Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

meinem auf ewig beruhigten See, in meinem Herzen noch
möglich sind! Es sind auch nicht Schmerzen: ein Wogen,
das Wogen eines Weltmeers; worüber, man sieht es, man
nie Herr wird. Ich seh's, die Natur ist unendlich! und immer
anders unendlich, als der gewitzigste, bescheidenste Geist es sich
zu denken vermag. Was soll mir die Zeit ersetzen; diese
Zeit? Und doch glaub' ich das Umnögliche, das Unbegreif-
liche: Gott kann sie mir ersetzen. Ich nehme ein Jenes-Leben
darum an; -- mein tiefster Ernst, den ich auszusprechen er-
bebe. Ich scherzte nicht gestern, als ich in der Menschen Ge-
genwart sagte: Gott müsse eine große Ursache zu unserer Tren-
nung haben. Sie, Gentz, fühlen dies alles nicht so, sind da-
von nicht so überzeugt: und ich weiß auch ganz, wie ich Ih-
nen erscheine: Sie lieben mich nur, diesen Brief, und alle
meine Briefe, wie Sie den entzückten Tasso liebten, begegne-
ten Sie ihm in jenen Gärten gekrönt. "Ich bin entzückt,"
sagt er, mit seiner irren Krone: und sieht rein. Ihnen ging
es äußerlich besser in der langen Zeit, und mit nennbareren
Maßen waren Sie beschäftigt, hatten Sie zu thun. Aber
unsere Trennung war doch eben solch Unglück für Sie, als
für mich: ewig wird mir diese Überzeugung bleiben; und nur
mit diesem Bewußtsein enden; Sie können sie nur bekommen
mit jedem Tage, den ich bei Ihnen lebte! zusammen mit Ih-
nen erlebte. Können Sie sich den Wahnsinn von Unmuth,
Schreck, und sich für die Ewigkeit aufwindender -- wie Schlan-
genthiere -- Verzweiflung, über meinen Stand, über meine
Lage denken, die mich daran verhindern? Nein. Glauben
Sie, daß ich noch irgend eine Ambition habe, als die mir zu

meinem auf ewig beruhigten See, in meinem Herzen noch
möglich ſind! Es ſind auch nicht Schmerzen: ein Wogen,
das Wogen eines Weltmeers; worüber, man ſieht es, man
nie Herr wird. Ich ſeh’s, die Natur iſt unendlich! und immer
anders unendlich, als der gewitzigſte, beſcheidenſte Geiſt es ſich
zu denken vermag. Was ſoll mir die Zeit erſetzen; dieſe
Zeit? Und doch glaub’ ich das Umnögliche, das Unbegreif-
liche: Gott kann ſie mir erſetzen. Ich nehme ein Jenes-Leben
darum an; — mein tiefſter Ernſt, den ich auszuſprechen er-
bebe. Ich ſcherzte nicht geſtern, als ich in der Menſchen Ge-
genwart ſagte: Gott müſſe eine große Urſache zu unſerer Tren-
nung haben. Sie, Gentz, fühlen dies alles nicht ſo, ſind da-
von nicht ſo überzeugt: und ich weiß auch ganz, wie ich Ih-
nen erſcheine: Sie lieben mich nur, dieſen Brief, und alle
meine Briefe, wie Sie den entzückten Taſſo liebten, begegne-
ten Sie ihm in jenen Gärten gekrönt. „Ich bin entzückt,“
ſagt er, mit ſeiner irren Krone: und ſieht rein. Ihnen ging
es äußerlich beſſer in der langen Zeit, und mit nennbareren
Maßen waren Sie beſchäftigt, hatten Sie zu thun. Aber
unſere Trennung war doch eben ſolch Unglück für Sie, als
für mich: ewig wird mir dieſe Überzeugung bleiben; und nur
mit dieſem Bewußtſein enden; Sie können ſie nur bekommen
mit jedem Tage, den ich bei Ihnen lebte! zuſammen mit Ih-
nen erlebte. Können Sie ſich den Wahnſinn von Unmuth,
Schreck, und ſich für die Ewigkeit aufwindender — wie Schlan-
genthiere — Verzweiflung, über meinen Stand, über meine
Lage denken, die mich daran verhindern? Nein. Glauben
Sie, daß ich noch irgend eine Ambition habe, als die mir zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0114" n="106"/>
meinem auf ewig beruhigten See, in meinem Herzen noch<lb/>
möglich &#x017F;ind! Es &#x017F;ind auch nicht Schmerzen: ein Wogen,<lb/>
das Wogen eines <hi rendition="#g">Weltm</hi>eers; worüber, man &#x017F;ieht es, man<lb/>
nie Herr wird. Ich &#x017F;eh&#x2019;s, die Natur i&#x017F;t <hi rendition="#g">une</hi>ndlich! und immer<lb/>
