen neuen Krieg ſah ich vollkommen fertig aus denen grade hervorbrechen. Ein Johanniter beſonders mit zwei brummenden Damen, gingen ganz wüthig geſtern in dem Hauptgang des Gartens umher, bloß weil ſie noch nicht wuß-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/239>, abgerufen am 29.03.2024.