Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Regen, führ' ich, die Erde küssen! Nun hab' ich auch Frie-
den. Gott schütz' euch. Schreibt!

R. R.


An M. Th. Robert, in Berlin.


Gestern Nachmittag, liebe Kinder, brachte man mir drei
Briefe, einen von euch vom 24., einen von der Baronin Grott-
huß, einen von Varnhagen. Der war den 10. geschrieben,
aus Villeneuve bei Sens -- der letzte Ort ist einige Posten
von Paris; ich bin durch -- also einundzwanzig Tage ging
er. Tettenborns Truppe hat das Unendliche gelitten -- Avant-
garde -- abgeschnitten unter aufrührischen Bauern: in der
Unmöglichkeit zu schreiben; zu den nächsten Korps einen Brief
zu schicken mußten sie hundert, und auch mehr Reiter zur Be-
gleitung geben etc. etc. Kurz, es ist Frieden; und unsere Pferde
kommen wieder. Der letzte Pöbel! und -- der König kann
sich so leidenschaftlich damit nicht freuen. Jetzt noch wein'
ich. Denn nun kann ich's sagen. Dies war mir eins der
Dinge, die mich am meisten kränkten: erstlich, weil es immer
zu sehen war; zweitens, weil es kein Kunstwerk war, nicht
aus Eitelkeit von unserm jetzigen König aufgestellt, und der
Mann es uns zum Possen, zur Kränkung that: weil wir mux-
ten in Berlin. Und dann! wie oft hab' ich in der gelben
Stube Winters des Abends auf meinen Knieen gelegen, mit
dem Kopf auf dem Stuhl, und Gott gebeten, er soll dem Kö-
nig Magdeburg wieder geben! Unsere größte Elbstadt,

unser

Regen, führ’ ich, die Erde küſſen! Nun hab’ ich auch Frie-
den. Gott ſchütz’ euch. Schreibt!

R. R.


An M. Th. Robert, in Berlin.


Geſtern Nachmittag, liebe Kinder, brachte man mir drei
Briefe, einen von euch vom 24., einen von der Baronin Grott-
huß, einen von Varnhagen. Der war den 10. geſchrieben,
aus Villeneuve bei Sens — der letzte Ort iſt einige Poſten
von Paris; ich bin durch — alſo einundzwanzig Tage ging
er. Tettenborns Truppe hat das Unendliche gelitten — Avant-
garde — abgeſchnitten unter aufrühriſchen Bauern: in der
Unmöglichkeit zu ſchreiben; zu den nächſten Korps einen Brief
zu ſchicken mußten ſie hundert, und auch mehr Reiter zur Be-
gleitung geben ꝛc. ꝛc. Kurz, es iſt Frieden; und unſere Pferde
kommen wieder. Der letzte Pöbel! und — der König kann
ſich ſo leidenſchaftlich damit nicht freuen. Jetzt noch wein’
ich. Denn nun kann ich’s ſagen. Dies war mir eins der
Dinge, die mich am meiſten kränkten: erſtlich, weil es immer
zu ſehen war; zweitens, weil es kein Kunſtwerk war, nicht
aus Eitelkeit von unſerm jetzigen König aufgeſtellt, und der
Mann es uns zum Poſſen, zur Kränkung that: weil wir mux-
ten in Berlin. Und dann! wie oft hab’ ich in der gelben
Stube Winters des Abends auf meinen Knieen gelegen, mit
dem Kopf auf dem Stuhl, und Gott gebeten, er ſoll dem Kö-
nig Magdeburg wieder geben! Unſere größte Elbſtadt,