anders unendlich, als der gewitzig&#x017F;te, be&#x017F;cheiden&#x017F;te Gei&#x017F;t es &#x017F;ich<lb/>
zu denken vermag. Was &#x017F;oll mir die <hi rendition="#g">Zeit</hi> er&#x017F;etzen; die&#x017F;e<lb/>
Zeit? Und doch glaub&#x2019; ich das Umnögliche, das Unbegreif-<lb/>
liche: Gott kann &#x017F;ie mir er&#x017F;etzen. Ich nehme ein Jenes-Leben<lb/>
darum an; &#x2014; mein tief&#x017F;ter Ern&#x017F;t, den ich auszu&#x017F;prechen er-<lb/>
bebe. Ich &#x017F;cherzte nicht ge&#x017F;tern, als ich in der Men&#x017F;chen Ge-<lb/>
genwart &#x017F;agte: Gott mü&#x017F;&#x017F;e eine große Ur&#x017F;ache zu un&#x017F;erer Tren-<lb/>
nung haben. Sie, Gentz, fühlen dies alles nicht &#x017F;o, &#x017F;ind da-<lb/>
von nicht &#x017F;o überzeugt: und ich weiß auch ganz, wie ich Ih-<lb/>
nen er&#x017F;cheine: Sie lieben mich nur, die&#x017F;en Brief, und alle<lb/>
meine Briefe, wie Sie den entzückten Ta&#x017F;&#x017F;o liebten, begegne-<lb/>
ten Sie ihm in jenen Gärten gekrönt. &#x201E;Ich bin entzückt,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agt er, mit &#x017F;einer irren Krone: und &#x017F;ieht rein. Ihnen ging<lb/>
es äußerlich be&#x017F;&#x017F;er in der langen Zeit, und mit nennbareren<lb/>
Maßen waren Sie be&#x017F;chäftigt, hatten Sie zu thun. Aber<lb/>
un&#x017F;ere Trennung war doch eben &#x017F;olch Unglück für Sie, als<lb/>
für mich: ewig wird mir die&#x017F;e Überzeugung bleiben; und nur<lb/>
mit die&#x017F;em Bewußt&#x017F;ein enden; Sie können &#x017F;ie nur bekommen<lb/>
mit jedem Tage, den ich bei Ihnen lebte! zu&#x017F;ammen mit Ih-<lb/>
nen erlebte. Können Sie &#x017F;ich den Wahn&#x017F;inn von Unmuth,<lb/>
Schreck, und &#x017F;ich für die Ewigkeit aufwindender &#x2014; wie Schlan-<lb/>
genthiere &#x2014; Verzweiflung, über meinen Stand, über meine<lb/>
Lage denken, die mich daran verhindern? Nein. Glauben<lb/>
Sie, daß ich noch irgend eine Ambition habe, als die mir zu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0114] meinem auf ewig beruhigten See, in meinem Herzen noch möglich ſind! Es ſind auch nicht Schmerzen: ein Wogen, das Wogen eines Weltmeers; worüber, man ſieht es, man nie Herr wird. Ich ſeh’s, die Natur iſt unendlich! und immer anders unendlich, als der gewitzigſte, beſcheidenſte Geiſt es ſich zu denken vermag. Was ſoll mir die Zeit erſetzen; dieſe Zeit? Und doch glaub’ ich das Umnögliche, das Unbegreif- liche: Gott kann ſie mir erſetzen. Ich nehme ein Jenes-Leben darum an; — mein tiefſter Ernſt, den ich auszuſprechen er- bebe. Ich ſcherzte nicht geſtern, als ich in der Menſchen Ge- genwart ſagte: Gott müſſe eine große Urſache zu unſerer Tren- nung haben. Sie, Gentz, fühlen dies alles nicht ſo, ſind da- von nicht ſo überzeugt: und ich weiß auch ganz, wie ich Ih- nen erſcheine: Sie lieben mich nur, dieſen Brief, und alle meine Briefe, wie Sie den entzückten Taſſo liebten, begegne- ten Sie ihm in jenen Gärten gekrönt. „Ich bin entzückt,“ ſagt er, mit ſeiner irren Krone: und ſieht rein. Ihnen ging es äußerlich beſſer in der langen Zeit, und mit nennbareren Maßen waren Sie beſchäftigt, hatten Sie zu thun. Aber unſere Trennung war doch eben ſolch Unglück für Sie, als für mich: ewig wird mir dieſe Überzeugung bleiben; und nur mit dieſem Bewußtſein enden; Sie können ſie nur bekommen mit jedem Tage, den ich bei Ihnen lebte! zuſammen mit Ih- nen erlebte. Können Sie ſich den Wahnſinn von Unmuth, Schreck, und ſich für die Ewigkeit aufwindender — wie Schlan- genthiere — Verzweiflung, über meinen Stand, über meine Lage denken, die mich daran verhindern? Nein. Glauben Sie, daß ich noch irgend eine Ambition habe, als die mir zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/114
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/114>, abgerufen am 25.04.2024.