unſer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="208"/>
Regen, führ&#x2019; ich, die Erde kü&#x017F;&#x017F;en! Nun hab&#x2019; ich auch Frie-<lb/>
den. Gott &#x017F;chütz&#x2019; euch. Schreibt!</p>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et">R. R.</hi> </salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An M. Th. Robert, in Berlin.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Prag, Montag den 2. Mai 1814.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern Nachmittag, liebe Kinder, brachte man mir drei<lb/>
Briefe, einen von euch vom 24., einen von der Baronin Grott-<lb/>
huß, einen von Varnhagen. Der war den 10. ge&#x017F;chrieben,<lb/>
aus Villeneuve bei Sens &#x2014; der letzte Ort i&#x017F;t einige Po&#x017F;ten<lb/>
von Paris; ich bin durch &#x2014; al&#x017F;o einundzwanzig Tage ging<lb/>
er. Tettenborns Truppe hat das Unendliche gelitten &#x2014; Avant-<lb/>
garde &#x2014; abge&#x017F;chnitten unter aufrühri&#x017F;chen Bauern: in der<lb/>
Unmöglichkeit zu &#x017F;chreiben; zu den näch&#x017F;ten Korps einen Brief<lb/>
zu &#x017F;chicken mußten &#x017F;ie hundert, und auch mehr Reiter zur Be-<lb/>
gleitung geben &#xA75B;c. &#xA75B;c. Kurz, es i&#x017F;t Frieden; und un&#x017F;ere <hi rendition="#g">Pferde</hi><lb/>
kommen wieder. Der letzte <hi rendition="#g">Pöbel</hi>! und &#x2014; der <hi rendition="#g">König</hi> kann<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;o leiden&#x017F;chaftlich <hi rendition="#g">da</hi>mit nicht freuen. Jetzt noch wein&#x2019;<lb/>
ich. Denn nun kann ich&#x2019;s &#x017F;agen. Dies war mir eins <hi rendition="#g">der</hi><lb/>
Dinge, die <hi rendition="#g">mich</hi> am mei&#x017F;ten kränkten: er&#x017F;tlich, weil es immer<lb/>
zu &#x017F;ehen war; zweitens, weil es <hi rendition="#g">kein</hi> Kun&#x017F;twerk war, <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/>
aus Eitelkeit von un&#x017F;erm <hi rendition="#g">jetzige</hi>n König aufge&#x017F;tellt, und der<lb/>
Mann es uns zum Po&#x017F;&#x017F;en, zur Kränkung that: weil wir mux-<lb/>
ten in Berlin. Und dann! wie oft hab&#x2019; ich in der gelben<lb/>
Stube Winters des Abends auf meinen Knieen gelegen, mit<lb/>
dem Kopf auf dem Stuhl, und Gott gebeten, er &#x017F;oll dem Kö-<lb/>
nig <hi rendition="#g">Magdeburg</hi> wieder geben! Un&#x017F;ere größte Elb&#x017F;tadt,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">un&#x017F;er</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0216] Regen, führ’ ich, die Erde küſſen! Nun hab’ ich auch Frie- den. Gott ſchütz’ euch. Schreibt! R. R. An M. Th. Robert, in Berlin. Prag, Montag den 2. Mai 1814. Geſtern Nachmittag, liebe Kinder, brachte man mir drei Briefe, einen von euch vom 24., einen von der Baronin Grott- huß, einen von Varnhagen. Der war den 10. geſchrieben, aus Villeneuve bei Sens — der letzte Ort iſt einige Poſten von Paris; ich bin durch — alſo einundzwanzig Tage ging er. Tettenborns Truppe hat das Unendliche gelitten — Avant- garde — abgeſchnitten unter aufrühriſchen Bauern: in der Unmöglichkeit zu ſchreiben; zu den nächſten Korps einen Brief zu ſchicken mußten ſie hundert, und auch mehr Reiter zur Be- gleitung geben ꝛc. ꝛc. Kurz, es iſt Frieden; und unſere Pferde kommen wieder. Der letzte Pöbel! und — der König kann ſich ſo leidenſchaftlich damit nicht freuen. Jetzt noch wein’ ich. Denn nun kann ich’s ſagen. Dies war mir eins der Dinge, die mich am meiſten kränkten: erſtlich, weil es immer zu ſehen war; zweitens, weil es kein Kunſtwerk war, nicht aus Eitelkeit von unſerm jetzigen König aufgeſtellt, und der Mann es uns zum Poſſen, zur Kränkung that: weil wir mux- ten in Berlin. Und dann! wie oft hab’ ich in der gelben Stube Winters des Abends auf meinen Knieen gelegen, mit dem Kopf auf dem Stuhl, und Gott gebeten, er ſoll dem Kö- nig Magdeburg wieder geben! Unſere größte Elbſtadt, unſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/216
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/216>, abgerufen am 25.04.2024.